Wann ist man eigentlich zu alt für [Sachen]? Und wer bestimmt das? Und wieso macht man [Sachen] an (arbiträren!) Altersgrenzen fest? Das ist so ein Thema, das mich diese Woche wieder mal hart beschäftigt hat. Zum einen habe ich mit der Steffi Krautz über Altersgrenzen an Schauspielschulen gesprochen, zum anderen hatte ich ein Bewerbungsgespräch, bei dem ich – nach meiner Gehaltsvorstellung befragt- eine Gehaltsspanne angab, was angeblich „unprofessionell“ wirkt, und was ich mittlerweile wissen sollte, da ich ja „nicht mehr so jung“ sei. Und dann hatte ich noch eine Instagram-Konversation mit einem 20-Jährigen, wo’s um das Thema „hätte-ich-mal-früher-XYZ-gemacht“ ging. Aja und gestern hab’ ich dann noch einen aktuellen Standard-Artikel gelesen, in dem es um eine 64-jährige Single-Frau ging, die in einem Selbstexperiment den Online-Dating-Markt aus der Sicht einer älteren Frau unter die Lupe nahm. Also ihr seht’s – das Thema ist allgegenwärtig. It’s a lot. Und da ich gerade einen Harnwegsinfekt habe (ist scheiße, ja!), und der Sonnenspaziergang bei frühlingshaften 12 Grad daher bei mir flachfällt, hab’ ich mir gedacht: Passt, dann schreib ich halt einen Blogartikel. Here we are.
Ich fang am besten Mal mit der Insta-Konvo an. Am Mittwoch postete ein Bekannter (20) auf Instagram folgende Story:
Ich habe ihm darauf geantwortet: „Fühlst du das?“ Er: „Jeder in meiner Generation.“ Daraufhin haben wir eine relativ lange Diskussion geführt. Würde jetzt zu sehr ausufern, alle Einzelheiten hier wiederzugeben, aber im Wesentlichen versuchte ich, ihn zu beschwichtigen, und ihm zu erklären, dass 20 ultra(!) jung ist, und er so ca. sein komplettes Leben vor sich hat, und jeder Stress, den er sich macht, in Wahrheit ein unnötiger ist. War ungefähr so sinnvoll und zielführend, wie wenn du mit einem Klimawandelleugner die aktuellen Temperaturen in der Antarktis besprichst. Die eigene Realität ist eben etwas sehr Subjektives.
Er: Aber oft bin ich halt so ja shit das hätte ich halt mit 16 machen sollen und da hätte ich mich bewerben sollen und da ein Praktikum, da noch eine Sprache lernen, da noch ein extra curricular. Und es geht halt allen meinen Freunden genauso. Weil du die Sachen halt machen musst, um später wo reinzukommen. […] Zeit läuft halt aus. Es geht auch nichtmal um andere. Wenn ich Sachen nicht erreiche, die ich will, bin ich nicht glücklich.
Ich: Ja Hasi, aber du bist 20. Du hast mal null Stress.
Er: Ja ich hab eh nicht viel Stress. Aber das ist, was ich meine. Es beginnt immer früher. Und die Leute spüren es. Du würdest nicht glauben, unter wieviel Druck sich manche meiner Freunde setzen.
Ich mein, aus meiner Sicht heraus klingt das alles völlig absurd. Weil ich mir denke, warum stresst sich ein smarter, gebildeter 20-Jähriger, wenn er noch ca. 60 Jahre seines Lebens vor sich hat? Auf was hinauf? Aber wenn das so ist, dass heute 20-Jährige richtiggehende Zukunftsängste haben, weil sie fürchten, sie hinken in ihrem blutjungen Leben (wem oder was auch immer) hinterher, dann darf man sich schon einmal die Frage stellen: Was genau rennt da eigentlich falsch im System?
Was ich in dem Kontext relevant zu erwähnen finde, ist, dass Steffi Krautz in meinem Interview erzählte, dass sie als Theaterschauspielerin die „merkwürdige Tendenz [beobachtet], immer jünger zu besetzen, als die Rolle das eigentlich [vorsieht].“ Es beginnt immer früher. Gar nicht so ein deppader Satz, when you think about it. Auf die Altersgrenzen an Schauspielschulen angesprochen, die ja gesetzlich nicht mehr gezogen werden dürfen, de facto aber nach wie vor Realität sind, meinte sie:
Wenn die [Theater] junge Absolventen engagieren, dann will man bei den Damen, dass die eben noch locker ein Gretchen, ein Käthchen – also diese klassischen ganz jungen Rollen, und nicht nur die klassischen, sondern auch die modernen- spielen können. […] Du merkst es […], dass junge Damen, die so jung wirken, viel besser „weggehen“, als Frauen, die einfach mit 26 vielleicht auch schon mal ein halbes Studium gemacht haben, die ein bisschen was vom Leben wissen – denen traut man das dann nicht zu. Das find ich total bekloppt. Ich finde, das total blöd. Ich finde es absurd, zu sagen, ein Gretchen kann man nur spielen, wenn man so ganz jung aussieht. Das ist Schwachsinn! Das ist einfach so eine engstirnige Sicht, die noch so aus der alten Zopfzeit kommt.
Dann merkte sie noch an, dass für ältere Schauspielerinnen die Rollen, und insbesondere die guten, sukzessive immer weniger werden. Du verlierst also, wenn man so will, deine Repräsentation. Und da das Theater ja in gewisser Weise auch immer die Gesellschaft widerspiegelt, hat mir das extrem zu denken gegeben: Wo und wie werden ältere Menschen, und insbesondere Frauen, denn repräsentiert? Und wieso bleiben sie so unterrepräsentiert? Sie sterben quasi, bevor sie wirklich tot sind. Und was hat unsere Gesellschaft damit zu tun? (Spoiler alert: VIEL!)
Und was den Standard-Artikel angeht: Ich hab mir die Geschichte der 64-jährigen Frau, die sich im Selbstexperiment auf online Partnersuche begeben hat, gestern Abend durchgelesen, und dachte mir wirklich: Ein Drama in ein paar Akten. Sie schildert, wie schwierig es für eine ältere Frau ist, einen adäquaten Partner zu finden, wenn sie nicht (nur) eine Sexgespielin für jüngere Männer sein möchte, sich nicht als kostenlose Altenpflegerin zur Verfügung stellen will („Heirat nicht ausgeschlossen“ LMAO!), und keinen Methusalem auf seinen letzten drei Metern begleiten möchte. Es ist wirklich schauderhaft. Sie kam zu dem Schluss:
Frau oder zumindest eine Frau, die Jahre aufzuweisen hat, ist also wie in der Tanzstunde in ihrer Jugend darauf angewiesen, dass jemand sie auffordert, sonst bleibt sie sitzen. Nahezu alles auf der Welt hat sich in diesem halben Jahrhundert geändert – nur das nicht; der ganze mühsame feministische Kampf – auf dieser gesellschaftlichen Ebene bisher gänzlich wirkungslos.
Hmpf.
Danach habe ich noch ca. eine Stunde in den Forumsbeiträgen geschmökert. Manche der Aussagen dort haben mich extrem aufgeregt, ich sag’s wie’s ist. Ich mein, zum einen wurde die Autorin da von einer großen Mehrheit der Kommentatoren als komplett undankbares, zickiges Frauli dargestellt, die sich mal nicht so anstellen soll und halt bitte einfach nehmen soll, was sie auf ihre oidn Tag noch kriegt. !?!??!?!?!?!?! Dazwischen waren ein paar sexistische Kommentare eingestreut, wie z.B. der hier:
Eine Userin mit dem Pseudonym Marinelli, die in dieser Diskussion einige sehr gute Wortmeldungen geliefert hat, hat ihm dankenswerterweise daraufhin Folgendes geantwortet:
Kann man eigentlich nur unterschreiben. Also ich würd’s unterschreiben. Hier, jetzt, sofort.
Und nur damit das klar ist: Ich glaube nicht, dass diese Diskussion in ihrer Essenz um „Opfer“ vs. „Täter“ geht und dass man jetzt „den Schuldigen“ finden und verdammen muss. Vielmehr glaube ich, dass man gut daran tut, gesellschaftliche Tendenzen, Ängste, Störungen zu hinterfragen, damit man sie versteht. Und bestenfalls aushebeln kann. (Die Hoffnung stirbt zuletzt.)
Ich hab das ja bereits in meinem Artikel zum Thema „Zeit“ angeschnitten, dass der Jugendwahn imho in Wahrheit ein (unbewusster) Versuch ist, dem Tod zu entrinnen. Je jünger ich bin, desto länger habe ich noch zu leben. Das ist meiner Meinung nach auch ein Hauptgrund, warum Männer sich ab einem gewissen Alter wesentlich jüngere Partnerinnen nehmen (wollen). Sie wollen sich über ihre eigene Sterblichkeit hinwegsetzen. Und wie angelst du dir eine 25 Jahre jüngere Partnerin? Naja, da brauchst vielleicht dann 1,2 Knedln. Also entweder du bist eine Yacht oder du hast eine. Und Frauen rennen zum Schönheitsdoc und lassen sich Brüste, Lippen, Gesicht machen, aufspritzen und füllen. Selber Grund: Ich tu mal so, als wär ich eh noch jung. Dass eine 40-jährige Frau mit injiziertem Botox in aller Regel nicht ausschaut wie eine 25-Jährige, sondern eben wie eine 40-Jährige mit Botox, ist dabei nebensächlich. (Logik?)
In Wahrheit wirkt jeder Versuch, dem Alter zu entrinnen wie ein kläglicher Akt verzweifelter Unsicherheit. Also ich weiß es ja nicht, aber ich finde einfach Leute genial, die wirklich zu sich stehen und mutigen Schrittes in ihrem Leben voranschreiten. Auch deswegen find’ ich die Steffi Krautz so cool: Sie ist 50, hat weder gefärbte Haare noch irgendein Botox oder sonst was, strahlt so viel Selbstbewusstsein und Gelassenheit aus und ist komplett authentisch. Und ich sag’s ganz ehrlich: Solche Frauen braucht unsere Gesellschaft. Starke Persönlichkeiten, die sich nicht kleiner machen (lassen) als sie sind. Die sich nicht auf ihr Aussehen reduzieren (lassen). Die zu sich und ihrem Alter stehen. Stolz sind darauf, was sie schon alles gemacht und erreicht haben. Ihr Alter mit Würde tragen. Je mehr solche Frauen es – auch in der Öffentlichkeit!- gibt, desto mehr Sicherheit und Halt gibt das meiner Meinung nach der jüngeren Generation. Weil wenn’s keiner vormacht, wird sich nie was ändern, das ist ja in jedem Bereich so. Die allermeisten Menschen sind Lemminge, und nur die allerwenigsten taugen zu Leadership. Weil das einfach verdammt viel Mut und Kraft braucht, gegen den Strom zu schwimmen.
Und genauso wie’s mutige Frauen braucht, braucht’s auch mutige Männer. Männer, die sich nicht eingeschüchtert fühlen von starken Frauen. Ich mein, das ist ja kein Battle, da muss ja niemand den anderen ausstechen.
Und was die Frage nach der Gebärfähigkeit anbelangt (Stichwort „biologische Uhr“). Das ist auch sowas, was mich ur aufregt. Da heißt’s immer, Männer können bis ins hohe Alter hinein Vater werden. Joa. Möglicherweise. Genauso gibt’s aber auch unfruchtbare 35-jährige Männer. Und ob’s so leiwand ist, wenn du mit 50+ noch Vater wirst, sei dahingestellt. Aber ich wehre mich gegen diesen Fertility Holocaust (Shallon Lester), den man Frauen immer überstülpen will. Es gibt Frauen, die bekommen mit 50 noch ein Kind auf natürlichem Wege. Andere stressen sich mit ihrer Familienplanung schon mit 30 so her, dass es nix wird. Also ich weiß es ja nicht. Fortpflanzung kann sicher eine super Sache sein, aber bei derzeit fast 8 Mrd. Erdenbürgern, würd ich mal sagen, ums Aussterben müssen wir uns keine Sorgen machen. Isso. Also zumindest nicht, weil’s zu wenige von uns gäbe… Insofern halte ich es für einen kompletten Schwachsinn, den Wert des Menschen an seiner Gebärfähigkeit festzumachen. Oder seine Identität (noch schlimmer!). Au Mann.
Ganz generell glaube ich, dass wir schön langsam die Absurdität und Perversion (!) dieser krankhaften Jugendfixierung erkennen könnten. Gestern hat mir eine Freundin den Fm4-Artikel mit dem Titel „So verändert TikTok die Musikindustrie“ geschickt, wo erklärt wird, dass Songs 2020 primär mal „tik-tok-able“ sein müssen. Was das heißt? „[E]infache Lyrics und eine Melodie, die entweder tanzbar oder episch ist. Und irgendwo ein Bass-Drop schadet auch nicht.“ Und der Einfachkeit sind keine Grenzen gesetzt. Am besten ist, du verwendest in der Hook einfach nur so 1-3 Wörter (siehe Justin Bieber’s „Yummy“). Ein Banger.
Und auch wenn Tik Tok „the next big thing“ ist – ich find’ es hat was extrem Lächerliches, wenn da full-blown adults sich auf dieser Plattform zum Kasperl machen, indem sie versuchen, wie ein 12-Jähriger in einem Selfie-Video herumzuhampeln. Ich mein, wenn meine Mama in den 90ern mit einem Tamagotchi in der Gegend herumgekrebst wäre, und da einen auf ernsthaft gemacht hätte, hätt’ ich sie auch gefragt, ob’s bei ihr schneibt. Ist irgendwie so ein bissl vergleichbar, find’ ich.
Aber ja. Ich sag auch nicht, dass man TikTok als erwachsener Mensch nicht nützen kann, aber wenn ich als 30-Jähriger versuche, einen Pubertierenden zu emulieren, hat das schon fast etwas Pathologisches meiner Meinung nach.
Auf der anderen Seite: Es ist nie zu spät für eine glückliche Kindheit. Hahahahaa.
Und Altersgrenzen sind relativ. Weil jeder Mensch anders ist. Das fängt ja schon in der frühesten Kindheit an: Manche können schon mit 1 Jahr reden, andere sagen mit 3 noch immer nix außer „Papa“ und „Mama“. Dann gibt’s Babies, die cruisen schon mit 10 Monaten eigenständig durch die Wohnung und andere musst mit eineinhalb noch durch die Gegend tragen wie einen Kartoffelsack. Ich mein, die persönliche Entwicklung ist eine sehr individuelle. Und das ist halt im Erwachsenenalter nicht anders, gell. Und ist ja auch okay. Wenn jeder mit 20 komplett gleich drauf wäre, dann hätte die Matura ja richtig Sinn gemacht. (Das war ein joke, ok!?)
Anyways, ich hab alles gesagt. Ich hau’ mich jetzt zum Keyboard und schreib’ weiter an dem Song, den ich gestern angefangen hab. Er heißt „Good girls are not angry“ und ist leider nicht tik-tok-able. Was soll’s.