Nackt und nackter.

Sind Haare grauslich? Ich weiß es nicht. Also in der Suppe brauch ich’s nicht. Am Kopf hingegen mag ich sie sehr gern. Also auch bei Männern. Mittlerweile lassen sich ja viele Männer mittleren Alters ihr schütteres Haar mittels Haartransplantationen (urteuer, der Spaß!) wieder verdichten – eben weil sie am Kopf so schön sind. Ein Zeichen von Jugendlichkeit und Gesundheit. Jaja, schönes, dichtes Haar kann schon was. 

Abgesehen vom Kopf sollte man aber als Frau ziemlich unbehaart sein. Aalglatt und seidenweich, wurscht ob einen dann tatsächlich wer streichelt oder nicht (hahaha). Nein, okay, im Ernst jetzt – also ich hab das eigentlich auch nie hinterfragt. Ich hab mich rasiert, seitdem der Haarwuchs eingesetzt hat. Wobei, nein, das ist nicht ganz richtig. Auf mein erstes Schamhaar war ich nämlich ur stolz. Ich war ja der volle Spätzünder. Alle in meiner Klasse schauten schon aus wie Frauen, da war ich noch flach wie Holland und unbehaart wie ein Butterbrot. Ich dachte schon, das wird nix mehr mit mir. Als dann endlich das erste Schamhaar spross, ließ ich es also so ein bissl wachsen. Symbolwert, you know. Dann gesellten sich Gott sei Dank eh ein paar weitere dazu, und ja. Gillette, my friend.  

In meinem Kopf war immer so die fixe Vorstellung: Wenn du dich rasierst, bist du gepflegt. Wenn du dich nicht rasierst, bist du ungepflegt. Was ja eigentlich bescheuert ist. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Eigentlich deppad.

Als ich letzte Woche meiner Schwester mitteilte, dass mein nächster Blogartikel das Thema Haare und Schambehaarung in Angriff nehmen wird, meinte sie, dass das Thema ja schon vor ein paar Jahren in aller Munde war, und ob es leicht jetzt wieder einen aktuellen Anlass dafür gäbe, warum ich mich dazu bewogen fühle. Ich meinte, naja, das Thema kann man eigentlich immer bringen. Das ist wie mit dem Fliegen. Das kommt nie aus der Mode. Aber ja, tatsächlich war ich letzte Woche beim Hautarzt, weil ich auf den Schienbeinen einen Ausschlag hatte, der sensationell juckte. Ich dachte mir, ok – Sonnenallergie. Aber der Hautarzt erklärte mir, nein, das kommt vom Rasieren. Ich so: Na bravo… Da rasierst du dich 20 Jahre, und plötzlich schlägt der Körper aus. Und dann lag ich abends im Bett und hab mir halt Gedanken zu diesem Thema gemacht. Warum wir uns rasieren, und warum wir Haare an bestimmten Körperteilen okay oder sogar super finden, und an anderen nicht. Oder warum bei Männern rasierte Beine komisch wirken, und bei Frauen unrasierte grindig. Eigentlich schon seltsam. Und dann habe ich mich gefragt, wie lange Schamhaare eigentlich werden, wenn man sie nicht rasiert. Ich hab diese Frage („Wie lange werden Schamhaare, wenn man sie nicht rasiert“) auf Google eingetippt und stieß auf ein Forum, wo eine Frau allen Ernstes meinte, ihre Schamhaare wären 12 cm lang. 12 cm! Dachte ich mir auch, na bumm, da verirrt sich so mancher Asiat im Dschungel… (politically incorrect, I know…). Und eine andere meinte, ihre wären erst 6 cm und ob ihr wer einen Tipp geben könnte, wie sie länger werden. Ein Wahnsinn. Hatte dann auf Instagram ein paar recht angeregte Diskussionen zu diesem Thema, in denen mir immer wieder bestätigt wurde, dass Wildwuchs als ungepflegt gilt. 

Und auch ich bin ein Opfer der Kosmetikindustrie. Als ich neulich in der Fitnessstudio-Umkleidekabine einer vollbebuschten Frau gegenüber stand, ertappte ich mich dabei, wie ich mir dachte „na Oida…!“ Also so voll auf judgmental. 

Lustigerweise bin ich da bei Männern viel weniger judgmental. Absolut nicht jeder meiner Partner war rasiert, und es war mir immer ziemlich egal. Gut, keiner hatte 12 cm (also Haarwuchs), aber so ein paar cm werden’s schon gewesen sein (hab nie gemessen). Ist aber denk ich mir auch so eine Generationenfrage. Also die jungen Typen sind alle rasiert. Wenn du mit Pornos aufgewachsen bist, steht das glaub ich einfach nicht zur Diskussion. Da rasierst du dich und aus. 

Ziemlich lukrativ für Procter & Gamble und Co. Einwegrasierer sind ein Milliardengeschäft ($34 Mrd. Marktwert). Wer sich schon mal gewundert hat, warum Damenrasierer teurer als Männerrasierer sind, obwohl sie sich weder in Qualität noch Funktionalität unterscheiden – das Schlagwort heißt „pink tax“. Auf Deutsch: Frauenaufschlag. Geil, ne? 

Und ich mein, Rasieren ist ja nur eine Sache. Der Enthaarungsmarkt umfasst ja so viel mehr: Waxing, Sugaring, Enthaarungscremen, dies das. Als sich enthaarende Frau gibst du im Laufe deines Lebens zwischen $10.000 und $23.000 für Enthaarungsmaßnahmen aus (also Rasierer, Cremes, etc.). Das entspricht so ca. dem Jahreseinkommen vieler Erwerbstätiger. Nice!

Man muss sich ja nur mal ausdenken, was diese ganzen Firmen für Umsatzeinbußen einfahren würden, wenn wir jetzt alle plötzlich einen auf Adam und Eva machen würden. Also das ist mal absolut nicht in deren Interesse, schon klar. Allein die Vollbart-Hipster-Welle hat ja zu einem merkbaren Umsatzrückgang (-6% Umsatz in der Rasierpflege bei Männern, 2018) geführt, und das betraf jetzt nur ein kleines Segment der Bevölkerung. 

Der erste Damenrasierer wurde übrigens 1915 von Gillette entwickelt, und als Verkaufsmotivation wurde mit dem Thema „Scham“ gearbeitet. Also Achselhaare wurden als „peinliches persönliches Problem“ deklariert, das dank Gillette rasch gelöst werden konnte. Behaarte Beine waren nicht ganz so kritisch, solange man Strumpfhosen trug. Nackte Damenbeine hingegen gehörten rasiert, das war auch schon in den 1940ern so. Mitte der 60er Jahre gaben 98% der amerikanischen Bevölkerung zwischen 15 und 44 an, dass sie zumindest einen Teil ihrer Körperbehaarung entfernten. Und wiederum arbeitete die Werbung mit Beschämungs- und Abschreckungstaktiken, um auch die restlichen 2% der Enthaarungsverweigerer noch an Bord zu bekommen. Weil wer will schon der grindige Außenseiter sein, der sich alleine ins Eck setzt und eine Runde schämt? 

Bis in den 2000ern wurde in der Werbung zudem immer die Dringlichkeit des Enthaarens zugunsten des Sex-Appeals dargestellt. Den Körper enthaaren, um überhaupt einmal einen Mann für sich gewinnen zu können. Mhm. Ich glaub’s auch. Noch keinen Mann getroffen, der meinte: „Conny, du bist zwar leiwand, aber ich kann mit dir nicht zusammen sein, weil du Haare am Körper hast.“ Haha. LACHKICK! Also an den Haaren ist’s tatsächlich noch NIE gescheitert (ICH HAB’ EH KEINE, CHILL!).

Aber schon interessant einfach, wie wir uns von der Werbung manipulieren und brainwashen lassen. Angst vor Scham und Einsamkeit als Kaufmotivation für Rasierer. Haare sind peinlich, unhygienisch und unweiblich. Das ist so das gängige Bild. Gut, ich hab das Gefühl, mittlerweile gibt’s da wieder eine Gegenbewegung – man sieht wieder mehr behaarte Achselhöhlen und volle Dreiecke, und insgesamt wird dieser ganze manische Enthaarungszwang immer mehr hinterfragt, kommt mir vor. Aber ich mein, das ist über Jahrzehnte hinweg sisyphusartig in unsere Köpfe eingepflanzt worden, und daher halten sich die Glaubenssätze sehr hartnäckig. 

Ich hab mich so abgepeckt, als der Spiegel letztes Jahr in einem Artikel über Intimrasur schrieb: „Aber warum macht sich der Mensch freiwillig zum Nacktmull?“ HAHAHAH i kau nimmer, das is einfach zu geil! Ich muss mal eben ein Foto von einem Nacktmull posten, um die Komik dieser Aussage graphisch zu untermauern: 

(Quelle: https://www.okto.tv/de/tag/nacktmull)

Das Viech ist so schirch, es ist sensationell. 

Anyways, also irgendwie hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass enthaarte Geschlechtsteile  attraktiver und hygienischer sind. Dass das Ganze dann eher einer Kindermumu gleicht (oder an einen Nacktmull erinnert – sorry, ich lach noch immer) ist wurscht. Allerdings hat die natürliche Behaarung mehrere sinnvolle Funktionen. Zum einen haben die Schamhaare eine Schutzfunktion: Sie schützen vor dem Eindringen von Schmutz, regulieren den Bakterien-Pilz-Haushalt und minimieren die Übertragung diverser STDs, die aufgrund kleiner Rasurverletzungen viel leichter übertragen werden können. Außerdem setzen sich Sexuallockstoffe an den Haaren fest, die – den richtigen Partner vorausgesetzt – aphrodisierend wirken können. Und rasurbedingte Hautirritationen (Entzündungen, vaginale Infektionen, Abszesse, Schnittwunden) scheiden logischerweise auch aus. 

Ich weiß, ich komme jetzt voll auf Pro-Busch rüber, was ich jetzt so nicht von mir behaupten würde, gell. Aber ich glaube halt schon einfach, dass man mal diesen Enthaarungs-Imperativ hinterfragen KANN, und sich mal überlegt, warum man sich tatsächlich rasiert. Ob das nur so ein Lemminge-Verhalten ist, oder ob einem tatsächlich der Nacktmull- Look mehr taugt. Und v.a. wieso? Außerdem glaube ich, um einen validen Vergleich machen zu können, muss man eigentlich beides mal ausprobiert haben. In diesem Sinn werd ich mal schauen, ob ich’s auf 12 cm schaffe. LOL.