Stretchen hilft.

Ich hatte einen sehr coolen Montag. Es ist zwar schon Donnerstag, aber da mein Bandkollege glaubt, ich schreibe einen „Sexblog“, habe ich beschlossen, das Bild an dieser Stelle gerade zu rücken und über meinen sehr unsexuellen Montag zu berichten. 

Also…Vormittags finalisierte ich noch meinen letzten Blogartikel (den ihr hoffentlich schon alle gelesen habt!), dann erledigte ich einige Besorgungen, ehe ich ins Reformhaus sehr verspätet mittagessen ging. Im Reformhaus war gerade kein Mensch zu sehen, und ich nützte die Zeit, um mich kurz zu stretchen. Genau genommen machte ich so eine Abwandlung von der Natarajasana-Pose (#yoga), als ich plötzlich einen herzhaften Lacher hinter mir hörte. Ich war dezent erschrocken, weil ich ja gedacht hatte, ich wär’ komplett allein… Doch nicht. Jedenfalls meinte der Typ, ich solle mich bloß nicht aufhalten lassen. Ich erklärte ihm, dass ich mich gerade so unbeobachtet gefühlt hätte, woraufhin er mir entgegnete, dass man in Wien ja nie unbeobachtet wäre. Ein bisschen pauschal für meinen Geschmack, aber bitte. Und dann fragte er mich noch, ob ich leicht gerade vom Sport käme (ich war sehr sportlich gedressed) und hielt fest, dass Sport ja so wichtig wäre. Ich stimmte ihm zu. Dann meinte er: „Weißt du was, tun wir gemeinsam essen, setz dich zu mir, ich nehm dir gleich ein Besteck mit.“ Ich war zwar eigentlich gerade GAR nicht im sozialen Modus, aber dachte mir dann – naja, bei soviel Initiative kann man eigentlich schwer nein sagen… Und vielleicht wird’s ja ganz nett. Also setzte ich mich mit meinem gefüllten Paradeiser zu ihm. 

So, und jetzt kommt’s: Der gute Mann war über 80. Ja. Das ist so ca. das Alter, wo die meisten Menschen sich nur mehr von der Couch zum Bad zum Bett und wieder retour bewegen (falls sie sich überhaupt noch bewegen können). Nicht so der Fritzi. Er erzählte mir, dass er jeden Tag noch seine 50 Liegestützen macht, im Winter Schitouren geht und regelmäßig mit seinen Freundinnen im Wiener Wald wandert. Ich war wirklich schwer beeindruckt. Mit seinem roten Poloshirt, der Jeans und dem noch relativ dichten, frisierten Haar hätte er locker für Mitte 60 durchgehen können. Ich fragte ihn natürlich gleich, was denn sein Geheimnis für seine späte Jugendlichkeit wäre. Er meinte, gesunde Ernährung, Sport und sich mit „guten Leuten“ zu umgeben. Also keinen Owizahrern. („Conny, das ist so wichtig!“) Und neuerdings setzt er auf ein Nahrungsergänzungsmittel mit Q10, das er präventiv für sein Herz nimmt und das er mir gleich wärmstens empfahl. Außerdem erzählte er mir, dass er früher Schilehrer und Bergführer war, und auch bei der Bergrettung gearbeitet hatte. Er dürfte beruflich aber ziemlich viel Unterschiedliches gemacht haben, weil er mir sagte, dass er als Maschinenbauer begonnen hatte. Life is a journey.

Interessanterweise fragte er mich kein einziges Mal, was ich „beruflich mache“, was mich im Nachhinein ziemlich verwunderte, weil das meiner Erfahrung nach immer so ca. die erste Frage überhaupt ist, wenn man wen kennenlernt. (Hilft einfach unheimlich, die richtige Schublade auszuwählen.) Stattdessen interessierte ihn, was ich in meiner Freizeit mache, welchen Sport ich treibe und wie alt ich bin. Das waren aber schon so ziemlich die einzigen Fragen. Ansonsten war’s einfach ein sehr nettes Gespräch über Gott und die Welt. Er erzählte mir, dass er bis zu seiner Herz-Operation mit 75, bei der er eine neue Herzklappe bekam, noch wöchentlich seine 30-40km gelaufen war. Damals war er gerade auf Urlaub in Innsbruck, als er gesundheitlich solche Probleme bekam, dass ihn „der Helikopter aus dem 4. Stock holte“ und ins Krankenhaus flog. Dann war er drei Monate im Spital. Aber als es ihm wieder besser ging, begann er sofort mit dem Aufbautraining und war im Winter darauf wieder startklar für die Schisaison. Mit einer abschasselnden Handbewegung unterstrich er: „Geh bitte, was kann mir so eine Herz-OP schon anhaben?! Ha!“ Ein Wahnsinn! Dann erfuhr ich noch von seiner „Lady“, mit der „wirklich alles gepasst hat – also nicht nur im Bett“, die es aber leider „nicht mehr gibt“, genauso wie viele seiner Freunde. „Conny, es ist so schwer, zu sehen, wie so tolle Menschen, mit denen du so viele Jahre Zeit verbracht hast, plötzlich gehen.“ Für einen Moment spürte ich seine Trauer. Und fühlte mit ihm. Aber er versank nicht in ihr. Stattdessen zückte er seine Brieftasche, nahm seinen rosaroten Papierführerschein heraus und zeigte mir stolz sein Führerscheinfoto. Das Foto hatte einen Sepia-Touch und erinnerte mich total an die alten Fotos meiner bereits verstorbenen Großeltern. Er war echt ein Fescher, der junge Fritzi. Das Grübchen am Kinn ist im Laufe der Jahre offenbar weniger markant geworden, aber der spitzbübische Blick hat sich bis in sein hohes Alter gehalten. Ich konnte mir unschwer vorstellen, dass er’s als Schilehrer immer sehr lustig hatte. 

Aktuell ist er auf der Suche nach einer passenden Partnerin. Er meinte, er würde zwar schon hin und wieder mit einer „schmuseln“, aber dass sich noch nicht mehr ergeben hätte. Tja. Der Wunsch nach Liebe verbindet uns halt alle, gell, wurscht wie jung oder alt wir sind.

Nachdem wir schon eine knappe Stunde geplaudert hatten, meinte er jedenfalls: „Na Conny, wann gehen wir zwei mal in den Wald? – Oder hast du einen Freund, dann würd ich das natürlich verstehen, wenn du das nicht willst.“ Lol. Ein Selbstbewusstsein wie ein junger Kaiser. Er fragte mich dann noch, ob wir Telefonnummern austauschen (in Zeiten von Social Media ist diese Frage eigentlich schon fast vintage), damit wir uns zusammenrufen können. Wollte ich dann aber nicht. „Na wenn du dir’s anders überlegst – hier im Reformhaus kennt mich eh jeder, da kannst du jederzeit nach meinen Kontaktdaten fragen!“ sagte er dann noch abschließend, bevor wir uns verabschiedeten. 

Als ich raus ging, fühlte ich mich total erfüllt von diesem spontanen, kurzweiligen Gespräch. Die Offenheit, der Frohsinn und die Lebensfreude dieses über 80-jährigen Mannes haben mich wirklich sehr beeindruckt. Ich hoffe, dass ich in 50 Jahren auch noch so fit und fidel durch die Gegend steige. Und dass ich, genauso wie er, dann sagen kann: „Es ist so schön, jeden Tag in der Früh aufzuwachen, und es tut einem nichts weh.“ Das Umfeld prägt einen, da hat er sicher Recht. Aber noch mehr als das, glaube ich, ist’s die eigene Lebenseinstellung, die sich spätestens im Alter sichtbar manifestiert.