Violetta Parisini

Violetta Parisini ist so eine Person, mit der du dich triffst und danach fühlst du dich irgendwie besser als zuvor. Obwohl es dir vielleicht vorher schon gut gegangen ist. Sie hat eine ganz besondere Energie. Zum einen ruht sie sehr in sich selbst und ist komplett authentisch, zum anderen verströmt sie so ein Gefühl von Freiheit, das einem als Gegenüber sehr viel Raum gibt –  für seine eigene Persönlichkeit oder auch Gedanken. Ich habe mich nach unserem Gespräch auf der Parkbank im Prater vor zwei Wochen jedenfalls richtig beseelt gefühlt. 

Es war das erste Mal, dass ich Violetta getroffen habe, allerdings war ich schon vor Jahren auf einem ihrer Konzerte. Violetta ist eine begnadete Songwriterin – sie findet oft Worte, nach denen die meisten noch auf der Suche sind, und zwar zu Themen, über die man besser nicht spricht. Weil sie nicht “cool” sind. Aber Authentizität beginnt halt einfach ganz simpel einmal genau da, wo man aufhört, “cool” sein zu wollen. Und es zulässt, verletzlich zu sein und sich in seiner ganzen perfekten Unperfektheit zu zeigen wagt. Es ist herrlich erfrischend, befreiend und inspirierend. Violettas Musik ist tiefsinnig und nuancenreich, und auch wenn sie über “dunkle” Themen wie Depression oder den Tod singt, so hat ihre Musik irgendwie immer etwas sehr Hoffnungsvolles und Trostspendendes. Vergangenes Jahr hat sie nach einer längeren Pause ihr neues Album veröffentlicht mit dem Titel “Alles bleibt”. 

Ein Lied auf deinem letzten Album trägt ja den Titel “Frei”. Wie frei fühlst du dich aktuell – als Mensch, Frau, Künstlerin? 

Ich glaube Freiheit hat immer eine Grenze, und zwar die Vernunft, mit der man einsieht, dass es Einschränkungen gibt. Wenn wir uns die derzeitige Welt anschauen, gibt’s mehr Einschränkungen denn je – sowas haben wir ja alle noch nicht erlebt. […] Beim dritten Lockdown gab’s für mich schon so diesen Moment, wo ich das Gefühl hatte – es werden die ganzen Veranstaltungsstätten – die Kinos, die Theater, die Konzertsäle, die den ganzen Sommer daran gearbeitet haben, g’scheite Konzepte aufzustellen und uns [Kunst und Kultur] zu ermöglichen, jetzt dafür bestraft, dass es am Laufe des Weges Kommunikationsfehler gab. […] Das erschien mir ein bisschen unverhältnismäßig. Aber ich bin froh, dass ich keine derartigen Entscheidungen treffen muss, weil es ist so wahnsinnig komplex. 

Und um die Frage auf einer persönlicheren Ebene zu beantworten – verhältnismäßig fühle ich mich immer noch sehr frei, weil ich in Sicherheit bin. […] Ich lebe in Wien, habe ein Dach über dem Kopf, habe genug Geld, um mir mein Essen zu leisten, habe die Freiheit, mir die Bildung zu verschaffen, die ich brauche bzw. will sowie an Informationen zu kommen. Ich habe die Freiheit, mit Menschen zu diskutieren und Meinungen zu vertreten, und kann sein, wer ich sein will. […] Ich bin immer noch extrem frei, wenn ich’s vergleiche mit ganz vielen anderen Situationen, in denen Menschen gerade sein könnten.

Dein letztes Album heißt ja “Alles Bleibt”, was an sich ja Beständigkeit suggeriert. Und jetzt stellt sich für mich die Frage – siehst du Freiheit und Beständigkeit als zwei Seiten einer Münze oder als Widerspruch? 

Naja mit “Alles Bleibt” wollte ich eigentlich nicht Beständigkeit suggerieren, sondern in dem Lied “Alles Bleibt” (dem letzten Lied auf dem Album) geht’s um den Tod. Also, es geht um jemanden, der stirbt. Und was ich damit sagen will, wenn ich sage “In der Ewigkeit, in der alles bleibt” ist, dass alles, was wir tun und lassen, eine Ursache für irgendetwas anderes ist. Was wir tun, geht nicht verloren. Das wollte ich eigentlich sagen. Beständigkeit ist für mich kein Wert, der eine so große Rolle in meinem Leben spielt. Im Gegenteil – zu viel Beständigkeit geht mir eigentlich auf die Nerven. Freiheit ist in allererster Linie immer die innere Freiheit und auf einer gesellschaftlichen Ebene für uns die Freiheit auf Bildung, die Freiheit zu sein, wer wir sein wollen, lieben, wen wir lieben wollen, uns mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem wir uns identifizieren wollen etc etc. Also auch eine sehr persönliche Geschichte.

Wie wichtig findest du, dass man als Künstlerin anderen erklärt, worum’s in einem Song geht? Oder findest du’s beim Songwriting auch wichtig, Räume zu schaffen, die ambivalent sind, um den Leuten Identifikationsspielraum zu geben? 

Unbedingt! Also ich bekomme manchmal Feedback von Leuten auf Songs, die sagen, was die Musik mit ihnen gemacht hat, oder wie sie das Lied interpretieren, und ich denk’ mir: “Ich weiß nicht einmal, von welchem Lied du sprichst!” Das ist total cool, weil das Lied was auslöst, und einen Raum aufmacht und indem ich meine persönlichsten Gedanken zur Verfügung stelle, ermögliche ich den anderen, ihre persönlichen Gedanken zu fassen – die vielleicht überhaupt nichts damit zu tun haben. Das ist super! Ich finde, das ist das Schöne – es wäre ja total fad und banal, wenn alles 1:1 verständlich wäre. Wenn mich jemand fragt, sage ich, was der Song für mich aussagt. Aber natürlich laufe ich dann Gefahr, einem anderen Menschen seine eigene Geschichte wegzunehmen. Das wäre schade. […]

Wie viel hat gutes Songwriting deiner Meinung nach mit persönlicher Reife zu tun? 

Erstaunlich wenig. Weil das ist der Rückschluss zum vorher Gesagten- der Mensch, der einen super Song schreibt über seine erste kaputt gegangene Liebe – ohne zu wissen, dass noch 20 kaputt gehen werden – mit dieser totalen Naivität – vielleicht macht das für eine 65-Jährige den Raum auf, in dem sie ihre 40-jährige Beziehung reflektiert. Also das kann man überhaupt nicht sagen. Was ich störend finde, ist, wenn Leute Weisheiten präsentieren, weil niemand hat die Weisheit mit dem Löffel gefressen – und schon gar nicht jemand, der überhaupt erst seit 5 Jahren begonnen hat, Dinge zu reflektieren. Aber wenn das Lied aus so einem Gefühl kommt, dass das ganz ursprünglich nur Gefühl ist, dann kann’s eigentlich nicht unreif sein, so lange es nicht versucht, etwas zu erklären. Ich höre mir zwar auch mehr Musik von älteren Menschen an, weil ich mich damit vielleicht ein bisschen mehr identifizieren kann, aber es gibt immer wieder Musik von ganz jungen Künstler*innen, wo ich mir denke: “Wow!”

Wie viel kann oder darf man deiner Meinung nach einem Publikum zumuten? An Komplexität, Verletzlichkeit, unkonventionellem Songwriting,…

Aus der Hüfte geschossen würde ich sagen: Alles! Immer alles, weil ich glaube, dass man den Menschen immer tendenziell zu wenig zumutet. Ich glaube auch, dass auch der öffentliche Diskurs in ganz vielen Bereichen des Lebens total verkürzt ist, weil die Menschen nicht ernst genommen werden. Die meisten Leute wollen eh gern in die Komplexität rein und verstehen und nachfragen und fühlen. Und auf der anderen Seite – man mutet sich’s ja immer selbst zu. Das heißt: Wenn man dem Publikum die eigene Verletzlichkeit ganz zumutet, dann muss man sie zuerst einmal selber aushalten, und das ist nicht leicht. […]

Jetzt muss ich dir eine kurze Anekdote erzählen. Ich war ja mal bei einem Auftritt von dir – vor ein paar Jahren, da hast du in einem Lokal am Praterstern gespielt – gemeinsam mit dem Lukas Lauermann. Und du musst wissen- meine größte Angst, wenn ich ein Live-Konzert spiele, ist, dass ich aus Nervosität einen Texthänger habe. Jetzt hattest du bei diesem Auftritt einen Texthänger, hast gelacht und gesagt: “Jetzt habe ich den Text vergessen” und dann hast beinhart nochmal von vorne angefangen. Und ich schwöre dir – ich habe dich geliebt dafür! Bei meinen darauffolgenden Gigs habe ich mir oft gedacht: “Denk an die Violetta Parisini! Auch wenn du einen Texthänger hast, es ist okay.”

(lacht) Mah das ist mir so eine Ehre! Das freut mich total! 

Das hat mich so ermutigt. Bei mir hat’s dann so “Klick” gemacht, weil es einfach den Auftritt um nichts schlechter gemacht hat. 

Man hat immer Angst, dass man dann weniger ernst genommen wird, aber das stimmt überhaupt nicht! Ich habe Jahre gebraucht, um das zu kapieren. Ich hatte immer das Gefühl: Ich will mir keine Blöße geben. Ich will souverän sein. Und das Ding ist aber – Souveränität killt Empathie. In diesen Momenten, wo ich souverän mit meiner Verletzlichkeit umgehen kann, sage ich mir und anderen: “Hey übrigens, ich bin nur ein Mensch – dies oder jenes ist jetzt gerade passiert, aber ich stehe dazu.” Weil ich bin halt ein Mensch und keine perfekt funktionierende Maschine. Und es interessiert mich auch überhaupt nicht, auf einem Konzert eine perfekt funktionierende Maschine zu sehen. Das geht völlig an mir vorüber. Aber in dem Moment, wo jemand auf der Bühne als Mensch in Erscheinung tritt, ist es meistens urberührend. Natürlich kann es auch kippen. Wenn dir das zu oft passiert, wird’s peinlich. Wobei ich eben glaube, dass es selbst dann nicht peinlich ist, so lange der Mensch, der auf der Bühne steht, trotzdem im Selbstbewusstsein und im Humor bleibt. Aber früher hab’ ich schon auch Konzerte von mir selbst erlebt, wo ich nachher am liebsten im Boden versunken wäre, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mir nicht gerecht geworden bin. 

Das kenn’ ich. Ich bin dann auch ganz streng zu mir, und fühle mich fürchterlich schlecht, wenn sowas ist. 

Das gibt’s in allen Lebensbereichen, aber auf der Bühne bist du halt unter dem Vergrößerungsglas. Aber das kenn’ ich schon und ich hab schon auch schlaflose Nächte verbracht, wo ich mir dachte: “Oh Gott, warum hab’ ich das gesagt…?!” Aber je älter ich werde, und je mehr Erfahrung ich habe und je mehr Feedback ich auch kriege – von Leuten, von denen mir das Feedback auch viel wert ist, desto mehr mehr verstehe ich, dass das Nichtperfekte und die Fehlerhaftigkeit genauso ein Spiegel für das menschliche Dasein meines Publikums sind wie meine Lieder selbst dieser Spiegel sind. Also gehört das eigentlich total dazu – so wie in jedem Song eigentlich der spannendste Moment der ist, an dem die Stimme kurz davor ist zu brechen. […] Da wo’s verletzlich wird, da wird’s ur spannend. Und da erkennen wir uns auch selbst wieder. […]

Du meintest ja, du wolltest kein cooles Comeback inszenieren. Was wäre ein cooles Comeback gewesen? 

“Cool” wäre wahrscheinlich gewesen, nicht über meine Zweifel und über mein Scheitern ein Album zu schreiben (lacht). 

Ok also die “Coolness” hätte eher den Inhalt der Songs betroffen? 

Ja ich glaube schon. Weil im Inhalt selber ist ja schon so wahnsinnig viel Verletzlichkeit.

Ich frage mich halt schon, ob die Coronakrise auch das Bild des Künstlers, der Künstlerin verändert. Die Menschen sind ja so auf die Basics zurückgeworfen, und vielleicht suchen sie daher auch mehr nach einer echten Identifikation. Der greifbare Artist und nicht das coole, unerreichbaren Ideal, nach dem es zu streben gilt. 

Ich habe in den letzten Wochen ein bisschen darüber nachgedacht, wie ich meinen Beruf bezeichne, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich eine “Gefühlsübersetzerin” bin. Und ich glaube, das ist es. Die Leute freuen sich, wenn ich mich hinstelle, und meine Gefühle – oder vielleicht sind’s auch ihre Gefühle – über die wir uns schwer tun, zu reden, in eine Sprache übersetze, in der sie plötzlich besprechbar werden. Oder auch nur fühlbar. Vielleicht reicht das auch schon. Vielleicht muss man das dann gar nicht besprechen. Aber das ist das Feedback, das ich im letzten Jahr am häufigsten bekommen habe: “Du sagst Dinge, für die ich noch keine Worte gefunden habe.” 

Urschön!

Urschönes Feedback. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass mir die Leute auch schreiben, weil es bestätigt mich darin, zu tun, was ich tue. Und es gibt mir auch Mut, weiterzumachen. Weil wenn du nach 8 Jahren ein Album veröffentlichst und zwei Wochen später ist der erste Lockdown, dann ist das irgendwie so: Hmmm… 

“This was not planned!”

This was not the plan, genau! (lacht)

Du warst ja eine Zeit lang bei einem Major Label. Welche Vor- und Nachteile siehst du in so einem Deal? 

Also ich hab’ total Glück gehabt bei diesem Major Label, weil ich einen ursuper A&R hatte, der wahnsinnig lieb und verständnisvoll war. Der hat sehr an mich geglaubt und hat meinem Produzenten und mir ultimativ viel Freiheit gelassen. Jetzt, wo ich das alles allein mache, weiß ich natürlich auch, dass die viel mehr Geld aufgestellt haben für Promo und dergleichen [als einem das als independent Artist in der Regel möglich ist]. Gleichzeitig ist so ein Riesenkonzern natürlich auch sehr träge. Und du kannst schwerer spontane Entscheidungen fällen. Wenn ich nochmal bei einem großen Label anheuere (was ich glaube ich nicht mache), dann sicher nicht in Österreich. Weil ich festgestellt habe: Kleine Labels in Österreich schaffen’s manchmal, sich mit größeren deutschen zu verbünden und gute Kollaborationen zu machen. Aber große Labels arbeiten national mit großen eigenen Acts und mit nischigen Sachen ist es schwer, von einem kleinen Land in ein großes zu kommen. Meine Musik spricht eine Nische an und das hat auf einem österreichischen Major eigentlich nichts verloren. Der Markt hierzulande ist nicht groß genug, dass die da draus Kapital schlagen können. Ich weiß nicht, ob ich jetzt mittlerweile mehr Leute erreichen könnte, aber ich glaube, so lange Ö3 sagt, es ist uns zu kompliziert oder zu anspruchsvoll…

Aber genau das meine ich mit “Was kann man dem Publikum zumuten”? 

Ja dem Publikum kann man alles zumuten. Aber Radiostationen grenzen das Angebot eben ein, damit man kriegt, was man erwartet. In der österreichischen Radiolandschaft gibt’s vor allem zwei Sender, die österreichische Popmusik in Rotation spielen oder spielen könnten, Ö3 und Fm4. Und dann kommt einmal lange nix. Der einzige Sender, auf dem ich bisher ernsthaft gefeatured wurde, ist Ö1, die haben natürlich keine Rotation für Popmusik, das sind dann immer Spezialsendungen. Ö1 hör ich selber auch viel. Aber wie soll ich sagen? Meine Konzerte wären leichter zu verkaufen, wenn mich einer dieser Pop-Sender spielen würde. Das ist eine ganz banale Rechnung.

Das ist ziemlich ärgerlich! 

Ich habe da viel Zeit damit verbracht, mich da drüber zu ärgern (lacht). Aber ich denke mir jetzt inzwischen- die haben halt sehr klare CIs, und wissen genau, was sie wollen. Ich finde, sie verkürzen halt sehr. Sie definieren sich in einem sehr engen Spielraum, aber ich versuche, mir dessen bewusst zu sein, dass das nichts über die Qualität meiner Musik aussagen kann.

Nein! Natürlich nicht! 

In Deutschland ist die Radiolandschaft viel vielfältiger. Da wurde ich auch in anderen Radios gespielt. Aber auch nur begrenzt. Ich glaube, da muss man total loslassen, weil da kämpfst du gegen Windmühlen. Ich hatte am Anfang der Coronakrise versucht, mit einer anderen Künstlerin gemeinsam ein bissl Druck zu machen auf diese Radios, damit sie auch mehrere und verschiedene kleine österreichische Acts spielen, und auch mit ein paar Leuten telefoniert, und das war ziemlich desillusionierend.

Entweder du passt da rein, oder du passt da nicht rein. 

Genau, und Punkt.

Du hast ja 2014 mit dem Wolfgang Schlögl das Popfest kuratiert. Wie seid ihr da vorgegangen? Wie habt ihr das Programm erstellt? Wie habt ihr beschlossen, welche Künstler*innen ihr ins Lineup aufnehmt? 

Das war furchtbar schwierig! Es war ein langwieriger Prozess. Ich habe mir die ganzen Einsendungen durchgehört. Es haben ein paar Leute dort gespielt, die noch gar nix veröffentlicht hatten, aber mir etwas geschickt hatten, [was mir getaugt hat]. Aber da wirken natürlich ganz viele Kräfte. Du versuchst, deinem Geschmack so treu wie möglich zu bleiben und gleichzeitig weißt du, du kuratierst ein Festival, das im öffentlichen Raum stattfindet. Du musst irgendwie versuchen, eine gewisse Bandbreite abzubilden. Also auf der einen Seite die kleinen Nischen. Aber auf der anderen Seite auch Acts, die auf Ö3 gespielt werden, die sind dort ja seltener vertreten gewesen glaub’ ich.

Stimmt. 

Und unser Haupt-Act war ein ziemlich großer Pop-Act, der Nazar. Gemeinsam mit der Yasmo. Mir und dem Wolfi war klar, dass wir einen starken, weiblichen Counterpart brauchen. Wir haben uns extrem bemüht, viele Frauen zu kuratieren. Wir haben versucht, 50:50 zu machen, aber das haben wir sicher nicht ganz geschafft, ich weiß es nicht mehr genau. Ich weiß, es war echt schwer und ich hab’ mich total bemüht, so ehrlich und so durchsichtig wie möglich zu agieren. Ich hab’ sicher auch einige Leute vor den Kopf gestoßen.

Wirklich? Also solche, die gesagt haben: “Du, Violetta, wir kennen dich, wir würden da gerne spielen”? 

Ja. 

Das stell’ ich mir urhart vor. 

Voll. Das war extrem unangenehm. Man versucht dann natürlich auch, freundschaftliche Verbindungen total zu ignorieren und nur aus dem Gedanken heraus zu buchen: Haben die dieses Jahr was veröffentlicht, was relevant ist und da gespielt werden soll oder nicht? Oder sind sie vielleicht die große Veröffentlichung von nächstem Jahr und wir buchen sie, weil wir glauben, dass das total spannend ist. […] Wir haben uns am Anfang überlegt, was wir wollen. Und eine unserer Hauptanliegen war der Versuch, so viele Szenen wie möglich abzubilden. Wir wollten auch viele Nichtmänner an den Start gehen lassen und wir wollten auch versuchen, Leute mit migrantischem Hintergrund sichtbar zu machen. Eigentlich selbstverständlich für jedes öffentliche Festival.

Ich möchte jetzt noch gerne mit dir über deine Abhandlung zum Thema “Älterwerden” reden. Die finde ich so toll! In dem Text habe ich mich teilweise sehr wiedergefunden.

Das freut mich sehr! Da war ich ganz glücklich, als ich den Text geschrieben habe – der ist mir so “gekommen” irgendwie, und zwar in einem ganz konkreten Kontext. Anhand der eigenen Kinder überlegt man sich oft: “Was habe ich gefühlt in dem Alter? Wie ist es mir da gegangen?” Und natürlich nimmt man nur die Momente raus, die einen erschüttert haben -auf positive oder negative Weise. Und das sind halt meistens auch die, die für die anderen spannend sind, weil man normalerweise nicht so drüber redet. Ich war zum Beispiel Bettnässerin. Warum sollte ich das in einem Gespräch sagen? Das interessiert doch keine Sau! Aber es ist so eine wichtige Erinnerung meiner Kindheit. Dieses Gefühl zu haben: “Wird das je vorbeigehen? Wie mache ich das dann, wenn ich größer bin? Wie ist das, wenn ich das nie unter Kontrolle kriege?” Und diese Gedanken hatte ich bei vielen Themen. Es geht nicht ums Bettnässen, sondern es geht um das Gefühl von “Wird das je vorbei gehen? Werde ich es je schaffen, mich zu emanzipieren – von diesem Gefühl, von diesem Umstand, von dieser Körperfunktion, von diesem Schmerz, von dieser Trennung,…?”

Du hast geschrieben, dass du mit 34 langsam gelernt hast, dem Leben mehr zu vertrauen. Was genau heißt das für dich, dem Leben mehr zu vertrauen?

Ganz banal: Dass ich morgen immer noch am Leben bin. Gar nicht viel mehr eigentlich. Es war mir nie so bewusst, weil’s nie so relevant war. Aber nach der Geburt meines ersten Kindes hatte ich zum ersten Mal diesen Gedanken: “Ich bin mir nicht sicher, ob ich morgen noch lebe, und das ist nicht gut. Das muss ich jetzt ändern.”

Und woher hattest du diese Angst?

Meine Mutter ist ganz früh gestorben, als ich noch ganz klein war. Es sind auch schon andere Leute in meinem Leben gestorben. Es musst nicht die eigene Mutter sein, es muss auch nicht ganz früh sein – ich glaube, es kann einem auch mit 30 was passieren, das einen so in Mark und Bein erschüttert, dass einem plötzlich dieses Vertrauen abhanden kommt. Weil nämlich komischerweise – dass das Leben es gut mit mir meint, das habe ich nie bezweifelt. Ich habe mich immer als totales Glückskind gesehen. Auch wenn man dann größer wird und realisiert: Man wohnt in Wien. Oida! Ich mein’ wie geil ist das? Ich bin hier geboren. So ganz banale Sachen. Ich weiß das total zu schätzen. Aber wie sich dieses Mutterwerden dann angefühlt hat als Gefahr einer Wiederholung, da habe ich das dann plötzlich im Kopf gehabt: “Aja stimmt. Ich vertraue ja gar nicht drauf, dass ich morgen noch lebe.” Ich hatte immer Angst vor Reisen. Vor großen, langen Reisen hatte ich immer Abschiedsbriefe geschrieben, weil ich immer gedacht hab’ “naja wer weiß, vielleicht komme ich nimmer zurück.” 

Aber das habe ich schon mal gehört, dass man, wenn man Mutter wird, wieder mit Themen aus der eigenen Kindheit konfrontiert wird. 

Ganz, ganz sicher! Und alles, was mit deiner eigenen Mutter zu tun hat, oder dem Menschen, der diese Mutterrolle innehatte, kommt halt sowas von hoch. Also du wirst echt gefordert. Ich habe dann auch erstmals ernsthaft eine Therapie begonnen und das war wirklich, wirklich gut und höchste Zeit. 

Würdest du sagen, du hast durch die Mutterschaft auch mehr Tiefe gewonnen? 

Ich glaube, sie ist mir zugänglich geworden. Ich glaube sehr daran, dass jeder Mensch eine große Tiefe hat. Aber dass sie einem oft nicht zugänglich ist, weil man traumatisiert ist oder weil man gelernt hat, dass das nicht akzeptiert wird oder nicht gehört werden will. Ich habe definitiv viele Schlüssel zu vielen Schlössern gefunden mit dem Mutterwerden – auch weil es mich zurückgeworfen hat in meine eigene Kindheit. Und aber vielleicht wäre das auch gekommen mit dem Alter ohne Kinder. […] Also ich glaube, es ist auch einfach eine Funktion des Älterwerdens, wenn man Dinge erlebt, die einen berühren und wenn man sie dann an sich ranlässt. 

In deinem Text übers Älterwerden kommt auch immer wieder der Gedanke vor, “zu alt” zu sein – also mit 25 “zu alt”, um Gesang zu studieren, mit 36 “zu alt” fürs Musikbusiness. Das kenne ich natürlich alles….

(lacht) Das kennen wir natürlich alle! Nämlich auch, dass man sich das mit 24 schon denkt!

Ich hatte mit 25 eine Trennung und dachte mir – Ok, das war’s. Ich werde einsam sterben, weil jetzt bin ich zu alt, um noch wen zu finden. Es ist total gestört! Wo kommt deiner Meinung nach diese Obsession mit der Jugend? 

Ich glaube, wir haben alle Angst vorm Tod. Je älter wir werden, umso näher sind wir dran. Die eigene Vergänglichkeit wird spürbarer. Das ist harter Tobak! 

Schon. Ich glaub’ das auch, dass die Jugendfixierung mit der Angst vorm Tod zusammenhängt. 

Absolut. Und es ist auch so absurd. Ich mein’ ich find’s total cool, wie Jugendliche es so oft schaffen, ihre Gefühle so absolut zu fühlen. Das hat total viel künstlerisches Potenzial, keine Frage! Ich war als Jugendliche total zurückgezogen und ängstlich. Also nicht “sozial ängstlich”, aber ich habe mich nicht in voller Konsequenz getraut, zu sein, wie ich bin. Und ich glaube, es gibt ein paar Begnadete, die trauen sich das von Anfang an. Ich denke mir bei meinen Kindern oft: “Wow, unglaublich, wie selbstbewusst ihr seid!” Es ist so schön! Vor allem, wenn ich an mich denke in diesem Alter – ich hätte träumen können von so einem Selbstbewusstsein. […]

Ja dieses Selbstbewusstsein bringt einen, denke ich, schon weiter im Leben. Vor allem, weil man dann nicht so viele Jahre braucht, um sich “zu finden” und sich selbst leben traut. 

Ja, sich traut, das zu machen, was man will! Und auch das zu wollen, was man will. 

Wie denkst du eigentlich, kann man Menschen die Angst vorm Tod nehmen, oder den Tod entmystifizieren?

Ich glaube, das ist aussichtslos. Der Tod wird immer etwas Geheimnisvolles bleiben, weil wir ihn ja nur einmal erleben und nicht mehr zurück kommen, um davon zu erzählen.[…] Ich glaube schon, dass so Dinge wie regelmäßige Meditation helfen können, sich mit diesem Nichts anzufreunden. Ich glaube an keine Religion und hab’ auch kein Konzept, was nach dem Tod passiert. Aber irgendwie habe ich trotzdem das Gefühl, dass wir ein ewiges Wesen sind. Und vielleicht zerfällt dieses ewige Wesen nach dem Tod in tausende Teilchen, i don’t know. Aber irgendwie habe ich das Gefühl: Alles bleibt. Es geht nix verloren. 

Zeit ist einfach so ein abstraktes Konzept. Manchmal kommt einem ein Jahr länger vor, manchmal kürzer. Manchmal denke ich nach und überlege mir: “Was habe ich in dem Jahr gemacht?” und kann mich nicht mehr erinnern… 

Ja, das ist total arg! Es ist auch irgendwie ein bisschen beängstigend. Das war der Punkt bei dem “Älterwerden”-Text – dass ich mir gedacht habe “Jetzt bin ich schon so alt, was hab’ ich überhaupt gemacht?” Und es war urschön, das zu schreiben, weil ich gecheckt hab’, dass ich schon urviel erlebt, gefühlt und gemacht hab’. 

Als Kind kommt einem ein Jahr ja ewig vor. 

Ewig! Ich glaube, weil man’s nur mit fünf anderen vergleichen kann. (lacht)

Das! Und auch, weil du jeden Tag wie ein neues Abenteuer erlebst, weil du so viel entdeckst. Und wenn du älter bist, dann wiederholt sich oft vieles und ist einfach “more of the same.”

Vielleicht, ja. Aber ich habe mir letztens überlegt: Ein Jahr ist immer ein Bruchteil unseres Lebens, und am Anfang des Lebens sind es 100%, dann sind’s 50%, dann sind’s 25% – also es ist relativ viel von dem Ganzem. Aber es wird immer weniger und weniger. 

Ich für mich denke mir eigentlich: Je mehr ich kompromisslos das mache, was ich wirklich machen will und mein Leben lebe, desto mehr bin ich mit dem Tod okay. Weil ich mir dann denke: “Ich habe mein Leben gelebt.” Und ich glaube halt schon, dass viele Leute auch mit dem Tod hadern, weil sie ihr Leben nicht leben und unbewusst denken: “Ich könnte es immer noch ändern…” Was glaubst du?

Ja, das kann gut sein. Gleichzeitig habe ich Angst, wenn ich versuche, das zu beurteilen, dass ich dem eine Bewertung geb’, die total verletzend sein kann. Aber für mich kann ich ganz sicher sagen: Wenn ich meine Tage damit verbringe, etwas zu tun, was ich gerne tu – und sei es sehr bewusst mit den Kindern Zeit zu verbringen, oder an etwas zu arbeiten, an dem ich wahnsinnig gerne arbeite – z.B. an einem schönen Text oder Lied – dann habe ich das Gefühl, ganz zu leben. Aber es gibt auch Tage oder Wochen, wo einem so viel Zeit durch die Finger rinnt, weil man sich auf nichts ganz konzentriert oder weil’s vielleicht nur die Wiederholung von Bekanntem ist. Und dann geht’s aber eigentlich nicht darum, was man tut, sondern wie man’s tut. Das ist wahrscheinlich die große Herausforderung. Auch beim Kaffeemachen in der Früh! Also ich freue mich immer aufs Kaffeemachen in der Früh, weil ich liebe Kaffee! (lacht)

Ich auch! … Ein letztes Zitat noch aus deinem Text: In jedem Moment bin ich alles, was ich war. Älter werden heißt innen wachsen. Innen größer werden. Mehr Mitgefühl entwickeln, für mich selbst und alle anderen. Ist Mitgefühl der Schlüssel zu mehr Verbundenheit? 

Ja unbedingt! Und aber eben auch Selbstmitgefühl. Das finde ich am allerschwersten. Es fällt mir leichter, wem anderen zu sagen: “Das passt schon! Du machst es so gut, wie du’s machst! Und ich hab dich lieb.” Aber dasselbe zu mir selbst zu sagen, da muss ich echt kämpfen irgendwie. Weil ich natürlich wahnsinnig streng bin zu mir selbst. Aber manchmal habe ich Tage, wo ich das gut schaffe, und wo ich mir denke: Ich bin genauso langsam und genauso schnell wie ich bin. Und ich bin genauso g’scheit und genauso dumm wie ich bin. Und ich habe die Augen und alle Sinne offen und lerne weiter. Und mehr gibt’s nicht zu tun. Das ist das, woran ich am meisten arbeite – dass die Hauptanzahl meiner Tage solche Tage sind. In denen ich das zu mir sagen kann und total friedlich bin damit, wie ich bin und vor allem auch wie ich nicht bin. Wir haben hoffentlich noch viele Jahre vor uns! (lacht)

Foto: © Helena Wimmer

 

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