Julia Heinisch

Die Buchfeldgasse im 8. Bezirk ist ziemlich ein idyllisches Plätzchen. Julia Heinisch und ich haben da mal vor geraumer Zeit im selben Haus gewohnt (sogar selber Stock, yeah!). Ich liebe es ja, von tollen Nachbarn umgeben zu sein, das schafft in der Anonymität der Großstadt eine warme, heimelige Atmosphäre. Und so saßen wir des Öfteren mal gemeinsam bei Tee oder Rotwein und unterhielten uns über die Kunst, das Leben und beides in seinem Zwischenspiel miteinander. Damals hatte ich noch das selbstgemalte Muschi-Porträt prominent im Wohnzimmer hängen (Julia war also eine der wenigen, die das zu Gesicht bekam, bevor ich’s irgendwann in den Keller räumte) und Julia malte noch hauptsächlich Aktbilder und wunderschöne Zeichnungen auf Papier (oft mit Kohle oder Bleistift). Dabei ging es in ihren Bildern (meiner Wahrnehmung nach) weniger um die 100% detailgetreue Wiedergabe der Realität, sondern eher um eine sehr kunstvolle und abstrakte Linienführung, die Raum für Fantasie ließ und dem Betrachter eine ganz eigene Perspektive eröffnete. Es war also damals schon klar, dass sie nicht als Kinderbuchillustratorin enden würde, sondern zu Größerem berufen war (nichts gegen KinderbuchillustratorInnen, aber ja – you get the point.). Unser Hausarzt (von uns liebevoll „Dr. Flo“ genannt) war ebenso ein großer Fan ihrer Kunst – ein paar von Julias Bildern schmücken seither seine Wohnung. 

Julias Eintrag in mein Freundschaftsbuch, ca. anno 2008. Ich lieb’s!

Irgendwann fing sie dann mit Graffiti an. Ich weiß noch, dass ich das total cool fand. Es war so unkonventionell und anders und hatte so was Draufgängerisches, was mir zu dem Zeitpunkt noch komplett fehlte. Und genau wie ihre Aktbilder waren auch ihre Graffitimalereien so künstlerisch hochwertig und besonders. Für mich war’s immer schwer nachzuvollziehen, dass man mit einer Spraydose sowas Kunstvolles überhaupt an eine Wand „malen“ kann. Ich kenne zwar keine anderen GraffitikünstlerInnen persönlich, aber sie ist für mich auf jeden Fall die Königin des Graffitis, das kann man ruhig so sagen. 

Und der Erfolg gibt ihr recht. Mittlerweile lebt sie von ihren Graffiti-Aufträgen, und verschönert Wände, Fassaden und andere Oberflächen zur Begeisterung ihrer Auftraggeber. 

Letztes Wochenende haben wir uns nach ziemlich langer Zeit das erste Mal wiedergetroffen („Lass uns nicht die Jahre zählen, okay…?!“) und uns über ihr abenteuerliches Leben und die Welt des Graffitis unterhalten. 

Wie bist du zum Graffiti gekommen? 

Gute Frage – hat lang gebraucht bis ich mich mal getraut hab, was zu machen. Es hat in meinem Leben so einen augenöffnenden Moment gegeben, wo ich erkannt hab’, so wie’s bisher lief, muss es nicht mehr sein – mach’ ma das, was mir Spaß macht, und worauf ich Bock hab’. Weil ich hab nur ein Leben. Und das war eine wichtige Erkenntnis, die ich so mit 23 hatte. Ich bin mit 18 nach Wien gezogen und hab’ damals schon die ganzen Bilder am Kanal gesehen, und war davon einfach nur angefixt. Zeitgleich war ich dann auf der Kunstuni [in Linz] und dort habe ich Leute kennengelernt, die auch gesprüht haben – hauptsächlich Männer. Und ich habe mich dann einfach bei ihnen angehängt, weil ich als Anfängerin nicht gewusst hatte, wo es legal ist, wie ich das Material handle,… Mittlerweile gibt es ein Überangebot an Workshops, auch im Internet. 2013 war das noch nicht der Fall. 

Irgendwann an einem kalten Februartag sind wir in eine Unterführung gegangen. Ich bin dort gestanden mit meinen vier, fünf Farben – mehr wollte ich mir damals nicht kaufen oder leisten. Und es war eine kurze Einführung: „Da ist die Wand – mach!“ Nach diesem einen Mal hab’ ich gewusst: Okay, das lässt mich jetzt nicht mehr so schnell los. Ich hab mir dann relativ schnell selber erarbeiten können, wo man hingeht, und wo man was machen kann. Ich hab dann einfach gemacht. Das ist eh das Wichtigste beim Malen oder generell im Leben: Einfach machen, und dann passiert auch was. Und irgendwie hat das auch viel mit Sich-Trauen zu tun. Dann hab ich auch in Wien damit begonnen und habe mich ausgetobt, habe relativ schnell Leute kennengelernt, die auch malen, und habe mich mit denen connected und gemeinsame Kollaborationen gemacht. Und da passiert dann immer was Neues. Beide lernen voneinander – egal, wie lange die andere Person malt. Und dann hat sich das verselbständigt. Was natürlich damit zusammenhängt, ist das Reisen, wodurch man wieder viele neue Leute kennenlernt und sich dann mit denen vernetzt. Es ist auch ganz interessant, dass die Leute in der Szene ganz unterschiedliche Backgrounds haben – vom Anwalt über den Drogendealer und Ex-Knackis ist da alles dabei. (lacht) Und natürlich die Selbständigen, die davon leben. 

Wollten deine Eltern denn, dass du was Anderes in deinem Leben machst?

Sie haben nie gesagt, mach dies oder jenes. Aber es waren so gewisse Erwartungshaltungen im Raum, die nicht ausgesprochen werden müssen, um doch da zu sein oder um dich doch zu prägen. Ich bin in einem Haus aufgewachsen, das so wie es jetzt da steht und ist, keiner, der heute angestellt ist, sich hätte leisten können. […] Mein Vater ist ja Arzt und meine Schwester hat auch diesen Weg gewählt. Dass ich selbständige Künstlerin werde, damit haben sie natürlich nicht gerechnet, glaube ich. Und es hat sehr, sehr lange Überzeugungsarbeit von meiner Seite gebraucht, um ihnen zu sagen, das ist genau das, was ich machen will, und das ist jetzt nicht nur eine Phase. 

Also sie wollten es dir ausreden? 

Nein, nicht ausreden, aber sie haben mich auf eine extrem harte Teststrecke geschickt. 

Wie sah die aus?

Naja schon immer mit Nachfragen, und Zweifeln, und das Übliche halt – sie „machen sich Sorgen“. Man kann’s ihnen auch nicht übel nehmen. Im Endeffekt aber sahen sie den Willen, und dass da tatsächlich was passiert. Also dass es nicht nur beim Reden bleibt, sondern dass ich rausgehe, was tue und es handfeste Ergebnisse gibt und es eben auch funktioniert. Ich bekam Geld durch Aufträge oder Verkäufe und irgendwann war eben der Wendepunkt, wo sie sagten, ja okay, schaumermal, geben wir dem Ganzen doch mal eine Chance. Und mittlerweile ist meine Mama meine größte Supporterin, macht überall Werbung für mich wo’s nur geht und versucht mich halt überall, ins Gespräch mit reinzubringen, was ich extrem süß finde, und wofür ich extrem dankbar bin. 

Wie findet man denn heraus, wo man legal sprayen darf?

Mittlerweile gibt’s eine wahnsinnig gute Plattform, die heißt spraycity.at, die dokumentieren und  archivieren alles, was mit Graffiti zu tun hat. Hauptsächlich mit Fokus auf Wien, aber sie haben auch Archive zu anderen Städten und sind wirklich immer auf dem Laufenden. Also wenn du irgendwas machst, ist das spätestens in der nächsten Woche auf dem Blog zu sehen. Und die haben sich jetzt auch die Mühe gemacht, alle öffentlichen Wände in Österreich auf einer schönen Karte einzuzeichnen, und du kriegst  Infos darüber, wie groß die Wand ist und was man dort überhaupt bemalen darf. Und davor gab’s die Wienerwand Geschichte – gibt’s immer noch: Das war eine Initiative, wo das Bestreben dahingehend war, dass es legale Flächen für Graffitikünstler gibt. Überall, wo eine Taube oder eine kleine Tafel mit einer Taube drauf ist, darf man malen.

Was hältst du von Sprayern wie Puber, die einfach nur ihren Namen an Hauswände sprayen?

Ja hat auch seine Berechtigung. 

Aber ist das Kunst?

Ich glaube, die Frage kann man gar nicht stellen. Das hat nix damit zu tun. Also das sind für mich Äpfel und Birnen. […] Ich hasse dieses Schuhschachteldenken, wenn die Leute sagen „Uh, die macht Street Art, uh der macht Graffiti.“ Die Grenzen sind fließend. Ich weiß nicht, ob man versuchen soll, die Leute da reinzupressen…Entweder jemand macht was, oder er macht nichts. Ich find’s relativ egal, ob das jetzt an einer legalen Fläche ist oder ob’s irgendwo draußen ist. Beides geht darum, dass es gesehen wird, dass es draußen stattfindet. Dass man’s selber aus der Hand gibt, quasi die eigene künstlerische Arbeit. Und es passiert damit was auch immer. – Was nicht heißt, dass ich’s okay finde, dass Bilder für Werbezwecke hergenommen werden, und die Künstler, die dahinterstehen ihrer Urheberrechte beraubt werden. Also das finde ich wiederum nicht okay, wenn daraus Kapital geschlagen wird. Aber anderes Thema. Riesenthema. Ein Fass, das ich jetzt nicht aufmachen will. […] Wenn überhaupt, kann man zwischen einem qualitativen und einem quantitativen Ansatz in der Herangehensweise unterscheiden, aber selbst da finde ich’s schwierig, das zu beurteilen. Und es ist die eine Sache, wenn man untertags an einer legalen Fläche steht, und eine andere, wenn man in der Nacht rausgeht und was Anderes macht. Das sind zwei unterschiedliche paar Schuhe. 

Aber wichtig ist, dass es draußen ist? 

Ich find’ schon. Ich mach auch im Innenraum oft genug, aber die Arbeit lebt halt draußen ganz anders. Wenn die irgendwo sitzt, nimmt sie immer Bezug auf den Raum, in dem sie sich befindet – sei’s die Architektur, in die sie eingebettet ist – der ich mich ja nicht entziehen kann; sei’s die Leute, die sich darin bewegen und sie wahrnehmen; Also man hat schon eine gewisse Verantwortung dafür, was man an die Wand klatscht. 

[…]

Wie würdest du die Graffiti-Szene generell beschreiben? 

Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass die Szene recht männlich ist. Es sind zwar mittlerweile auch viele Frauen, die malen, aber die Essenz, was Graffiti darstellt, und was es ist, ist halt sehr, sehr männlich. 

Und wieso glaubst du, ist das so?

Warum hat’s so lang gedauert, dass ich rausgeh’ und irgendwo was anmal’? Da kann ich mir die Frage stellen. Und vielleicht, wenn ich mir die Frage beantworten kann, habe ich auch schon irgendwie einen Teil der Antwort, wieso die Szene so männlich ist. Warum hab ich mich nicht vorher getraut? Warum dachte ich, ich kann es nicht? Warum dachte ich, darf ich da überhaupt…‘?“ Männer gehen nicht hin und fragen: „Darf ich das?“ Die machen einfach. Und warum machen Männer das? Männer sind halt anders als Frauen. Das liegt vielleicht an der Erziehung. Oder auch an der Gesellschaft, die uns von außen formt. Und das ist in den meisten Teilen der Welt sehr, sehr ähnlich – egal, wie offen und frei die Gesellschaft ist. Trotz allem seh’ ich den Punkt darin begraben. 

Könnte man dann eigentlich sagen, dass Graffiti malen empowering für Frauen ist? 

Also mich hat’s definitiv empowert. Weil ich gelernt hab’, mir viel weniger zu scheißen, was gewisse Dinge im Leben angeht. Und ganz ehrlich, die Kontakte, die ich durch Graffiti erhalten hab’, die waren allesamt menschlich nur bereichernd. Und auch wenn Enttäuschungen dabei waren – von Menschen, wo’s halt nicht funktioniert hat auf einer freundschaftlichen Ebene, lernst du ja was. Das Schönste am Graffiti ist eben diese Diversität an Menschen, die du dort triffst. Du hast Anwälte, du hast Ärzte, du hast aber auch Leute, die gar nix haben. Und die sich dazu entschieden haben, nur mehr Graffiti zu machen – oft haben sie schon viele Schulden, weil sie erwischt wurden. 

Ja okay, aber da reden wir jetzt von denen, bei denen es vermutlich weniger um den Kunstaspekt, sondern mehr um den illegale Aspekt geht, oder? 

Das weiß ich nicht. Menschen, die sagen „ich will nur malen“, sagen meistens auch „ich will davon leben können“. Das ist ja das, was ich auch mache. Ich male, um davon leben zu können. Ja, natürlich – wenn man sich mal dafür entscheidet – es ist ein Fulltime-Job! Wenn man seinen Namen – wie z.B. Puber – irgendwo rausbringen will, sodass die Stadt dich kennt. Er hat’s ja geschafft, dass selbst Leute, die nie Graffiti wahrnehmen, wenn sie durch die Stadt gehen, ihn bemerken, oder darüber reden. Und das ist ein Fulltime-Job, dass der seinen Namen überall in der Stadt verteilt hat – viel geschlafen hat er vermutlich ned. Geld kosten tut’s auch. 

Wieviel kostet so eine Spraydose?

So eine ganz gewöhnliche mit 400ml kostet ca. 4€. 

Und wie viel brauchst du für eine Wand? 

Ganz unterschiedlich, weil ich nicht nur mit Sprühdosen arbeite, sondern ich mach sehr oft Mischtechnik mit Dispersionsfabre, Acrylfarbe, und dann kann ich’s nicht mehr so genau sagen. 

Aber ist nicht ganz billig, quasi. 

Nein, überhaupt nicht! Ich kann dir z.B. sagen – wenn ich eine Fläche füllen muss – mit einer Dose komme ich für 1,5 m2 aus, wo schön deckend die Farbe drauf ist. Es kommt aber auf den Untergrund draufan. 

Du bist ja auch schon recht oft herumgekommen mit dem Malen, u.a. nach Estland, Lettland, Litauen, Albanien. Welches Land ist graffititechnisch für dich das spannendste derzeit? 

Ich glaube, es kommt immer drauf an, ob man viel sehen will, oder ob man viel machen will. Und viel machen heißt, dass noch wenig gemacht wurde, und da noch viel Platz ist. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Generell ist im Osten ganz viel Leerstand, sehr viele Fabrikhallen, die irgendwie unbenutzt herumstehen und langsam verfallen, Häuser, um die sich keiner mehr schert – da findest du halt einiges, wo du dich austoben kannst. Gerade die Atmosphäre, die in solchen Leerstandsgebäuden ist, ist unglaublich. Es ist auch schön, da einfach nur durchzugehen, und alles zu erforschen und zu erkunden. Man kommt sich ja jedes Mal vor wie ein kleines Kind am Abenteuerspielplatz. Genau das macht ja auch den Reiz bei Graffiti aus: Man ist irgendwie so auf einer Mission. Und man weiß nie, was kommt, was man dabei erlebt, oder wen man kennenlernt. 

Das ist urspannend. Aber welches deiner Auslandsprojekte war bisher das eindrucksvollste? 

Hm, ich weiß nicht. Es hat irgendwie alles einen eigenen Reiz gehabt. Im Oman z.B. war ja nicht einmal klar, ob man überhaupt malen darf. Im Oman hab ich z.B. auch überhaupt keine Werbetafeln gesehen. Alles ist ja hier zugeschissen mit Werbung. Keiner regt sich darüber auf, aber jeder regt sich über die Puber-Schmierereien auf.  Und keiner fragt dich, ob du dich durch die gigantischen Werbeplakate belästigt fühlst – ich fühle mich nämlich sehr dadurch belästigt. Und im Oman hab ich mir gedacht „Moment, irgendwas stimmt hier nicht…“ und dann bin ich drauf gekommen, dass es dort keine Werbeplakate gibt, also zumindest in Maskat nicht. Und dort herrscht die Scharia, da ist ein ganz anderes Rechtssystem. Wenn du dort jemandem auf den Schlips trittst, weißt du ja nicht, was passiert. Ist wahrscheinlich auch nur bedingt möglich für die Botschaft oder dein eigenes Land, dir [im Falle eines Problems] zu helfen. Und es war uns eben nicht klar, ob es Graffiti dort überhaupt gibt. Du findest auch nichts dazu, wenn du darüber recherchierst. Und Maler gibt es dort natürlich auch nicht, die du fragen könntest. Wir sind dann jedenfalls runtergeflogen und haben die Dosen schon mal ins Gepäck reingeschmissen. Das ist zum einen gut gegangen, weil sie die Dosen aus dem Gepäck meines Partners zwar rausgenommen haben, aber sie bei mir nicht gesehen haben, und sie somit drinnen geblieben sind. […] 

Und dann haben wir einfach dort gemalt. Zuerst haben wir mal geschaut, dass es irgendwelche Flächen sind, die wirklich niemanden interessieren können, wie z.B. Stützwände. Die Leute haben das dann durchaus gesehen und haben das total gefeiert. Es war sogar so, dass sie uns, wenn sie vorbeigekommen sind, irgendwelche gegrillten Sachen zum Essen vorbeigebracht haben, weil sie gerade nebenan wo gegrillt haben. Und sie haben uns gefragt, ob wir das auch gegen Bezahlung machen würden. Wir so, ja schon, aber wir sind jetzt auf Urlaub und daher wollen wir uns keinen Auftrag aufhalsen, der uns im Urlaub die Zeit klaut. Und am Ende – es war genau an meinem Geburtstag – trafen wir eine Gruppe Männer in einem einsamen Tal, die da gesessen sind, gerade gegrillt haben und eine Gaudi gehabt haben. Sie waren sofort total gastfreundlich – haben uns Kaffee und frische Früchte angeboten. Nach einer Stunde Reden war klar, wir müssen länger bleiben, also auch zum Essen. Und dann hat sich herausgestellt, dass das alles hochrangige Militäroffiziere sowie aber auch einfache Polizisten sind, die ihre Freizeit miteinander verbringen – sozusagen ein Männerausflug übers Wochenende. Wir haben ihnen dann gezeigt, was wir so gemacht haben. Es hat ihnen irrsinnig gut gefallen, und niemand wäre auf die Idee gekommen, zu sagen, dass das illegal wäre. Die haben sich einfach gefreut, dass da etwas passiert – dass jemand auf die Idee kommt, nackte Wände zu gestalten und eine Anregung dazulassen. 

Das ist ja auch ein voll schöner Gedanke, finde ich. […] Du hast ja gesagt, du lebst jetzt vom Malen. 

Ja. Bin noch nicht reich geworden. 

Ja, aber wie funktioniert das grundsätzlich? Weil – ganz ehrlich – ich als Nicht-Graffiti-Kenner denk’ mir – wie verdient man mit sowas Geld? Aber die Szene dürfte glaube ich ziemlich gewachsen sein, gell? Oder die Awareness auch. 

Die Awareness, und mit der Awareness auch die Leute, die das machen, ganz klar. Irgendwie scheint mir die Hemmschwelle geringer geworden zu sein – die Leute gehen einfach raus, und malen irgendwas an. 

Aber wie funktioniert das, dass man das dann kommerzialisiert oder monetarisiert?

Ja, das wüsst’ ich auch gern… Momentan rennt’s halt viel über Hören-Sagen. Also Mundpropaganda ist ein ganz, ganz wichtiger Motor, der da läuft. Oder teilweise ergeben sich Aufträge auch ganz unverhofft, z.B. durch eine Ausstellung oder durch Weiterempfehlungen und Kontakte. Oder mittlerweile auch über Agenturen. […] Man lässt sich natürlich in seiner Gutmütigkeit oft ausnützen, v.a. Künstler sind da gern bereit, irgendwie ihre Arbeit über alles andere zu heben – auch über ihre eigenen Bedürfnisse, die sie im Ende ernähren sollten. Man muss lernen, irgendwie Geschäftsfrau oder Geschäftsmann zu werden. Wenn man das nicht lernt, und vielleicht auch Idealist bleibt – ich respektiere das vollkommen, aber ich glaube nicht, dass man dann gut und v.a. sorgenfrei davon leben kann. 

Absolut! Also würdest du sagen, diese Geschäftsmännigkeit ist einfach das entscheidende Kriterium, um mit seiner Kunst Geld zu machen?

Wie immer geht’s darum: Wie gut kannst du dich verkaufen? Du selber bist ja auch ein Produkt. In dem Moment, wo du rausgehst mit deinen Arbeiten und auftrittst, bist du ein Produkt. Es ist beim Graffiti nicht einmal die Notwendigkeit da, dass man dein Gesicht dazu kennt, aber allein die Idee von dir, die du da rausbringst, reicht. Wenn du in Wirklichkeit ganz anders bist, ist das auch in Ordnung, aber dann sollte man wahrscheinlich schauen, dass man das nicht in Verbindung bringt, sondern, dass man die Idee aufrecht erhält. Denn die Idee ist ja auch, was Menschen fasziniert irgendwo. Und das, wofür sie Geld ausgeben, das was sie interessiert. […]

Was war bisher dein exotischster Auftrag?

Nicht exotisch, aber ein schönes Beispiel – zuletzt in Sizilien, wo ich und mein Partner auf Urlaub waren. Wir sind angekommen auf einer Insel, die bei Sizilien vorgelagert ist, ins Café gegangen, und wurden von jemandem angesprochen, was wir überhaupt machen, weil im Winter ist ja im Normalfall keiner da. Wir so, ja, Touris. Was wir beruflich machen – Künstler, wir malen Graffiti. Dann hat sich herausgestellt, dass er einer der ersten war, der in Oslo in den 80er-Jahren U-Bahnen bemalt hat und dass er mittlerweile einen Luxury-Resort auf der Insel in Toplage besitzt. Ich hab’ ihn natürlich gefragt, ob er Wände kennt auf der Insel, die man bemalen kann – Abriss, wurscht. Er meinte, dass es genügend gäbe, aber dass er eigentlich eine Wand gestaltet haben möchte. Er meinte, er könne uns nichts direkt zahlen. Wir so: „Passt eh, wir brauchen eh eine Unterkunft.“ Und ohne, dass er irgendwas von uns sehen wollte – was wir eigentlich künstlerisch machen können oder könnten, hat er gesagt: „Passt.“ Und dann sind wir mit dem heimgefahren und waren in diesem mega Resort, und haben ein Haus für uns bekommen. Am 2. Tag hat er uns die Wand gezeigt. Und wir haben da was sehr Schickes für ihn gemacht. Er ist dann auch gleich mit Wein und Oliven, die er selber angebaut hat, angekommen und dann haben wir erst einmal Wein getrunken bei der halbfertigen Wand. Es war dann schnell klar, dass es ihm so unglaublich gut gefällt, dass er meinte: „Ihr könnt so lang bleiben, wie ihr wollt“ – es ist ihm eh wurscht, es sind ja gerade keine Touris da und im Winter ist ja eh immer Flaute, und er freut sich, wenn wir da sind. Wenn jetzt nicht der zeitliche Druck gewesen wäre, zurückzukommen, wäre ich vielleicht noch dort, weil es war wirklich schön in Sizilien…

Saugeil. Eine letzte Frage habe ich noch: Du hast ja auch Kunstgeschichte und Bildhauerei studiert – waren diese Studien wichtig für dein jetziges berufliches Leben? Würdest du’s nochmal machen oder nicht? 

Gute Frage. Ja, wahrscheinlich schon. Weil irgendwie bin ich jetzt doch da gelandet, wo ich jetzt bin, und ich glaub’, wenn man da nur einen Faktor rausnimmt davon, wäre ich vermutlich wo anders. So denk ich mir halt. Also es kommt eh alles, wie’s kommen muss. Und um auf Kunstgeschichte einzugehen: Es hat mir einen unglaublichen Background gegeben von dem, was es alles gibt, bzw. hauptsächlich hab’ ich gelernt, wo ich nachschauen muss. (lacht) Also ich glaub’, ich hab’ da schon irgendwie einen Vorteil – gleichzeitig hab’ ich immer gedacht, es behindert mich ein bisschen, weil du natürlich genau weißt, wann wer was wie wo gemacht hat, und welches Material wann wie wo aufgeladen war bedeutungsmäßig – und sei’s jetzt nur Ikonographie. Ich geh jetzt nicht so unbedacht heran (ich mein, ich würd das eh nie machen) eine Mutter mit Kind zu malen, ohne dass ich nicht die Idee einer Madonnendarstellung im Hinterkopf mit mir herumtrage – und spezifischer noch, wenn man sich mit Ikonographie auseinandersetzt: Wie sitzt das Kind da, und wendet es sich von der Mutter ab oder nicht? Das hat halt alles irgendwo eine Bedeutung und ist aufgeladen. Und irgendwo hab’ ich mir gedacht, das könnte vielleicht mal ein Hindernis sein. Aber ist es nicht. Man macht ja dann trotzdem sein Eigenes. Und man darf das natürlich nicht außer Acht lassen, aber ich finde, man kann auch damit spielen. Du kannst das Rad ja nicht neu erfinden, auch in der Kunst nicht. 

Bildhauerei hat mir auf jeden Fall ganz andere Zugänge zu Materialitäten verschafft. Wäre ich nicht zufällig bei der Bildhauerei gelandet, hätte ich dem nie so viel Aufmerksamkeit geschenkt, aber mittlerweile hab ich fast einen Fetisch entwickelt, was Material angeht. Es ist ja nicht nur so, dass Material etwas Visuelles ist, oder was, was ich angreifen kann – es riecht zum Teil ja auch, oder es schmeckt auch. Es hat so viele sensorischen Qualitäten, die super interessant sind. Auch, wenn ich nicht viel damit arbeite, weil es schwierig ist, als Bildhauer von der Bildhauerei zu leben.

Ja aber der Geldgedanke ist ja auch beim Graffiti bei dir nicht vordergründig, oder?

Überhaupt nicht! Man muss schon sagen, es ist momentan etwas, das sich als Hype recht gut verkaufen lässt. Nichtsdestotrotz – auch wenn’s gerade kein Hype wäre, würde ich’s dennoch machen, weil die Freiheit, die man dabei erfährt, ist für mich mit nichts Anderem zu vergleichen einfach. 

 

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