Erwin Wagenhofer

Über zwei Wochen ist’s jetzt her, dass ich Erwin Wagenhofer in meinen bescheidenen vier Wänden empfangen habe, um mit ihm über den Zustand der Welt und des Wahnsinns zu plaudern. Gutes Timing, kannst sagen, jetzt wo der Lockdown 2 wieder über uns hereinbricht. Ich überlege mir gerade – Lockdown 2 wäre irgendwie ein guter Filmtitel – mutet so ein bissl wie The Avengers an (wie viele Teile gibt’s da mittlerweile?). Oder auch “Lost in Separation“, wie Erwin Wagenhofer sehr treffend vorgeschlagen hat. Den würde ich genretechnisch dann wohl eher im Drama verorten. Naja, egal. 

Jedenfalls ist Erwin Wagenhofer ein absolut großartiger Filmemacher. Zu seinen bekanntesten Werken zählen “We feed the world”, “Let’s make money” und “Alphabet”- Filme, die man meiner Meinung nach gesehen haben muss. Egal welchem Thema sich der österreichische Autor und Filmemacher annimmt – sein filmisches Resultat ist jedes Mal aufs Neue inspirierend, mutig und wegweisend. Seine Filme regen zum Nachdenken an, fördern eine kritische Auseinandersetzung mit dem behandelten Thema und bewirken das Hinterfragen der eigenen Position dazu. Denn auch wenn viele seiner Filme vorwiegend gesellschaftliche Missständen behandelt haben, war Teil der Message immer auch, dass wir alle unser Scherflein dazu beitragen. So unbequem es ist, aber “die Gesellschaft” ist keine externe Instanz. Wir alle – du, ich, der Nachbar, die Tante Gerti und der Onkel Ludwig- wir sind diese Gesellschaft. Man kann sich also nicht in gewohnt präpotent-arroganter Manier über die ganzen Missstände und Fehlentwicklungen erheben und lediglich den erhobenen Zeigefinger schwingen. Damit ist es nicht getan. Ein Umdenken, ein Umprogrammieren des bestehenden Mindsets und ein Handeln, das dieser neuen Art zu denken Folge leistet, ist vonnöten. In Erwin Wagenhofers letztem Geniestreich, “But Beautiful” – ein Film, der 2019 in die Kinos gekommen ist – zeigt er anhand verschiedener, ineinander verwobener Handlungsstränge auf, dass nichts unabhängig voneinander existiert und wir alle miteinander verbunden sind. Es ist ein Film, der einen umarmt und mit Hoffnung auf eine bessere Welt erfüllt. Musik, ein Leben mit der Natur statt gegen sie, Verbundenheit statt Konkurrenzkampf und die Stärkung der Frauen sind nur ein paar Antworten auf die wirklich großen Fragen dieser Zeit. 

Sie haben mir ja gesagt, dass Sie jetzt drei Wochen im Ausland sein werden. Urlaub oder Arbeit? 

Sowohl als auch. Ich weiß gar nicht, ob wir jetzt überhaupt wegkommen. Wir leben so viel es geht auf Sardinien, weil wir dort ein Haus haben und dort arbeiten wir dann aber auch. Und das ist ja jetzt alles, wie Sie wissen, etwas anders, und jetzt kann ich’s nicht genau sagen. Ich habe ein Projekt in Deutschland angefangen und da machen wir jetzt viel – wie alle anderen auch – über Zoom, und da ist es eh wurscht, ob ich in Wien sitze oder ob ich in Oristano bin. 

Sind Sie jetzt schon wieder an einem neuen Filmprojekt dran? 

Ja! 

Können Sie schon was drüber sagen? 

Es sind mehrere. Aber ich kann nichts sagen, weil das sind immer ungelegte Eier. Es reicht eh, wenn’s da sind, oder? (lacht.

[…]

Fühlen Sie sich durch Corona als Filmemacher eingeschränkt? 

Wenn ich [Dokumentarfilme] mache, nicht. Inzwischen ist etwas passiert, womit ich ein bissl gehofft hab’, aber nicht rechnen konnte: Seit 15 Jahren [kam] erstmals ein Impuls von außen, den ich aus dem Grund zusagen konnte. Wie gesagt, es ist sehr wahrscheinlich, dass es passiert – auch mit ausnahmsweise einer völlig anderen Finanzierung. Und zwar ist jemand aufgetaucht, der viel Geld für einen Film ausgeben will, was ungewöhnlich ist, weil das ja normal über Fördermitteln oder Fernsehbeteiligungen läuft. Und daher kann man wahnsinnig schnell loslegen. Weil die Finanzierung für einen Film ja schon ein Jahr dauert. […] Dann [erst] können Sie loslegen. Und nach dem Kinostart ist wieder ein Jahr Schutzfrist, bis er dann ins Fernsehen kommen darf, bis eine DVD gemacht wird, usw. Das ist sehr behäbig, und meiner Meinung nach komplett veraltert, mit den Streamingdiensten und dem Internet – wo junge Leute sehr flexibel und schnell sind. Es kann teilweise sein, dass der Film in zwei, drei Jahren gar nicht mehr aktuell ist. Wir hatten bei dem Geldfilm (Anm.: Let’s make money) z.B. picture lock am 15. September 2008 – das war der Tag, an dem Lehman Brothers pleite gegangen ist. D.h. an dem Tag ist ein Film fertig, der sich damit beschäftigt, warum die pleite gehen. Wir haben schon gewusst, dass wir zeitlich richtig liegen, aber nicht so zeitlich richtig. Das ist nicht planbar. Und das sind die schwierigen Sachen in Wirklichkeit beim Film. Weil da ist relativ viel Kapital gebunden – im Unterschied zu anderen Künsten – wenn das Bild (zeigt auf mein Wandbild) sagen wir gerade nicht trendig ist, weil’s der Zeit schon voraus ist… Nehmen’s einen… weiß ich nicht… Van Gogh – der hat in seinem Leben ein Bild verkauft. Das hat sein Bruder gekauft. D.h. der war seiner Zeit so voraus, dass der Wert des Bildes einfach nicht geschmälert wurde. Er hat’s halt selber nicht mehr erlebt, darum ist er ja wahnsinnig geworden. Aber bei einem Film geht das nicht. Geht schon, passiert auch. Dass Filme zu früh kommen – dann versteht’s keiner. Oder zu spät – dann interessiert’s keinen mehr. 

Also Timing ist auf jeden Fall eine wichtige Komponente. 

Ja. 

Aber wie ist das genau mit den Geldgebern? Haben die dann Mitspracherechte? Oder sagen die, da ist das Geld, und machen Sie damit, was Sie wollen? 

Das ist ein bissl anders, das Mitspracherecht. Das ist am Anfang ein relativ behäbiger Prozess. Ich sitze zufällig auch in der Kommission, die das Geld vergibt. Alle drei Jahre wird die neu besetzt und ich habe jetzt den zweiten Zyklus. Da kriegen Sie dann regelmäßig (früher war’s noch physisch wirklich) eine Schachtel zugeschickt mit Drehbüchern und Konzeptbüchern. Die liest man alle, da macht man sich Notizen, mit denen setzt man sich auseinander. Und dann gibt’s Sitzungen. Diese Kommission ist so besetzt: Ein Mitglied für Regie, eins für Produktion, eins für Drehbuch, eins für Verleih (meistens) und der Direktor vom Filminstitut – meistens immer ungerade. Zur Not – wenn’s 2:2 ausgeht, zählt die Stimme des Direktors dann doppelt. Das ist genau im Filmfördergesetz festgeschrieben, wie das ist, und das wird auch ganz streng eingehalten, und die Mitglieder werden vom jeweiligen Kunstminister oder Staatssekretär/in bestellt, und dort wird praktisch entschieden, was gefördert wird. Und die, die gefördert werden oder Unterstützung kriegen, haben dann komplett freie Hand. Da gibt’s dann natürlich eine Abnahme am Schluss – die ist aber eigentlich nur eine Art Kontrolle, ob die Fördermittel auch richtig eingesetzt wurden. Aber künstlerisch kann dir da keiner dreinreden. Wenn einer sagt: “Mir gefällt der Film gar nicht, der ist künstlerisch komplett misslungen” – okay, dann ist das seine Meinung. 

Das ist spannend. Sie haben ja mal gesagt, Ihre erste Filmförderung haben Sie mit 39 kriegt. Da waren Sie ja schon…

…39. Da sind andere Karrieren schon durch. 

Genau. Ist es in der Filmbranche auch so, dass man eher gefördert wird, wenn man eigentlich schon erfolgreich ist, und nicht unbedingt, wenn man am Beginn seiner Karriere steht und zwar eine zündende Idee hat, aber eben noch keine Referenzliste, die für mich spricht? 

Naja, die Zeiten verändern sich ja ganz rasant. Als ich begonnen hab’, da gab’s genau eine Ausbildungsstätte in Österreich, das war die Filmakademie. Da sind jährlich fünf Absolvent/innen herausgekommen pro Fach (Regie, Kamera, Schnitt, Autor/innen, Produktion) – das war extrem überschaubar. Von den fünf sind wahrscheinlich zwei zum Fernsehen gegangen, zwei haben sich durchgesetzt, einer hat überhaupt aufgehört und hat was anderes gemacht – hat Medizin studiert oder ist Literat geworden, Malerin, keine Ahnung. Es war sehr überschaubar. Heute haben Sie diese Akademie nach wie vor. Sie haben alleine in Wien zwei Fachhochschulen für den Medienbereich. Sie haben in St. Pölten eine, Sie haben in Salzburg eine, in Graz eine – das sind die, die ich kenne. […] Also es ist ein enormer Output an jungen Menschen, und der Topf ist nicht oder kaum größer geworden. Das Kino wird jetzt durch das Corona – wie alles – eine enorme Verwandlung erleben. Netflix, Streamingdienste – die agieren ja ganz anders, teilweise sehr brutal. […] Das ist eine Auftragsproduktion praktisch. So wie’s das Fernsehen auch macht. Aber dort in dem Bereich, in dem ich arbeite – Kinofilm – das ist das Härteste. Den Film starten, erfolgreich in ein Kino bringen, Kinoauswertung, vielleicht noch international – wow. “This is a very tricky business”, würde der Herr Lynch sagen. 

Sind Sie da auch recht angespannt davor? Also vor so einer Premiere und vor den Rezensionen? 

Die Rezensionen interessieren mich überhaupt nicht, die lese ich mir alle auch nicht durch. Ich lese sehr viele andere. Ich kenn’ die meisten, die schreiben, und weiß, was ernst zu nehmen ist. Im deutschsprachigen Bereich kenne ich drei, vier Leute, die ich wirklich ernst nehmen kann. […] Wissen Sie, einen Film machen ist schon schwierig, aber eine Kritik schreiben, die überhaupt eine Kritik ist, im Sinn von einem Mehrwert – drum les’ ich’s ja so gern – bei anderen. Ich weiß relativ schnell – meint der oder die das ernst oder ist das irgendein Erguss? Es ist ja alles so verschult und verakademisiert in der Zwischenzeit – das finde ich ganz schrecklich! Da lesen Sie Kritiken und die sind alle gleich. Im ersten Drittel steht das – das haben sie gelernt in der Schule, im zweiten Drittel steht das und im dritten das und der letzte Absatz muss dann noch so sein. Das interessiert mich nicht. 

Es ist sicher auch die Frage, wie viel Zeit haben die, sich wirklich damit auseinanderzusetzen, weil sie sind ja auch irgendwo angestellt und müssen abliefern

Bei der FAZ – und das ist eine großformatige Zeitung – bekommen Sie für eine Seite, auf der sie zwei Bilder positionieren können, 100€. So. Jetzt müssen Sie – wenn Sie einen Film ernst nehmen- hinfahren – sagen wir eine Stunde. Dann schauen Sie zwei Stunden, dann fahren Sie zurück – sind vier Stunden. Wenn ich eine Kritik schreiben müsste, müsste ich [mal drüber schlafen], mir den Film am nächsten Tag nochmal vergegenwärtigen und dann fange ich an zu schreiben. Das heißt minimum bin ich mit dem Film zwei Tage beschäftigt, wenn ich eine seriöse Kritik habe. Das sind 50€ pro Tag, wenn ich 5 Tage habe, sind das 250€ in der Woche und 1000€ im Monat. […] Sie sehen, wir sind alle von diesem neoliberalen System, das jetzt zu Ende geht (-das ist klar!), kaputt gemacht geworden. Darum ist ja eine Krankheit auf das kranke System gestoßen. Wir müssen dankbar sein! Aber in der Tat bin ich am Schluss nicht mehr angespannt – früher schon, jetzt nicht mehr – weil ich gelernt habe, der Film ist fertig, ich habe mein Bestes gegeben und ich kann jetzt eh nichts mehr ändern. Hoffentlich passiert technisch nichts. […] Ich überprüfe das auch. Ich bin am Tag der Premiere im Kino – drei Stunden vorher – und gehe mit dem Vorführer alles durch – alles! – weil ich schon gelernt habe, dass man das einfach machen muss. Auch um dem Vorführer – das sind meistens Männer – eine Sicherheit zu geben, damit er auch genau weiß, ich kann da auch nichts falsch machen, ich hab’s mir vorher angeschaut und so. Aber nervös sein – es ist echt spannend in einem großen Kino mit fremden Menschen zu sitzen und zu sehen, wie die Leute reagieren und der Film atmet. Wenn er gelungen ist, atmet er – das ist ja Kino. 

Ja voll. Man fühlt sich entweder von einem Film abgeholt oder nicht. 

Mhm. Aber nervös muss man vorher sein. Bei dem letzten Film, “But Beautiful”, war’s die Version 43, die ins Kino gekommen ist. Das heißt 42 Schnittversionen wurden von anderen Menschen angeschaut. 

Bow, Wahnsinn! Okay aber ich möchte jetzt kurz mal einhaken, weil Sie meinten, der Neoliberalismus geht zu Ende. Woran erkennen Sie das? Oder wieso sind Sie sich da so sicher? 

So sicher sein kann ich nicht (lacht). Die Zukunft lässt sich schwer vorhersagen. Ein Indiz ist – es werden jetzt so viele Staatsschulden gemacht – die können nie mehr zurückgezahlt werden. Wir haben ja jetzt viele Jahre, Jahrzehnte Austeritätspolitik gehabt, also Sparpolitik – das hat ja praktisch die EU auch umgebracht – diese 3% Neuverschuldung – Länder, die das nicht eingehalten haben, wie Griechenland, Italien, Spanien. Durch den Euro hat das nicht funktioniert. Weil früher konnten diese Länder dann abwerten. […] Dieses Instrument hat man weggenommen, ganz speziell, absichtlich auch – das ist eine lange Geschichte – ich habe mich durch den Film ein bissl mit dem beschäftigt, aber jetzt müssen auf einmal alle wirtschaftlich gleich stark sein. Und dass die Griechen eine andere Mentalität haben als die Deutschen, das ist ja genau das, was man will. Darum fährt man ja so gern nach Griechenland auf Urlaub! 

Absolut!

Und Autos haben wir ja sowieso viel zu viele. Jetzt sollen die Griechen vielleicht auch noch Mercedes-Autos produzieren, oder wie stellt man sich das vor? Das war diese blöde Idee, die ja nichts anderes ist, wie: Am Schluss sind es jetzt 8 Männer, die soviel haben wie der Rest der Welt. Das ist ja nicht die Idee von einer gesunden Wirtschaft. Eine gesunde Wirtschaft ist ja die Idee: Wir stellen die Dinge her, die wir brauchen, und die wir nicht brauchen, die verlieren wir langsam. Kein Mensch würde jetzt mehr eine Dampflok bauen – ja, für ein Museum vielleicht – eine in ganz Europa, aber nicht für den normalen Zugverkehr. D.h. Dinge werden überholt. Es gibt auch eine Entwicklung. Es gibt einen wirklichen Fortschritt. Und den Fortschritt, den wir hatten, das ist nur mehr ein Schritt fort. Darum sind alle Menschen auch nicht mehr bei sich. Das ist genau die Situation, die wir jetzt haben. Die Zeit der Separation geht hoffentlich zu Ende mit der allergrößten Separation, die es gibt. Das ist wie in der Medizin. Der Heilprozess setzt in dem Moment ein, wo die Wunde größer wird. Jeder Arzt, jede Ärztin erkennt sofort, ah Wundvergrößerung -das heißt, der Heilprozess beginnt! Und so kommt mir das jetzt auch vor. Aber ich bin sehr optimistisch, muss ich sagen. Zwar kann es auch sein, dass wir solche Verwerfungen haben, dass wir nochmal zwei, drei Runden drehen müssen, und nochmal einen Weltkrieg kriegen – es ist alles möglich. 

Es ist sehr spannend, dass Sie da so optimistisch sind. 

Wenn wir jetzt auch noch den Mut verlieren, dann ist’s ganz aus. 

Sie haben eh in verschiedenen Interviews auch gesagt “Wir leben in einer geschlossenen Angstgesellschaft” – das hat mir sehr gut gefallen, weil ich finde, das stimmt extrem. Finden Sie, dass diese Coronakrise die Angst entstehen hat lassen oder einfach nur als Vergrößerungsglas gewirkt hat? 

Vergrößerungsglas und sie hat’s sichtbar gemacht. Die Krise war ja vorher schon da. Diese sogenannte Coronakrise hat das transparent gemacht, was eigentlich schon vorher da war: die Verwerfungen. Drum haben wir ja [mit But Beautiful] schon begonnen, entgegenzusteuern. Das war ja schon die Idee – es ist ja eigentlich ein Wunder, nicht? Daran kann man erkennen wie es eigentlich funktioniert: nicht ich mache den Film, der Film macht mich.  

Ach so, ja? 

Ja. Es ist genau umgekehrt. Wenn Sie richtig zu einem Punkt kommen, wo Sie – wie der Kenny Werner sagt “effortless” werden. […] Wenn Sie so mit einem Instrument umgehen, wenn Sie diese Stufe erreichen – oder auch ein guter Fußballspieler – der kann nicht nachdenken. Der hat gar keine Zeit. Der läuft los, instinktiv, und instinktiv schießt der andere, ebenso gute Fußballspieler, den Pass da rein, und so entsteht ein Tor. Wenn Sie diese Stufe erreicht haben, ist es nicht so, dass Sie den Film machen, sondern dass er zu Ihnen kommt. In [But Beautiful] erklärt Kenny das – darum haben wir ja mit ihm gearbeitet, oder er mit uns – he’s not playing, he’s receiving. Und das ist eigentlich ein natürlicher Prozess. Genauso wie eine Bäuerin, die richtig gut mit ihrem Boden in Verbindung ist. Darum geht’s im Leben um Verbundenheit. […] Das ist organisch, das ist in jedem Beruf. Ein Masseur, eine Masseurin fragt vielleicht am Anfang “was tut dir weh?” Aber sie spürt sofort, wo die Muskelverspannung oder Verkrampfung ist. Das ist ja das Schöne. Wenn man einen Beruf hat, zu dem man gerufen wird – das steckt ja drinnen im Wort “Beruf”-  und das auch mit Begeisterung macht – das ist alles Kunst. Das ist the Art Life. 

Da bin ich ganz bei Ihnen. Aber nochmal zurück – wieso glauben Sie, dass wir in so einer Angstgesellschaft leben oder zu so einer Angstgesellschaft geworden sind? 

Ja weil wir uns vom Leben separiert haben. Wir wissen ja gar nicht mehr, was das ist. Sie müssen ja im Leben auf das Leben vertrauen. Das Leben ist das, was Leben immer mehr ermöglicht. Und wir haben uns völlig absurde Dinge einreden lassen, zum Beispiel Darwin: Nur der Stärkste kommt durch. Darum Konkurrenz. Das hat der Darwin nicht gesagt. Nie und nimmer. Ich hab’ mir das Zitat sogar einmal rausgesucht. Der Darwin hat gesagt der Geeignetste kommt durch. Und das ist ja genau das, was ich sage: Es sollen genau die Leute Fußball spielen, die das Talent haben. Drum spielen sie auch in einem gewissen Lebensabschnitt und nicht ein 70-Jähriger. Die können auch spielen – hobbymäßig, ist ja okay – aber nicht in der [Profi-] Liga. Und im Wiener Konzerthaus treten Leute auf, die ein gewisses Niveau haben, und das heißt überhaupt nicht, dass eine Blaskapelle in Gänserndorf schlecht ist, sondern das sind verschiedene Dinge. In Ihrem Körper, der organisch ist, und so lange er gesund ist, gut funktioniert, gibt’s keine Konkurrenz. Stellen Sie sich vor, das Herz fängt an, Konkurrenz zu führen mit Ihrer Niere. 

Das wär’ ein Drama!

Das wär’ ein Drama, und das sind Ideen, die wir eingeführt haben im Wirtschaftsleben, im gesellschaftlichen Zusammenleben. Jetzt kippt’s ja komplett. Einer der nicht mainstream genau das nachplappert, was in den Medien steht, der ist erledigt. Der ist ein Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, ein Kinderverzahrer, Antisemit, Faschist, was weiß der Teufel.

Ja man traut sich dann schon gar nicht mehr, zu seiner Meinung zu stehen in der Öffentlichkeit. 

Das ist das, was man will. 

Und das ist halt schon bedenklich. 

Das ist extrem bedenklich. Wir waren so stolz auf Meinungsvielfalt und jetzt haben wir Einfalt. 

Ja, aber auch in den Medien. 

Dazu will ich mich nicht äußern. Drum lese ich die Kritiken nicht. Weil es ist auch dort sehr einfältig, ich muss es sagen. Ich kann Ihnen genau sagen, was der Falter schreibt, was der Standard schreibt, was [in diesem oder jenen Medium steht] – kann ich Ihnen genau sagen. 

[…]

Ich habe das Gefühl, jeder ist nur mehr happy, wenn irgendwer die eigene Meinung bestätigt und man kann überhaupt nicht mehr tolerieren, wenn jemand anders tickt, anders denkt. Ich verstehe nicht, woher das kommt. 

Das ist end of separation. Wundvergrößerung. Das meinte ich damit. Das muss offensichtlich so explodieren. Das ist die letzten Male durch einen Krieg so zerstört worden, dass danach dann alle gesagt haben: “So, jetzt müssen wir wieder zusammenhalten.” Und dann gab’s die berühmten “Trümmerfrauen” in Wien, die die Stadt dann wieder aufgebaut haben. Warum Trümmerfrauen? Weil die Männer waren meistens [tot] oder in Gefangenschaft. Es waren praktisch nur die Alten da und die Kinder, und die haben nicht gut körperlich agieren können, jetzt haben’s die Frauen machen müssen. 

Das ist jetzt ein bisschen eine Weiterführung dieses Gedankens – es hat nicht wirklich was mit Meinungsfreiheit zu tun, aber es hängt trotzdem irgendwie zusammen. Und zwar das Thema Cancel Culture. Dass man Leute cancelt, weil sie vermeintlich oder wirklich etwas machen, was einem nicht passt. Wie aktuell im Fall Woody Allen. Ich habe jetzt neulich seine Autobiographie gelesen und seine Filme werden in den USA jetzt auch gar nicht mehr veröffentlicht. Wie stehen Sie dazu? Finden Sie das gerechtfertigt? 

Ich kann nur Folgendes dazu sagen, und dann kommt gleich der Fall Polanski und ich weiß nicht wer noch alles… […] Es gibt in jedem Menschen – ich würde mal sagen – Abgründe. Die sind da. Die sind, wie sie sind. Da gibt’s eine Strafordnung. Da gibt’s Gesetze. Gegen die wird verstoßen. Dann hat der Gesetzgeber Möglichkeiten, diese zu ahnden. Das ist einmal das eine. Das ist gesetzlich. Beim Woody Allen kenne ich mich weniger aus, weil das sind nie so meine Filme gewesen – aber natürlich ist das ein großer Name. Und diese Vorwürfe von der Mia Farrow – ich habe mich mit dem nicht beschäftigt. Mit dem Polanski habe ich mich mehr beschäftigt. Der Roman Polanski ist der Filmmacher, weswegen ich überhaupt beim Film bin. 

Wirklich?

Weil ich mit 16 Jahren einen Film von ihm gesehen habe. Bei meinen Eltern im Kabelfernsehen – da haben wir fünf Programme gehabt. Fünf! Und das war schon viel! Die Nachbarn haben nur zwei gehabt. Und da habe ich herumgedrückt am Abend und auf einmal sehe ich einen Schwarz-weiß-Film, und der hat mich so fasziniert, dass für mich klar war: “Das mach’ ich, das fasziniert mich!” Ich war da gerade in einer Umbruchphase, weil ich wollte immer Musiker werden. 

Jaja, ich weiß, sie haben Trompete gespielt! 

Genau! Und den Film habe ich in der Zwischenzeit sicher vierzig Mal gesehen – das ist einer seiner besten Filme, aus dem Jahr ’66. Der deutsche Titel ist “Wenn Katelbach kommt”, original: Cul-de-sac, also Sackgasse. Drum habe ich ihn verfolgt bis heute. Er ist vom Handwerk her einer der größten lebenden Filmmacher, die wir haben. Diese andere Geschichte – er ist ja auch in Amerika im Gefängnis gewesen. Aber das will ich ja alles gar nicht erzählen, sondern ich will nur einen Satz dazu sagen: Der oder die, die ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. Das andere ist Gesetz. Das ist ein Justizverfahren. Da hat er auch einen Fehler gemacht, dem hat er sich dann nicht mehr gestellt. Das ist so brenzlig geworden, dann ist er abgehauen. Das kann man ihm vorwerfen, das werf’ ihm auch ich vor. Er hätte das aufarbeiten müssen und auch durchaus in der Öffentlichkeit, weil er eine Person der Öffentlichkeit ist. Aber dass jetzt selbstgerecht Leute herkommen [und über andere richten] – ich kann immer nur sagen: Der, der ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein! 

Mhm. Ich frage mich auch, woher das immer kommt, dass man jetzt immer so moralisieren will. Dass auch der Mob da so in Fahrt kommt. 

Man hat keine Argumente mehr und dann beginnt man zu moralisieren. Weil wenn Sie Argumente haben – das ist ja auch bei Corona so. […] Es ist keine Übersterblichkeit in Österreich. Es ist viel mehr Drama passiert mit Dingen, die abseits passiert sind. Von Herzinfarkten bis zu Dingen, die man gar nicht mehr zuordnen kann. Heute in der Früh lese ich auf orf.at: Wien Donaustadt – eine Mutter hat ihre drei Kinder umgebracht. Heute hat sie sich gestellt. Die Polizei ist in ihre Wohnung gekommen, die hat die drei Leichen gefunden. Das sind alles Ergebnisse, die für mich auf purste Verzweiflung schließen lassen. […] Ich bin kein geborener Wiener, aber ich lebe wahnsinnig gern da, [und was mir aktuell in meinem Wohngebiet auffällt, ist, dass] sicher zwei Mal in der Stunde ein Polizeiauto oder mehrere mit Folgetonhorn durch die Gegend fährt. Wenn man sich die Kriminalstatistiken anschaut, zeigen die aber das genaue Gegenteil: Weniger Morde, weniger Einbrüche, Überfälle auf Menschen – ich weiß gar nicht, was die alle haben. Es wird eine Hysterie erzeugt. Ich habe mich damit wenig beschäftigt, außer dass mir das auffällt. Es fällt ja nicht nur mir auf, sondern meinem ganzen Umfeld. Und da ist irgendwas außer Rand und Band. Und was außer Rand und Band ist, ist: Eine Erzählung geht zu Ende. Nämlich die Erzählung vom ewigen Wirtschaftswachstum. 

Das ist echt spannend. 

Und Sie wissen ja, es sind alles Erzählungen. 

Und ist es immer noch aktuell, dass die neue Erzählung die von Verbundenheit ist, wo auch die Frauen ermächtigt sind und eine wichtige Rolle spielen? Oder hat sich das durch Corona verändert? 

Nein. Das haben die noch gar nicht kapiert. Wir reden jetzt mal abseits von Frauendiskriminierung, die es nach wie vor gibt. Es hat sich wahnsinnig viel getan im letzten Jahrhundert, und nicht umsonst war der Film über Frau Dohnal so erfolgreich – ich hab’ ihn mir auch angeschaut, ich habe auch der Sabine Derflinger unmittelbar danach eine SMS geschickt, dass ich das gut finde, dass sie das gemacht hat. Keine hat in meiner Lebenszeit so viel für die Frauen getan – und wenn ich von Frauen rede – ich habe vier Töchter, ja, ich bin nur von Frauen umgeben! Aber es ist immer noch nicht gerecht. Und wollte man das, z.B. Thema Geld, also dass es die gleiche Entlohnung gibt, braucht man nur ein Gesetz machen und eine Unterschrift setzen. Aber offensichtlich will man’s nicht. […] Das gehört alles auf der Stelle abgeschafft! Das ist das eine. Aber was ich meine, ist was anderes – zusätzlich. Ich meine: Es darf die Weiblichkeit nicht sein. Und die Weiblichkeit muss in Balance mit der Männlichkeit sein – gleich viel. Es muss gut in Balance sein. 

Yin und Yang. 

Genau. Das ist aber nicht der Fall, sondern es ist das Männliche so dominant. Und das Patriarchat auch – das ist auch für die Männer ganz schlecht übrigens. Das männliche Prinzip ist das Prinzip des Differenzierens. Und mit dem Differenzieren sind wir so weit gekommen – die letzten zwei-, dreitausend Jahre – seit Aristoteles, wenn man will. Wir haben in der Wissenschaft alles zerlegt – das ist Differenzieren. Immer mehr spalten, und am Schluss kann man dann alles unterscheiden – Atome und Moleküle und Bakterien und Viren und ich weiß nicht, was alles. Und da war man schon in den 90ern übrigens. Und nachdem man alles unterschieden hat, ist man draufgekommen: Und wo ist jetzt das Lebendige? Wenn ich das jetzt alles auseinander teile, und die Maschinen – das Leben – wo ist das? Das Leben ist eben das Weibliche. Das ist das Zusammenführen, und nicht das Auseinandernehmen. Das ist eher das weibliche Prinzip. Das Integrieren. Den Kontext sehen. Die Verbundenheit. 

Und auch das Empfangen, und nicht das Geben, oder? 

Da kommen wir jetzt natürlich auch zu dem großen und extrem spannenden und extrem heiklen Punkt des Lebens. Da kommen wir zum Empfangen, zur Empfängnis – das ist alles bei der Frau. Die Frau entscheidet ganz klar, ob sie schwanger wird oder nicht – der Mann macht da gar nichts, überhaupt nichts. Der ist dabei, ja. Aber die Entscheidung liegt nicht bei ihm. Und da gehen wir jetzt in Bereiche, die mich wirklich interessieren – nämlich auch filmisch interessieren- da müssen sie dann schon fiktional werden, da können sie nicht mehr nonfiktional sein- wo eine Riesenforschung auch passiert. Im Moment der Zeugung entsteht ja nicht nur ein neues Leben und ein neuer Körper, sondern es entsteht ja auch in dem Moment eine neue Psyche. Es entsteht ein Bewusstsein. Um das geht’s. Wir brauchen ein anderes Bewusstsein. Wir brauchen eine andere Haltung, oder nennen Sie es Mentalität. Und das verändert sich jetzt. Das ist jetzt, was mit einer neuen Erzählung kommt. Und die Erzählung könnte sein, z.B. eine der Verbundenheit. Weil in einer endlichen Welt – die wir ja gerade ruinieren mit unserem Machbarkeitswahn – kann eines unendlich wachsen: Verbundenheit. Kultur. Ich weiß nicht, ich glaube, Sie wollen nicht 10 solche Couchen wollen, oder? (zeigt auf meine Couch) Eine reicht Ihnen oder? 

Schon. 

Vielleicht wird’s einmal kaputt, dann kann man’s vielleicht richten, oder dann kauft man eine neue. Früher hat man Möbeln so gebaut oder angeschafft, die wollte man auch noch vererben. Das war die Zeit. Heute haben Sie Industriegerümpel, das können Sie nach drei Jahren raushauen, und der Ikea freut sich halt. Und dieses Beispiel haben wir überall. So gehen wir mit den Kindern um. So wird unterrichtet. Die Verschulung findet so statt. Das Neue ist immer mehr vom Alten. Und das haben die Leute jetzt schön langsam durchblickt, dass das fad wird. Und das interessiert sie auch nicht mehr. Und darum glaube ich geht’s zu Ende. Und parallel dazu ist jetzt so viel Geld – Geld ist ja auch noch eine Erzählung. Geld ist die erfolgreichste Erzählung der Welt. Das ist eine reine Erzählung. 

Das müssen Sie mir erklären! Weil Geld einen arbiträren Wert hat? Weil irgendwer kommt und sagt, dieser Papierfetzen ist 10€ wert? 

Es funktioniert ja wunderbar. […] Ich war bei ein oder zwei Kabaretts vom Roland Düringer. Ich habe ihn mal kennengelernt, weil wir was gemeinsam machen wollten, und ich schätze ihn auf seine Art. […] Und der hat in einem Kabarettprogramm – ich weiß nicht in welchem – auf geniale Art und Weise die Geldschöpfung erklärt: Es gibt einen Zahnbürstelvertreter, der durchs Land fährt. Der hat einen Namen – ich glaube Ochsenbichler heißt er. Der Ochsenbichler kommt in eine Ortschaft und sucht ein Zimmer, weil er dort übernachten will. Er geht also in ein Wirtshaus rein und sagt “Ich hätte gern ein Zimmer”. Sagt der Wirt: “Gern.” “Ja was kostet es?” “100 Euro.” Sagt er: “Ja gut, ich leg’ dir die 100€ da her, aber ich möchte mir das Zimmer vorher anschauen.” Jetzt liegt da der Hunderter. Er geht rauf ins Zimmer und schaut sich das an. In der Zwischenzeit nimmt der Wirt den Hunderter und jetzt geht ein Riesen-Run los. Er rennt zum Fleischhacker und zahlt seine Schulden ab. Der Fleischhacker rennt weiter um seine Schulden abzubezahlen. Und die Letzte ist die Dorfprostituierte. Und die hat den Hunderter Schulden beim Wirt, weil sie dort immer die Zimmer nimmt. Und alle rennen im Kreis mit dem Hunderter. Und am Schluss liegt der Hunderter wieder genau dort, wo ihn der Ochsenbichler hingelegt hat. Er kommt runter und sagt: “Das Zimmer gefällt mir nicht”, nimmt den Hunderter, steckt ihn ein und fährt ins nächste Dorf. Und das ganze Dorf ist entschuldet. Und der Hunderter ist nur eine Stunde, oder zehn Minuten (-es ist ja nur ein Beispiel) dort gelegen. Und das ist der Glaube an Geld, das ist die Erzählung von Geld. Das ist die erfolgreichste Erzählung. Wir wissen, wir können’s nicht essen – wenn’s jetzt wirklich entwertet wird. […] Weil das (nimmt eine Euromünze) hat ja keinen Wert. Die letzte Münze, die [ihren Wert wirklich wert] war in meiner Lebenszeit war die 10-Schilling-Münze- ich habe eine daheim aufgehoben – die hatte so einen hohen Silberanteil, der war genau die 10 Schilling wert. […] 

Ich frage mich ja auch immer, ob eine Welt ohne Geld möglich wäre. Da gibt’s auch ein Buch – ich hab’s noch nicht gelesen, aber das heißt: “Eine Welt ohne Geld”. Könnten Sie sich ein anderes Modell vorstellen als den Kapitalismus?

Das Geld selbst ist eine super Erfindung. Die Frage ist immer: Was macht man damit? Die Idee vom Geld war, dass es nicht gehortet wird, sondern, dass es im Kreis geht. Es geht immer im Kreis. Der, der immer gibt, dem wird auch gegeben. 

Ja, weil Geld ist ja auch irgendwie eine Art von Energieaustausch. 

Genau. Das Geld würde ich nicht verantwortlich machen, sondern verantwortlich ist der Mensch. 

Oder würden Sie sagen “der degenerierte Umgang mit dem Geld”?

Der degenerierte Umgang mit dem Leben, würde ich sagen. Weil wir im Leben das Leben nur mehr aufs Geld fokussieren. 

Ja, es ist eine Art Fetischismus. 

Ja, zum Beispiel, wenn eine Mutter ein Kind erzieht, wird das ja nicht in Geldwerten aufgewogen. Sie kriegt ja auch kein Geld dafür. Wir bilanzieren ja falsch. Fangen wir bei den Lebensmitteln an: Es müsste der Bauer, den größten Preis erzielen, der die beste Bilanz hat. Was muss in die Bilanz rein? Wo der Boden danach am fruchtbarsten ist, nachdem er geerntet hat. Wo das Wasser danach am besten ist, und nicht verdreckt und verschlechtert durch den Kunstdünger. Wo die beste Luft ist. Der müsste den größten Preis kriegen. Es hat einmal ein österreichischer Finanzminister – das ist lange her – ausgerechnet, was in Österreich an Arbeit gemacht wird, die nicht bezahlt wird  – also Kindererziehung, Altenpflege, Krankenpflege, freiwillige Feuerwehr, Rettungsdienst, Sozialdienst. Der Arbeitsbegriff muss völlig neu definiert werden. So viele Menschen machen so viel, wofür sie gar nichts bezahlt bekommen. Witzigerweise fühlen sie sich dort am wohlsten. Meine Mutter hat am liebsten Essen auf Rädern gemacht – jetzt ist sie 81, jetzt geht’s nicht mehr. Aber das hat sie 30 Jahre gemacht – die hat nichts bekommen. Die ist drei Mal in der Woche gefahren. Zu Weihnachten hat der Bürgermeister ein Essen gemacht für die Damen und Herren und hat ihnen ein Schnitzel und eine Flasche Wein geschenkt. Aber freiwillig. Und sie war glücklich dabei. Weil sie sich gebraucht gefühlt hat. Es geht ja um den Sinn. Und [dieser Finanzminister] hat das ausgerechnet – wenn Sie das ins BIP reinnehmen, das ist viel mehr als das ganze BIP. Und jetzt ist’s zum Beispiel super, wenn Sie einen Krebs kriegen. Das ist für’s BIP super. Weil da bewegen Sie was. Im letzten Stadium verbrauchen Sie Medikamente um ein paar hundert Tausend Euro. Ja das ist toll, da geht’s zur Sache, da wird ein Umsatz gemacht bei der Pharma. Das haut das BIP in die Höhe! Das ist alles verkehrt. Lost in Separation wär’ jetzt der richtige Film, not in Translation (von der Frau Coppola), sondern in Separation. 

Ja es ist halt überhaupt problematisch, dass alles nur einen Wert hat, wenn es monetär zu beziffern ist. Auch als Musiker. Die erste Frage ist: “Kannst du davon leben?” Und wenn du sagst: “Nein, ich muss nebenbei was anderes arbeiten”, dann ist es eigentlich nichts wert. 

Das ist aber auch ein wichtiger Beitrag. 

Ja, aber das wird als erstes abgeschafft- das hat man eh jetzt auch gesehen. 

Das, glaube ich, muss sich alles ändern. Darum müssen wir den Arbeitsbegriff neu definieren. Mit Arbeit meinen wir ja Lohnarbeit. Lohnarbeit ist gleich das, was bezahlt ist, ist gleich Job. Die Regierung meint: “Wir brauchen Jobs!” Ich brauch’ keinen Job. Ich hasse einen Job. Ich will eine Arbeit! Das ist ganz was anderes. […]

Komplett, und ich glaube auch, dass die wenigsten Leute mit einem Job happy sind. 

Nein! Darum sind sie Konsumenten und darum muss der Kreislauf so sein. Und dieser Kreislauf kommt jetzt durcheinander. Und jetzt ist man in der Krise draufgekommen: Selbst wenn man sich das alles kauft, was man braucht – meinetwegen durchaus auch Luxus – ich bin kein luxusfeindlicher Mensch, ich finde das super, wenn Sie sich was Schönes leisten und eine Freude haben damit oder auch eine schöne Reise machen – aber wenn wir uns nur das kaufen, bricht das komplett zusammen. Weil es ist so aufgebaut, dass wir einen Überfluss haben. Bei den Lebensmitteln ist es so: Ein Drittel kommt nicht in den Handel, weil es schadhaft ist oder nicht den Normen entspricht. (Es ist aber durchaus zum Essen!) Ein Drittel wird weggeworfen. Und ein Drittel ist das, was wir tatsächlich essen. 

Ja, was man da an Ressourcen sparen könnte – in der Landwirtschaft usw. 

Ja alles! Schauen’s mal bei den Leuten in die Kleiderschränke, was da drinnen hängt! 

Eh. Weil man sich eben über so externe Sachen definiert. 

Warum hält das (nimmt sein Smartphone in die Hand) nicht 20 Jahre?! Ich will gar kein anderes!

Ja aber es gibt ja genug andere, die sagen “He jetzt kommt das Neue raus – egal, geb ich 1200€ aus dafür!”

Die sind schon degeneriert. Die haben das dann ununterbrochen in der Hand, schauen ununterbrochen drauf. Junge Leute – wenn du ihnen das wegnimmst, glaube ich, flippen sie aus. Gibt’s Mord und Totschlag. Und dabei hat’s das vor 20 Jahren noch gar nicht gegeben. Und dann schaust ihnen zu, was sie machen. Noch nie ist so schlecht kommuniziert worden wie jetzt. 

Ich finde ja auch, dass Social Media social Media heißt…

… es ist eher a-social media. 

Es ist eher a-social Media!

[…] 

Was mich bezüglich Lebensführung sehr beeindruckt hat, war Ihre Darstellung der Permakultur in But Beautiful. Inwiefern denken Sie, dass die Barbara und der Erich Graf glücklicher sind als viele andere, und was hat die Permakultur damit zu tun? 

Das Glück und die Permakultur haben wahrscheinlich gar nichts miteinander zu tun. Und doch. […] Was hat es mit Glück zu tun? Die haben ja beide studiert und der Erich war dann eine Zeit lang bei einer Bank. Er hat sich auf Informatik spezialisiert. Und das hat ihn so angekotzt – das sind ja extrem sensible Leute. Sie müssen ja, wenn Sie sensibel sind, wahnsinnig aufpassen, dass Sie da nicht durch den Rost fallen jetzt. Weil für viele ist es nicht auszuhalten jetzt. Und die Barbara erzählt, in der Zeit, als er bei der Bank war – er hat super verdient natürlich – “ist er jeden Tag nach Hause gekommen und hat geweint.” Den Satz hab’ ich wieder rausgenommen, weil Leute bei internen Vorabscreenings gesagt haben: “Das glaubt dir keiner!” Ich glaube dem das aber sofort. Und aus dem heraus, dass jemand so sensibel ist, und überhaupt keinen Sinn mehr sieht in einer Großstadt – in Zürich, Berlin, Wien oder wo auch immer – Teilnehmer dieser Gesellschaft zu sein, wo ich weiß, dem Planeten geht es verdammt schlecht. So ist es nämlich. Der hat Fieber! Drum wird’s so warm – und nicht punktuell, weil das ist über Jahrtausende punktuell immer gewesen, dass es Hotspots gibt – sondern überall. Und die spüren das. Und drum haben sie gesagt: Wir machen etwas, das uns mit Sinn erfüllt. Sie haben das Land gekauft – das haben sie ihnen nachgeschmissen. Sie können genug kaufen dort unten. Es ist genug kaputt – nicht nur in La Palma – überall! Ich habe mich auch mit einem anderen Schweizer beschäftigt – dem Ernst Götsch – der hat 1984 in Brasilien 500 Hektar gekauft. Das war Dryland – die haben alle gesagt: “Der Gringo ist deppat, dass er das kauft.” Die hat er nur kaufen können, weil’s wertlos war, und daher dementsprechend günstig. Heute sind 14 Quellen auf diesem Land. Vierzehn! Und das ist mit diesen Methoden. […]

Es gibt viele, die sagen: “Permakultur ist super. Hab’ ich schon gehört, ich war dort, hab’ ich mir angeschaut – ist super! Aber wo sind die wissenschaftlichen Studien?” Und darf ich antworten, wo sie sind? 

Mhm. 

Es gibt sie natürlich nicht. Aus zwei Gründen. Erstens versuchen wissenschaftliche Studien, in einer Versuchsanordnung immer wieder das Gleiche herzustellen, was nicht geht, weil jeder Punkt anders ist. Eine Permakultur die in Gänserndorf ist schaut ganz anders aus wie in Linz. Das heißt, die wissenschaftlichen Mitteln sind so primitiv, dass sie dieser Komplexität nicht gerecht werden können. Das ist das Erste. Das Zweite ist: Wer gibt im landwirtschaftlichen Bereich Geld aus für wissenschaftliche Studien? Solche, die ihre Produkte dorthin verkaufen: Pestizide, Fertilizer, GMOs. Das brauchen die Permakulturisten nicht. Also wird kein Mensch dort Geld ausgeben, dass das untersucht wird. […] Du kannst eh Permakultur machen – in Gänserndorf, überall. Allerdings kriegst du keine Förderung. Und die Bauern leben aber von der Förderung. Und das ist der Wahnsinn. Und darum gibt’s keine Veränderung. Und [Entscheidungsträger] im Landwirtschaftsministerium sagen: “Was soll ich tun? Ich hab’ keine Studie! Wie soll ich das verkaufen? Wie soll ich das dem Minister, der Ministerin beibringen, dass Permakultur besser ist als konventionelle Landwirtschaft? Erklär’ mir das! Auf welcher Grundlage? Ich selber esse nur von der Permakultur – daheim habe ich auch eine.” Genau so geht das. Und dieses System, diese Haltung, bricht jetzt zusammen. Weil die ist krank. 

Ich finde man kann sich einfach für das ganze Leben so viel von der Permakultur abschauen. 

Das hat nicht nur mit Landwirtschaft zu tun. Die Permakultur ist eine Lebenshaltung, das ist eine Philosophie. 

Ja, mich hat das extrem fasziniert. Eine letzte Frage noch: Welche drei Ratschläge würden Sie ihrem 14-jährigen Ich geben? 

Lustig sein! Ans Leben glauben! Mach es wie die Sonnenuhr – zähl’ die heiteren Stunden nur! 

Ok. Waren Sie nicht so ein lustiges Kind? 

Doch! Bin immer noch lustig! Bei gewissen Sachen kommt mir aber das Rean, ich halt’ das nimmer aus. Ich bin auch so sensibel geworden durch diese Filme, weil ich so viel reingeschaut habe in Abgründe. Ich sag Ihnen jetzt was – jetzt gehen sie alle her – alle Filmfestivals waren ja abgesagt, aber unlängst war ich bei einem ganz einem kleinen, das war sehr nett. Es war extrem schön, in der Nähe von Frankfurt an der Oder, am Scharmützelsee. Während der Film drinnen gelaufen ist, bin ich draußen herumspaziert und danach bin ich wieder hineingegangen. In dieser Ortschaft haben alle gesagt “Wissen Sie, bei uns wird jetzt das neue Tesla-Werk eröffnet.” Und dann habe ich mich ein bisschen schlau gemacht. “30.000 Arbeitsplätze.” Für dieses Tesla-Modell, wo es hundert Tausende Vorbestellungen gibt – der Akku hat 700 kg. Ein VW Käfer – in meiner Kindheit – hat 639 Kilo – das war schon das ganze Auto. Hier reden wir nur von der Batterie. Die Herstellung dieser Batterie – wir reden jetzt noch nicht von der Betankung und ich rede nicht von der Entsorgung! – nur die Herstellung einer solchen Batterie stößt so viel CO2 aus, wie sie mit einem VW Golf 200.000 km fahren. Und da reden wir von: “Das ist die Zukunft” !?

Es ist ein Irrsinn. Aber wie genau kann man das als nachhaltiges Fahrzeug verkaufen!?

NICHT! Gar nicht! Es ist eine Chemieschleuder der ärgsten Art. 

Es macht überhaupt keinen Sinn für mich. 

Nein. Das einzige, was einen Sinn macht, ist, wir brauchen ein neues Konzept von Verkehr. Wir müssen nachdenken. Wir müssen erstens einmal viel weniger fahren. Auch das Fliegen würde ich nicht verbieten. Aber viel weniger!

 

 

 

Foto: Franzi Kreis