Steffi Krautz

Irgendwann im November 2019 habe ich zufällig mitgekriegt, dass das Volkstheater „Endstation Sehnsucht“ spielt – ein Stück, mit dem ich mich im Zuge meines Anglistikstudiums sehr intensiv befasst hatte. Im Rahmen des Contemporary Drama Kurses, den ich damals in Toronto besuchte, spielte ich selber die Blanche DuBois – eine Rolle, die mich seit jeher sehr fasziniert. Leider gab’s am Volkstheater dann nur mehr ein paar wenige Aufführungstermine, die ich allesamt zeitlich nicht wahrnehmen konnte. So hab’ ich mir diese außergewöhnliche Theaterproduktion nicht mal live angeschaut. Traurig, I know. Aber ich habe gesehen, dass Steffi Krautz für ihre Rolle als Blanche DuBois für den Nestroy-Preis nominiert war. Ich habe sie daraufhin gegoogelt und gesehen, dass sie nebst ihrer aktiven Schauspielerinnenkarriere auch Schauspiel an der Musik und Kunst Privatuniversität unterrichtet. Ich las mir ihre Vita durch, und dachte mir sofort: „Die Frau ist cool!“ Ausgebildete Agrotechnikerin, schon viel beruflich herumgekommen, augenscheinlich sehr ehrlich und real („marginale Filmerfahrungen, zwischendrin auch immer wieder Brotjobs“) und offenbar mit Sinn für Humor („1990 hat dann die Aufnahmeprüfung endlich geklappt“). 

Schon in ihrer ersten Antwort-Email auf meine Interview-Anfrage war sie genauso sympathisch, offen und locker, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sie schrieb mir: „Ich weiß ehrlich nicht genau, ob ich so spannend bin, wie Sie denken, aber vielleicht ist es ja davon abgesehen erfrischend, sich kennenzulernen!“ Da sie im Dezember noch sehr eingeteilt war, haben wir das Interview für Anfang 2020 eingeplant. So geschah’s – letzte Woche habe ich Steffi Krautz aka frisch gebackene Nestroy-Preis-Gewinnerin (woohoo!) in ihrer Wohnung im 6. Bezirk besucht. Sie hat mich herzlich empfangen und mir eine Wohnungsführung gegeben (war beeindruckt!), bevor wir uns mit einem Gläschen Rosé (wurden dann 2,3) an den Tisch setzten und uns über ihr Leben als Schauspielerin und die Theaterwelt in all ihren Facetten unterhielten. 

Du hast ja 2019 den Nestroy-Preis als Beste Schauspielerin für deine Rolle als Blanche Du Bois bekommen. Was bedeutet dir dieser Preis? 

Doch, das ist ein schöner Preis. Ich habe es nicht erwartet, weil – auch wie ich das in den letzten Jahren so beobachtet habe – selten ein Darstellerpreis ans Volkstheater geht. […] Wir haben zwar schon Ensemblepreise bekommen, […] aber die Darstellerpreise gehen eigentlich immer an die Burg. Und deshalb war ich wirklich überrascht. Und doch, es hat mich sehr gefreut! Ich bin ja von [Kay] Voges nicht ins neue Ensemble übernommen worden und da ist dann sowas vielleicht ganz hilfreich. Es hat sich zwar noch nicht gezeigt, dass es hilfreich wäre, aber eben auch um eine kleine Aufmerksamkeit zu bekommen, oder um das Forum zu nutzen, um bei so einer Preisverleihung dann was zu sagen. Das ist natürlich nicht schlecht, sodass sich das Gesicht oder die Stimme, oder das, was man sagt, irgendwie noch ein bisschen einprägt und man in einer Stadt, die ja doch recht groß ist, und extrem viele Künstlerinnen und Künstler hat, weiter im Gespräch oder im Gesicht bleibt.

Aber das heißt, du bist jetzt nicht übernommen worden? 

Nein, das ist ein relativ normaler Vorgang – ist ja jetzt auch nicht mein erstes Theater. Natürlich ist man enttäuscht und verletzt, aber wenn so ein Team neu in eine Stadt kommt, dann ist das relativ normal, dass sie sich ihre alten Weggefährten und Weggefährtinnen mitbringen. In Düsseldorf waren wir damals ein viel größeres Ensemble – ich glaube, wir waren 25, die da gekündigt wurden, und Amélie Niermeyer hat damals ein paar Leute behalten, die mit Anna Badora damals nicht so verflochten – und eher etwas frischer im Ensemble waren, bzw. ältere Kollegen, wo’s auch schwierig ist in Deutschland, die zu kündigen. Sie hat sich nur einen kleinen Stamm behalten und neu dazu engagiert. Und als wir damals nach Graz kamen, wurden unseretwegen auch Leute gekündigt. Also dieser Vorgang ist leider normal. Er ist zum großen Teil auch nachzuvollziehen. Was man persönlich damit macht, muss jeder selber wissen. Also ist schon hart, find ich. 

Ja. Aber das heißt, wie geht’s da jetzt für dich weiter? Ich habe ja gesehen, du hast ja auch laufende Produktionen…

Naja, mein Vertrag endet ja erst im August. Bis dahin bin ich in Lohn und Brot beim Volkstheater und kriege mein Geld und spiel’ natürlich alle Produktionen, die jetzt auf dem Spielplan sind zu Ende und mache zwei neue noch, die aber dann alle bis spätestens Mitte Juni abgespielt sind.

Und dann hab’ ich Ferien. Ich hab’ mich eben aufgrund meiner privaten bzw. familiären Situation entschlossen, hier zu bleiben, da mein Mann weiter [im Volkstheater] arbeiten wird. Und ich hab’ ja noch einen Zweitjob – ich bin ja an der Musik und Kunst Privatuniversität angestellt. Im Moment für 10 Stunden in der Woche und das werden wir, wenn das so klappt, wie wir uns das alles vorstellen, dann auf 14 Stunden erhöhen. Naja und dann bin ich so eine 3/4 Universitätsprofessorin, und kuck’ mal, was kommt. Da verdiene ich zwar jetzt wesentlich weniger, als ich’s jetzt hatte. Aber das geht schon irgendwie. Aber ich möchte da bleiben. Ich möchte bei meinem Mann bleiben. Wir haben erst letztes Jahr geheiratet und es würde wahnsinnig viel finanziellen Aufwand bedeuten, wenn ich mich jetzt in Deutschland bewerben würde, um wieder ins Festengagement zu gehen. Wir müssten [das gemeinsame Zuhause] hier auflösen, jeder müsste sich wieder eine eigene Wohnung suchen – find’ mal einen Job, der so gut bezahlt ist. Das muss schon wirklich ein A-Haus sein, dass man es sich leisten kann, eine Fernbeziehung zu führen und ab und zu herzufliegen. Das ist schon fast illusorisch. Also das müsste dann schon Hamburg, Düsseldorf oder Frankfurt sein – die zahlen gut. Und da hab’ ich weder Kontakte, noch wüsste ich, wie ich das anstellen soll. 

[…]

Was ich noch zur Nestroy-Gala sagen wollte… und zwar hast du da ja in deiner Preisverleihungsrede angemerkt, dass dich ein Kritiker als „zu dick, zu alt und zu wenig attraktiv für die Rolle als Blanche Du Bois“ bezeichnet hat. Was macht so eine Aussagen mit dir? 

Wütend! Ich war wütend.

Ja?

Ja! Natürlich war ich wütend. 

Wer war das, wo war das?

Das war Standard. 

Wirklich? 

Ja. Naja es stand glaub’ ich wirklich drin „Sie ist zu alt und zu wenig attraktiv“ oder „nicht das, was man sich unter einer Südstaatenschönheit vorstellt.“ So. Ich mein’, da kann man dann alles reinlesen, und genau das meinte er. Also das ist nicht das zarte Wesen, das man sich vorstellt… Oder Frau Mottinger schrieb „bullige Blondine mit schlecht gefärbten Haaren.“ 

Um Gottes Willen!

Ja! Richtig heftig! Und das ist nicht in Ordnung. Und nicht nur für mich, sondern wir führen jetzt diese Debatten seit vielen Jahren und es gibt auch journalistische Tools, wo man sagt „Prüf’ mal! Setz’ mal überall einen Mann ein statt „sie“- würdest du das dann genauso schreiben?“ Oder das hab ich letztens gelesen: „Würdest du das demjenigen auch ins Gesicht sagen?“ Das find ich ein tolles Tool! Das ist sehr gut – würdest du das genau so sagen, wenn du mir gegenüber sitzt? Und ich glaube nicht. Und wer bewertet das überhaupt? Hat ein Kritiker das Recht, zu sagen, wer das spielen sollte? Zumal er mich ja eigentlich fürs Spiel gelobt hat. Aber er konnte nicht umhin, zu sagen, dass das eigentlich so nicht geht. 

[…]

Wie wichtig sind dir generell die Stimmen der Kritiker? Liest du dir die Rezensionen durch?

Ja, ich lese die schon. Vor allem, wenn man im Ensemble ist. Man möchte natürlich auch, dass die Leute kommen. Ich weiß gar nicht, wie viel Einfluss das hat. Ob eine schlechte Kritik Leute davon abhält, zu kommen. Aber in den letzten Jahren wurde wirklich ziemlich Stimmung gemacht gegen das Volkstheater in den Medien. Und das hat mich dann schon sehr interessiert. Weil es oft auch divergierte. Also das, was ich auf der Premiere erlebt hab’- der Applaus – zu dem, was dann in der Zeitung stand. Wo ich dachte: „Entschuldige, wart ihr in einer anderen Vorstellung oder was? Also das kann ja wohl nicht wahr sein.“ Doch! Und natürlich – klar! – wer ist frei davon zu sagen, man möchte natürlich, dass da drin steht, dass man das gut macht. Klar. 

In deiner Vita auf der Website der Musik- und Kunstuni steht „1990 – hat dann die Aufnahmeprüfung endlich geklappt, Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater Rockstock, Diplom.“ Wie viele Anläufe hast du denn genommen, bis es geklappt hat? 

Ganz genau weiß ich’s nicht mehr. Aber ich weiß, dass ich eben schon sehr früh angefangen hab’. Ich war mit 15, noch zu DDR-Zeiten, schon bei einem Voreignungstest an der Schauspielschule in Rostock, den sie mir eigentlich auch ganz positiv bescheinigt haben: „Ja da ist was, kommen Sie dann wieder, wenn Sie so weit sind.“ Und als ich dann so weit war, ist nichts dabei rausgekommen. Man muss ja trotzdem erstmal einen Beruf lernen oder Abitur machen – eins von beiden braucht man als Voraussetzung für das Studium. Es war damals noch ein Hochschulstudium. Aber da’s ein künstlerisches war, war ein Abitur nicht zwingend, also man hätte auch mit einer Berufsausbildung dort studieren können. Und ja, dann war ich nochmal in Rostock, nochmal in Leipzig… Vielleicht 4 oder so? Es gibt Leute, die machen viel mehr. Aber als ich gemerkt hab’, das wird nichts – entweder nehm’ ich’s auf die leichter Schulter oder ich hab’ irgendwas nicht verstanden, bin ich dann erstmal nochmal arbeiten gegangen ans Theater, und dadurch hat sich dann auch viel gelöst oder hab ich einiges verstanden, was ich vorher nicht verstanden hab. 

Des Weiteren steht dort geschrieben, dass du zwischen 1994 und 1998 immer wieder „Brotjobs“ dazwischen hattest. Was genau hast du da gearbeitet?

Ich war in einem CD-Geschäft. Und hab da so ziemlich alles gemacht. Von blöd am Player stehen und Leuten CDs einlegen bis zu Lagerarbeiten – es war nämlich ein Großhandel. Ich hab ziemlich viel über Popularmusik gelernt in der Zeit. Was mich sonst nicht so interessiert hat. Aber es war wirklich Brotjob. Und zwischendrin habe ich eben versucht, irgendwo in meinem Beruf zu arbeiten. 

Was haltest du grundsätzlich von Altersgrenzen bei Ausbildungen? Findest du, dass die Sinn machen? 

Interessante Frage. Weil wir uns an der Uni da jetzt echt beschäftigen damit. Wir dürfen vom Gesetz her eigentlich keine Altersgrenzen mehr angeben. Das Problem allerdings ist: Wir sollten ja eigentlich unseren Studierenden eine Anstellungsgarantie geben. Wir sollten sie so ausbilden, dass wir sagen: „Das wird schon was.“ Und man ist immer von diesem normalen Stadttheaterprinzip ausgegangen: Wenn die junge Absolventen engagieren, dann will man bei den Damen, dass die eben noch locker ein Gretchen, ein Käthchen – also diese klassischen ganz jungen Rollen, und nicht nur die klassischen, sondern auch die modernen- spielen können. Und das gibt’s auch bei Damen, die 25 sind, dass die noch so ganz jung wirken, aber viele, die dann mit 26 oder 27 fertig sind, haben einfach große Schwierigkeiten, wirklich eine Festanstellung zu finden, weil sie einfach reifer wirken. Das könnte in einem Ensemble dann auch eine 30-Jährige übernehmen, die aber schon mehr kriegt. Das heißt, du hast es erstens sehr, sehr schwer. Du merkst es einfach, dass junge Damen, die so jung wirken, viel besser „weggehen“, als Frauen, die einfach mit 26 vielleicht auch schon mal ein halbes Studium gemacht haben, die ein bisschen was vom Leben wissen – denen traut man das dann nicht zu. Das find ich total bekloppt. Ich finde es absurd, zu sagen, ein Gretchen kann man nur spielen, wenn man so ganz jung aussieht. Das ist Schwachsinn! Das ist einfach so eine engstirnige Sicht, die noch so aus der alten Zopfzeit kommt. So. Insofern verschiebt es sich. Langsam. Erstens dürfen wir’s nicht und zweitens reden wir aber trotzdem drüber. Natürlich reden wir drüber. Aber es hat nichts mit Aussortieren zu tun. Ich kuck da manchmal so drauf und sag: „Wollen wir’s auf uns nehmen? Wenn sie ausgebildet ist, ist sie 30! Müssen wir da vorher nochmal mit ihr reden und ihr sagen, dass das dann ganz, ganz, ganz schwer wird?“ Wenn sie ein Filmgesicht ist, geht’s immer. Wenn sie sowieso frei arbeiten will, oder ihre eigene Gruppe gründen will [ist’s kein Problem]. Aber du wirst wahrscheinlich kein Erstengagement wo kriegen. Und da werden die ersten Jahre wirklich, wirklich hart. Wenn man noch überhaupt keine Netzwerke und Connections hat. Das kann immer mit Glück ganz anders laufen. Aber es ist eine Gefahr. Und über die reden wir. Und nicht über „die ist zu alt, die nehmen wir nicht!“

[…]  

Das ist interessant. Aber würdest du sagen, das ist nur bei Frauen so? Kann man Männer auch später vermitteln? 

Mehr, ja. 

Frauen müssen quasi jung sein. 

Naja müssen nicht. Aber es ist bei Männern wirklich immer noch was anderes. Ein Mann mit 25… Erstens gibt’s viel mehr Rollen für Männer im klassischen Repertoire. Im modernen zieht sich’s glaub’ ich auch noch rein. Aber ist was anderes. Es ist aber wirklich eine überkommene Sicht. Das kann man nur ganz langsam ändern. Es hilft nichts.

[…]

Wenn’s jetzt ums Thema Älterwerden geht – hast du das Gefühl, dass es im Theater so ist, dass Leute lieber alte Männer als alte Frauen auf der Bühne sehen? 

Hm. Vielleicht von der anderen Seite – es ist in der Tat so, dass die Rollen erstmal weniger werden. Ganz klar. Und es gibt auch eine merkwürdige Tendenz, immer jünger zu besetzen, als die Rolle das eigentlich [vorsieht].

Tatsächlich? 

Ja find ich schon, das hab’ ich schon so beobachtet. Oder dass man sagt: „Nein, das machen wir mit ganz jungen Leuten, weil das ist total spannend, weil es den Konflikt verschärft!“ Sag’ ich: „Jaaa… okayyy…möglicherweise…“ Aber: bestimmte Sachen kann man ja auch erst spielen, wenn man ein bisschen älter ist. Von allem Möglichen her – von der Lebenserfahrung her, und auch von der Theatererfahrung her. So, das heißt, erstmal werden die Rollen weniger. Und naja dann gibt es nicht mehr so richtig gute Theaterrollen für Frauen im reiferen Alter. Da find ich’s dann schon wieder interessanter, zu sagen, es kommen mehr Männerrollen auf einen zu – das find ich wirklich interessant. Statt kleine Rollen zu spielen die ganze Zeit, weil sie mit einem nichts mehr anfangen können. Oder im postdramatischen Theater ist es dann interessant – bei der Jelinek ist es ja völlig egal, wie alt man ist, welches Geschlecht man hat, ob man auf Krücken geht oder im Rollstuhl sitzt  – völlig wurscht. Das ist ein Text, mit dem musst du dich beschäftigen. Und das hat mit deiner äußeren Person als Schauspieler nichts zu tun. Du kannst nur was dazu geben, was du eben weißt – über die Welt, und dein Verständnis darüber, wie du eben diesen Text so transportierst, dass das eine Klarheit hat. Und das ist, finde ich, eine Chance für uns ältere Darsteller, dass es im postdramatischen Theater mehr Textflächen gibt, wo eben nicht mehr Figuren gespielt werden müssen. Obwohl ich das sehr vermisse. Letzens auf der Uni hat die Dorothee Hartinger gesagt: „Leute! Wann hab ich eigentlich zum letzten Mal eine psychologische Figur gespielt?!“ Und dann hab ich gesagt: „Dorothee, das stimmt!“ (lacht.) Gut, Peer Gynt jetzt und die Blanche – aber sonst ist es extrem viel Form, extrem viel „wir bauen ein Stück“ oder „wir machen aus ’ner Textfläche was“ oder so, aber so richtig mal psychologisch eine Figur aufbauen – das kommt immer weniger. Und das vermiss’ ich auch total. Jelinek – klar, das ist total interessant und spannend – aber Figurenspiel ist es nicht. Es ist so die andere Seite, es ist Textbehandlung. Formales Spiel oder Chöre oder sowas. Aber dass man sich wirklich in einen fremden Kosmos einarbeiten muss, das kommt immer weniger. […] Die Chance für uns Ältere wieder an größere Parts zu kommen, ist die Postdramatik, ehrlich gesagt. Weil’s da nicht so drauf ankommt, [wie alt man ist]. Weil Figuren nicht so gefragt sind. Aber ob ’ne alte Frau jetzt gern gesehen wird? Weiß ich nicht. Also ich finde charismatische, alte Frauen großartig. Ich mein’ Frau Orth wird glaub’ ich nach wie vor gern gesehen, oder Frau Dene. Man muss halt dann auch wirklich sehr gut sein. Und ich glaub’, was die Orth und die Dene auszeichnet, ist diese Uneitelkeit – also da geht’s nicht mehr um die Schönheit. Die sind von innen schön. Da geht’s nicht mehr um „bin ich schlank, bin ich [dies oder bin ich] das“. Das ist das Schöne am Alter. Dass man sagen kann „Ist mir doch egal, ob ich in eine 36 passe, ist doch völlig egal!“ 

[…]

Du spielst ja in mehreren Produktionen gleichzeitig. Fällt es dir da manchmal schwer, von einer Rolle in eine andere zu switchen? 

Nein. Das ist so ein „Irrglaube“, dass man als Schauspieler braucht, um da reinzukommen und wieder braucht, um da rauszukommen. Ich habe in Düsseldorf extrem viel gelernt, was das Handwerk betrifft. Da hab’ ich in den letzten Jahren wahnsinnig viel gespielt. Und da hatte ich – da  das Ensemble und auch das Repertoire größer war und mehr Geld da war- in Hochzeiten mal 7 oder 8 Stücke im Repertoire. Und das war wirklich viel. Aber da war ich auch noch relativ jung und hatte sehr viel Kraft. Ich habe es geliebt, so viel Kraft zu haben. Also das hat mir auch was bedeutet. Mir bedeutet das immer noch was. Damals war das natürlich auch so ein „Woahhh, das schaff ich!“ Ich bin Offizierstochter, ich jammere nicht. Ich bin so erzogen, da wird nicht gejammert. Und ich hab daraus auch was geschöpft… Nein. Rein- und Rauskommen ist überhaupt kein Problem. Der Text sitzt – ich stell mir mein Gehirn immer vor wie so ein Sekretär mit ganz vielen Schubladen, und wenn man weiß, heute ist Peer Gynt, sieht man, diese Schublade geht auf und da ist der Text dann drin. […]

Aber es ist schon viel Text zum Merken…

Ja. Aber ich bin eine begnadete Textlernerin. Dafür kann ich nichts. Das ist eine Gabe, dafür kann ich nichts. Ich lerne erstens ganz gerne und auch sehr schnell und merk’s mir auch über lange Zeiträume. Und vertrau’ dem Körper. Der Körper weiß das. Wenn du an der Stelle immer gestanden bist auf der Bühne und immer das gesagt hast, dann weiß der Körper: Wenn du dahin gehst, kommt der Text. So ist das. Das kannst du bei dir selber auch sehen. Das nennt man „emotionales -“ bzw. „körperliches Gedächtnis“. Das funktioniert. 

Und wie gehst du grundsätzlich an eine neue Rolle heran? Wenn wir jetzt die Blanche hernehmen – wie erarbeitest du dir diese Rolle? Also, wenn du erfährst, du kriegst die Rolle, wie gehst du dann vor? 

Unterschiedlich. Die Blanche ist ein Sonderfall. Weil sowas kriegt man nicht allzu oft. Es sei denn, man ist grad der Shooting Star und spielt alles hoch und runter. Was ja auch nicht unbedingt von Vorteil ist. Als ich die Blanche angeboten bekommen habe, ging ich mit der spazieren. Noch vorm Textlernen. Man überlegt sich, wer das ist. Und warum die so ist. Und wo die herkommt, und was die will. Und das arbeitet in einem erst mal so. Dann fängt man an, den Text zu lernen, bzw. war ich dann bei der Konzeptionsprobe und sah das schräge Bühnenbild und die schrägen Kostüme und lernte die schräge Regisseurin kennen – und dann ist man mal so „Gott-oh-Gott-oh-Gott – wird das was?!“ Aber ich habe das dann relativ schnell eingemeindet bei mir und vertraut. Und dann fängt man an, die zu leben und zu be-leben. Es macht jeder wahrscheinlich auch anders. Sonderfall deshalb, weil das eine Rolle war, die so nah an mir dran war – nicht jetzt an mir persönlich, weil ich so bin, aber so nah an mir als Schauspielerin. Zu sagen: „Das und genau das kann ich jetzt spielen.“ Und zwar mit allem, was ich zur Verfügung habe. Ich versteh’ da was. Ich versteh, was für eine Angst die hat – das hat was mit dem Alter zu tun, ich versteh’ ihre Sehnsüchte – ich versteh’s. So. Und das kann ich gerade so beglaubigen. Das hätt’ ich vor 5 Jahren noch nicht so gekonnt. Vielleicht schon auch, aber noch nicht so. Und deshalb war diese Probenzeit extraordinär, muss ich wirklich sagen. Ich bin nicht sie geworden, aber ich habe extrem viel gebadet. (lacht)

Wirklich? Herrlich!

Ich habe noch nie so viel an meinem Körper herumgemacht und rasiert und gecremt und gepudert – jaja, auch privat. Naja, weißt du, du gehst in die Probe und hast zu tun mit Mitch – dem jungen Schauspieler. Es ist ja die ganze Zeit alles erotisiert und mit Sehnsucht behaftet und mit Vertraulichkeit und Gefühl. Und natürlich will man dann schön sein. Man macht das plötzlich. Ich bin sonst nicht so ein eitler Mensch, aber plötzlich war’s mir wichtig, dass die Augenbrauen gezupft sind, wenn ich Mitch gegenüber trete, dass die Nägel lackiert sind… Das war ein großer Teil. Aber das ist nichts, wo man sich „reintut“, sondern das passiert, wie von selbst. Und deshalb sage ich Sonderfall. Das passiert nicht in jeder Figur, natürlich nicht. 

Ist auch eine tolle, komplexe Rolle. 

Ja. Und davon gibt’s auch nicht so viele. Wie gesagt – gerade für Frauen in dem Alter nicht. […]

Ich hab auch mal eine tolle Thomas Bernhard Figur gespielt – Am Ziel – da hab’ ich wirklich zwei Monate lang Text gelernt, weil das so so viel ist. Und ich wollte aber den Text können zum Probenbeginn – das ist was ganz Altmodisches, macht heute keiner mehr. 

Das macht keiner mehr? 

Ganz selten. Aber ich liebe es! Aber man kriegt ja den Text meistens erst zur Konzeptionsprobe. Ganz selten kriegst du die Fassung so, dass du auch Zeit hast, dich geistig darauf vorzubereiten. Furchtbare Sitte! …Und da hab ich durch das Lernen allein – durch den Text, dass du jeden Tag zwei Stunden diesen Text machst, wirst du zu einer Bernhard-Figur. Die war so hochgeschlossen, weißt du. Und die ging so an einem Stock und hatte einen leichten Hüftschaden (also so hab ich sie zumindest gespielt). Und sobald ich dieses Kostüm anhatte und frisiert war, merkte ich, wie dein Körper zur Figur wird. Kostüm ist die halbe Miete! Ein gutes Kostüm macht die halbe Figur. Es war richtig toll. Gute Kostümbildner sind äußerst selten. Und so kann man auch Figur werden. Und andere – ja, die spielt man halt auch ein bisschen mit links. Das ist so. Wenn du 6 Premieren in der Spielzeit hast, ist nicht jede so wichtig. Isso. Aber man macht seinen Job. 

Jetzt steht ja an „Körper-Krieg“, da ist die Premiere Ende März. Ich habe mir jetzt im Internet die Beschreibung von diesem Stück durchgelesen, und finde das Thema irrsinnig spannend: Doping, Zwangsdoping. Würdest du sagen, dass dieses Leistungsdenken auch im Theater verankert ist? Würdest du sagen, man kann Parallelen ziehen zwischen der Sportwelt und dem Theater? 

Hm. Ich persönlich seh’s nicht so. Weil mich – wir reden mal nicht vom Doping, sondern vom Sport – dieser sportliche Gedanke auch immer sehr interessiert hat. Wie viel schafft man eigentlich? Wie viel geht eigentlich? Das Schöne ist ja, wenn es wirklich Spaß macht, dann ist es ja sehr geil. Wenn du aus einer tollen Vorstellung kommst, dann energetisiert dich das total. Das ist Adrenalin. Nach der Blanche hätt’ ich dir noch Bäume ausreißen können danach. Da mach ich auch gern noch Publikumsgespräch. Nach einer Vorstellung, in der ich nicht viel zu tun habe, bin ich müde und schlecht gelaunt. Aber deshalb hat es was mit Sport zu tun. Das Adrenalin ist eine geile Sache irgendwie. Es gibt Kollegen, die sehr schimpfen können – ich kann das auch, aber ich schimpfe nie über die Mühle. Diese Stadttheater-Mühle, die stört mich gar nicht. Wenn die Projekte interessant sind, wenn ich gern zur Vorstellung geh’, stört mich das überhaupt nicht. Es wird dann mühsam, wenn du’s mal schlecht erwischst, und irgendwie eine Saison hast, wo du von fünf Premieren, die du hast, vier leider blöd findest. Oder nicht gut zu tun hast. Oder mal Pech hast. Das gibt’s, es gibt solche Saisonen. Dann wird es wirklich zu so einer komischen Tretmühle, zu so einer „Leistung-abliefern“-Sache. Aber daran wird man jetzt nicht unbedingt so gemessen. Aber es gibt viele Kollegen, die darüber klagen, aber mir ging das nie so. Aber es gibt Parallelen zum Sport, auf jeden Fall! Finde ich. Andere sehen das nicht so. Das ist wirklich meine eigene Meinung. 

Ja, was ich mir halt immer denke ist: Du musst immer abliefern. Du kannst jetzt nicht sagen „Heute freut’s mich weniger.“

Ja, du musst spielen, auch wenn’s dich weniger freut. Und da ist der Unterschied: Das sieht man bei uns gar nicht so oft. Ob ich jetzt wirklich schlecht gelaunt spiele, sagen wir beim „Guten Menschen von Sezuan“ – das ist eine recht formale Angelegenheit, da hab ich sehr viele kleine Auftritte. Ob ich da gute Laune oder schlechte Laune hab’, das siehst du nicht. Ich spiel’ das so. Ich kann das heute mal mit mehr Schwung oder in die andere Richtung machen, wenn ich Bock hab’. Wenn ich aber gerade müde bin, dann liefer’ ich das ab. So wie’s geprobt ist oder so wie’s gehört, mit der Energie, die’s braucht, und kann aber wirklich abgehen und denken „Was wollt ich morgen kochen?“ 

Wirklich, ja? 

Natürlich! Wer das als Schauspieler nicht zugibt, lügt. Deshalb – es ist ein Beruf. Ein handwerklicher Beruf, bei dem ab und an der Schuss Genialität oder das „Fliegen“ dazukommt. Aber oft ist es Handwerk. Ich sag’s so wie’s ist. Wie gesagt, man hat gar nicht so oft die Chance, so richtig zum Blühen zu kommen. So richtig. Das gibt’s gar nicht so oft. 

[…]

Willst du das Textbuch seh’n?

Klar! Gerne!

(Steffi holt das Textbuch zu Elfriede Jelineks Urfaust/FaustIn and out – eine aktuelle Volkstheater-Produktion, die Ende Februar Premiere hat)

Ich kringle oder unterstreiche Wortwiederholungen z.B. Oder ich markiere Stellen – wenn das jetzt eine Stelle ist, wo zehn „W’s“ vorkommen, schreib’ ich an die Seite: „W“, oder „W-Stelle“, und manchmal schreib ich auch: „10x“. Oder hier z.B. „E – I – O – A“. Und wer bewertet diese Arbeit? Wieso sag ich das überhaupt? Woher hab ich das bloß? Was? Und so merk’ ich mir das. (lacht.) Deshalb weiß ich, welcher Satz wann kommt. Weil sonst – logisch kannst du dir diese Fragen nicht merken. Die haben keine Logik, die bauen sich nicht auf. Wenn ich mir das unterstreiche – ich lern’ glaub ich auch visuell – dann weiß ich das. 

[…]

Sehr spannend. Ich hab mir vorhin, als du kurz über die Uni geredet hast, gedacht, ich glaube, du bist auch eine sehr leidenschaftliche Dozentin. Also ich hab das Gefühl, du beschäftigst dich dann auch wirklich mit deinen Studentinnen und Studenten. 

Ja! Naja eben, weil jeder anders ist. Das ist das Interessante an dieser Lehre. Ich hab’ jetzt dann wieder einen Studenten aus dem 2. Jahrgang und drei Jungs aus dem 3. Jahrgang. Und mit dem Ludwig aus dem 2. mach’ ich Monologarbeit, d.h. ich bin mit ihm allein. 6 Stunden die Woche. Nur wir beide. Und da muss man sich kennenlernen. Er darf mich alles fragen, was ihn interessiert. Ich darf ihn fragen. Und jeder darf sagen, wenn er über was nicht sprechen möchte, aber ich frag’ alle aus – über Familie, über wo sie herkommen, was sie gern lesen, wie das Verhältnis zu ihren Geschwistern war. Es ist so ein Unterschied, ob jemand ein Arztsohn, Einzelkind,… ist. Man muss so den „Stallgeruch“ rauskriegen auch, um sie abzuholen. Und es gibt Menschen, die verstecken sich ganz lange – muss man auch akzeptieren. Und kucken, ob man irgendwann den Eingang findet. Ehrlichkeit ist, finde ich, ganz wichtig. Natürlich eine vorsichtige. Man kann auch mal mit der Tür ins Haus fallen – es kommt immer auf die Leute drauf an, ob die das abkönnen, ob die selber so sind, was man für eine Sprache findet. Es ist schwer. Aber schön. 

Aber es ist sicher schön, wenn man so viel weitergeben kann, oder? 

Wenn sich was einlöst. Ich geb’ wahnsinnig gerne. Und wenn’s dann bei der Werkschau echt zurückkommt, und du stehst nur grinsend da: „Er hat’s kapiert!“ Das ist das Schönste, was es gibt. Wenn sie dann selber ganz glücklich sind. Dann denkt man, die Zeit war gut. Und das ist auch etwas ganz Wichtiges, was wir uns alle auch immer wieder sagen müssen – in der Lehre und auch die Studierenden: „Es ist immer ein Prozess.“ Natürlich sind die Werkschauen so kleine Premieren. Aber es ist das Ergebnis eines Arbeitsvorgangs: So weit sind wir gekommen. Und das ist noch offen. Und das müssen sich alle immer wieder sagen. Sowohl die Dozentinnen und Dozenten als auch die Studierenden. Weil wenn dann wer denkt „Oh Gott, jetzt hat’s nicht geklappt zur Werkschau“ – Ja und!? Wir sind im Studium. Wo, wenn nicht hier hast du die Chance, zu sagen: „Das nächste Mal besser!“ Und keiner schmeißt dich raus. Es ist Arbeit. Und diese Arbeit als Schauspieler hört nicht auf. Man wird, wenn man Glück hat, immer besser. Und wenn man faul ist, wird man nicht immer besser. Aber wenn man Glück hat – also auch gute Begegnungen mit guten Leuten und mit guten Rollen hat (das ist wirklich wichtig!), dann kann man besser werden. Immer besser. Bzw. auch anders. Das entwickelt sich, das wird. Frau Orth war auch nicht so mit Anfang 20 wie sie jetzt ist – so gelassen und so weise, so erhaben. Die hat so eine Ruhe auf der Bühne, wo man irgendwie denkt, die hebt nichts mehr aus den Reihen. Weißt du, die schöpft jetzt nur noch aus sich. Das kann man aber erst, wenn man das alles durchlaufen hat. Und auch diese vielen Sachen probiert hat und gemacht hat. Das ist schon ein toller Beruf. Aber er kann auch sehr verletzen, und man muss Glück haben. 

[…]

Letzte Frage: Mit welchem Schauspieler/in (dead or alive) würdest du gerne einmal Abendessen gehen?   

Judi Dench. Vielleicht Judi Dench. Aber es gibt sicher noch andere. Aber die find’ ich schon sehr toll. So möcht’ ich sein, wenn ich so alt bin. So cool, und so schön. Die ist so schön auch. Und die hat so eine Lässigkeit, und so eine Strenge, und so einen Witz. Ja. So wär’ ich gern als alte Frau.