Question for the culture.

Wer’s noch nicht mitgekriegt hat – Lana del Rey hat vor drei Tagen auf ihrem Instagram Profil eine „Question for the culture“ gepostet, die so ein bissl nach hinten losgegangen ist. (#shitstorm) Sie beginnt mit diesem Satz hier: “Now that Doja Cat, Ariana, Camila, Cardi B, Kehlani and Nicki Minaj and Beyoncé have had number ones with songs about being sexy, wearing no clothes, fucking, cheating etc – can I please go back to singing about being embodied, feeling beautiful by being in love even if the relationship is not perfect, or dancing for money – or whatever I want – without being crucified or saying that I’m glamorizing abuse??????
Hmpf. Ich les’ das so und fühl mich wirklich instant irritiert. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass eine Lana del Rey sich mit niemandem vergleicht oder vergleichen müsste. How very naive of me, immerhin ist sie ja auch nur ein Mensch und wer kann sich 2k20 schon dem „höher, weiter, schneller, besser“-Game entziehen? Gerade wenn du so weit oben bist, wird, glaube ich, die Luft relativ schnell relativ dünn. Aber ich finde, strategisch gesehen war’s nicht unbedingt der klügste Move, explizit andere Repräsentantinnen der amerikanischen Musikindustrie in diesem Post zu nennen und sich somit mit ihnen in einen direkten Vergleich zu begeben. (Why, girl?!?!) Noch dazu in diesem gepissten Ton. Es klingt so ein bissl wie „Mama, warum kriegt meine kleine Schwester XY und ich nicht?! Und überhaupt – warum bekommt sie so viel mehr Aufmerksamkeit als ich?! Taugt mir null!“ Alle Erstgeborenen können dieses Szenario und das damit einhergehende g’schissene Gefühl jetzt womöglich sehr gut nachvollziehen, in memoriam an ihre Kindheitstage. Ich glaube, bis zu einem gewissen Grad ist das fast normal, dass man sich so fühlt als Älteste(r). Zumindest kenne ich sehr viele Erstgeborene, die auch eine gewisse Rivalität gegenüber den jüngeren Geschwistern verspürt haben. Und das Ding ist – auch wenn man im weiteren Verlauf des Lebens vielleicht nicht mehr mit der eigenen Schwester/dem eigenen Bruder um die elterliche Gunst buhlt, dieses Eifersuchtsgefühl aus der Kindheit kann ganz schön tricky sein. Das kann einen in den unterschiedlichsten Situationen wieder übermannen, und dann denkst und agierst du nicht wie die souveräne Erwachsene, sondern wie das Kind, das man halt damals war, und das sich in seinem Wert gegenüber jemandem anderen herabgesetzt fühlt. Ich habe gerade gegoogelt, und ich sag’s ganz ehrlich: Es überrascht mich nicht, dass Lana del Rey auch Erstgeborene ist. Ich hätte drauf wetten können. Für mich klingt dieser Absatz eben nicht nach Lana del Rey aka „I’m just a glamorous person“, sondern nach einem trotzigen Kind, das sich benachteiligt gegenüber anderen fühlt.
Im weiteren Verlauf ihres Posts erklärt sie, dass sie „not not a feminist“ ist (ahm???), aber dass offenbar im Feminismus kein Platz für Frauen wie sie wäre, und damit meint sie „the kind of woman who says no but men hear yes – the kind of women who are slated mercilessly for being their authentic, delicate selves.“ O-kay. Also sie möchte über emotional missbräuchliche Beziehungen singen dürfen, und trotzdem auch zu den Feministinnen gezählt werden, weil diese Art von Beziehung immerhin auf der gesamten Welt vorherrsche, und sie anderen Künstlerinnen den Weg geebnet habe, auch über ungemütlichere oder traurige Themen zu singen. (“It’s you, it’s you, it’s all for you – everything I do” – I feel that is indeed a bit sad…) Zum Schluss dann noch eine Ankündigung ihrer zwei neuen Gedichtbände und ihres neuen Albums. Passt.
Meiner Meinung nach war das insgesamt ein sehr mühsamer Post. Noch mühsamer waren dann aber ihre ganzen Rechtfertigungen in den Kommentaren. Was nämlich die getriggerten Leser dieses Posts draus gemacht haben, war ein Woman of Color (WoC)- Skandal. Das wäre mir im Leben nicht eingefallen. Ich mein?!?! Seit wann ist die Ariana Grande eine Woman of Color?! Du kannst schon echt alles in alles hineininterpretieren. Der Lana selbst wär’s glaube ich auch nicht eingefallen. Was aber borderline lächerlich war, war ihre Reaktion darauf:

Bro. This is sad to make it about a WOC issue when I’m talking about my favorite singers. I could’ve literally said anyone but I picked my favorite fucking people. And this is the problem with society today, not everything is about whatever you want it to be. It’s exactly the point of my post—there are certain women that culture doesn’t want to have a voice it may not have to do with race I don’t know what it has to do with. I don’t care anymore but don’t ever ever ever ever bro- call me racist because that is bullshit.“

Ja, also nix für ungut, aber dass Lana del Rey BFF mit Ariana Grande und Co. ist und das alles ihre Lieblingssängerinnen sind, das glaubt sie vermutlich selber nicht. Aber jo. Kamma ja mal sagen, wenn’s darum geht, einen WoC-Skandal abzuwenden. Und ja – ihr Kommentar ist sicher nicht so interpretiert worden, wie sie das wollte. Die Frage ist aber natürlich auch: Was genau hat sie sich erwartet? Was war ihre Intention mit diesem Post? Ich bin mir nicht sicher, ob sie das selber so genau weiß (wusste). Von wem genau wollte sie die Erlaubnis zur kreativen Freiheit? Wer genau schränkt sie ein? Schränkt sie sich vielleicht selber ein? Von wem will sie die Anerkennung? Von allen? Von den Kritikern? Hat sie den Eindruck, ihre Lyrics/Songthemen wären der Grund, warum sie nicht auf der #1 der Billboard Charts sitzt, wie eben Ariana und Co.? Warum ist das überhaupt so wichtig? Dann die Sache mit dem Feminismus – Ich mein, ich versteh’ schon, dass es sicher scheiße ist, wenn du als Vorwurf bekommst, das Frauenbild, das du in deiner Kunst zeichnest, würde Frauen um Hunderte von Jahren zurückwerfen. Aber why give a shit?
Und so von einer persönlichen Warte aus – ich finde Lana del Rey als Songwriterin sehr inspirierend. Ich liebe ihre Eloquenz, ihre Nuancen, sehr oft auch ihre Melodieführung, die Vibes, die sie vermittelt. ABER: Ich hätte mich jetzt noch nie „empowered“ gefühlt von ihren Texten, so im Stile einer Kelly Clarkson „what doesn’t kill you makes you stronger“. Allerdings haben ihre Songs und Lyrics zweifelsohne eine sehr eigene Qualität. Und ich check auch diese ganze Feminismus-Debatte nicht. Warum ist ihr das so wichtig, dass sie als „Feministin“ getaggt wird? Was heißt es denn überhaupt, eine „Feministin“ zu sein? Warum reicht’s nicht, eine Frau zu sein, die sich lebt, in allen ihren Facetten, und die ihre Besonderheiten / Talente / Gaben mit der Welt teilt? Meiner Meinung nach reicht das vollkommen aus. Ob mich da jetzt wer „Feministin“ nennt oder nicht, ist mir relativ wurscht. Das ist ja fast so, als wäre es ein elitärer Verein, und wenn du eine Cool Cat bist, gehörst du dazu, und wenn nicht, nicht? Und wer bestimmt denn bitte, ob du da dazu gehörst? Diese Unterteilung allein (in „feminist“- „no feminist“ – „not not feminist“, amk) ist für mich antifeministisch. Kann frau bitte einfach so sein, wie frau sein will?
Shallon Lester, die derzeit auch mit einem Shitstorm Windstärke 12 zu kämpfen hat, hat in ihrem Video „How to be confident without comparing yourself“, das rund um Lana del Reys Instagram-Geschichte drapiert ist, ein paar ziemlich gute Zitate geliefert.
Zum einen sagt sie ganz klar, dass „duality“ ein ganz wesentlicher Aspekt von Feminismus sei. Nur weil jemand – wie z.B. eine Lizzo – „laut und stark“ auf andere wirkt, heißt das noch lange nicht, dass sie nicht auch eine sehr weiche und verletzliche Seite hat. Das ist zwar, wenn man nur einen Bruchteil einer Sekunde darüber nachdenkt, komplett logisch, aber irgendwie habe ich schon den Eindruck, dass die Gesellschaft Eindimensionalität ganz klar präferiert, vor allem nämlich bei Frauen. Ich habe vor einiger Zeit Mal einen Artikel gelesen, wo’s um das „Branding“ bzw. das „Image“ eines Künstlers ging. Drei Schlagworte. Mehr darf’s nicht brauchen, um einen Künstler zu beschreiben. Das Image muss nämlich klar und für jeden Trottel sofort erkennbar sein. Das muss picken. Aber da fängt’s schon an mit der Schwierigkeit. Weil beschreibe einen Menschen in drei Worten?!?! Da sind wir sehr oberflächlich unterwegs… Ich denke da immer ans Wasser. Ich mein’ versuche, „Wasser“ in drei Worten zu beschreiben! Geht nicht. Wasser kann seicht, tief, wild, ruhig, klar, schmutzig, salzig, süß, fließend, stehend sein. Und noch vieles mehr. Und genau so ist das bei Frauen. Keine Frau der Welt ist NUR laut. Oder NUR lieb. Oder NUR dies oder NUR das. Und ich glaube Feminismus fängt mal da an, wo man genau das checkt. Und dann braucht’s aber auch keinen „Tag“ mehr für Feminismus. Dann kann einfach jede sein wie sie will, und wonach sie sich fühlt. Und es ist a-okay. Und man muss es auch nicht immer verstehen. Jemanden, den du nicht wirklich kennst, wirst du auch nicht be-greifen können. Wie denn auch? In drei Worten? Lol.
We can’t look at what women are doing. We have to look at where it’s coming from. And we can’t always look at where it’s coming from, because we don’t know all 4 billion women in the world. And it’s none of our fucking business. It’s none of our business. I am sick to goddamn death of the opinionization of the world.“ (Shallon Lester)
Diese Aussage feiere ich. For real. Social Media ist ziemlich ein schräges Pflaster, wenn man sich’s so überlegt. Du fühlst dich Leuten plötzlich nahe, die du vielleicht nicht einmal kennst. Aber es ist eine Schein-Nähe. Und wie brüchig diese ist, lässt sich auch an der Cancel-Culture erkennen:

(https://www.urbandictionary.com)

Einen Tag wirst du gefeiert, den nächsten verrissen. Quick to judge and slow to question.
I have an opinion and I don’t know you and I don’t like your music, so I’m gonna tell you to fuck out, you’re fucking cancelled.“ – Maybe you could just not listen to their music. Maybe just not listen to it and move on with your life. People who don’t like this channel: Don’t watch it!“ (Shallon Lester) So true. Ich mein, ich kann mir ja überlegen, welchen Inhalten ich mich aussetzen möchte, was ich konsumiere und was nicht. Das ist ja keine Zwangsimpfung (#Coronaschmäh). Und wenn mir was nicht taugt, ja dann gönn’ ich mir’s halt einfach nicht. Fertig. Ich hab halt manchmal das Gefühl, das Internet ist irgendwie zu so einem Ort verkommen, wo jeder jeden pleasen muss. Ja niemandem auf den Schlips treten, ja nirgendwo anecken, ja niemanden triggern. Und, mind you, Leute fühlen sich heutzutage von ca. allem getriggert. Also irgendwen triggerst du immer – den einen dort, den anderen da. So als würden nur mehr offene Wunden auf zwei Beinen herumrennen. Etliche Leute fühlen sich getriggert, wenn die Adele abnimmt, weil sie sich vielleicht als Übergewichtige doch nicht so leiwand in ihrem Körper gefühlt hat. (Stichwort “slim shaming”) Andere fühlen sich getriggert, wenn Lana del Rey eine Reihe von Sängerinnen in einem Atemzug nennt, die nicht unbedingt dem klassisch irischen Hauttyp entsprechen. Wieder andere fühlen sich getriggert, wenn der Nachbar was Neues macht, die Freundin ihr Leben anders lebt als man selbst, der YouTuber die Dinge beim Namen nennt, die 40-Jährige eine 30-jährigen Freund hat, usw usf. Ich mein, die Liste ist schier endlos. Aber es hilft einfach echt, wenn man sich viel öfter sagt: „It’s none of my business.“ Es geht einen das meiste einfach überhaupt nix an.
Und man kann natürlich eine Meinung haben. Aber erstens muss ich die nicht jedem ungefragt umhängen und zweitens kommt es drauf an, where this opinion is coming from. Und damit meine ich die emotionale Disposition, der diese Meinung entspringt. Bin ich in Wahrheit neidisch auf diese Person? Ist die Person vielleicht nur eine Projektionsfläche für meinen (Selbst-)Hass? Fühle ich mich ihr gegenüber unterlegen und will sie daher runtermachen, damit ich mich selber wieder „mächtiger“ fühle? (#leveling) Bin ich einfach sauaggressiv und suche nur nach einem Ventil, wo ich diese Aggressionen ungefiltert rauslassen kann? Bin ich frustriert mit meinem Leben/meiner Beziehung/meinem Job und halte es daher nicht aus, wenn’s wem anderen scheinbar besser geht als mir? Ich finde, in all diesen Fällen ist’s g’scheiter, man behält seine 2 Cents für sich und kriegt sein eigenes Leben mal gebacken.
Aber ja, um auf Lana del Rey zurückzukommen: Ich mag das Unperfekte an ihr. Und ihre vielen Facetten. Sie lässt sich definitiv nicht in drei Worten zusammenfassen – auch wenn man sie gar nicht kennt. Das mag ich.