Es gibt ja so ein paar richtig gute Musikvideos. Eins davon ist das von Deichkind zu ihrem Song „Dinge.“ Das Lied eignet sich wunderbar als alternatives Weihnachtslied. Immerhin ist Weihnachten die Zeit im Jahr, wo die Konsumgeilheit wieder bis zur Perversion getrieben wird. Uhh baby. Dinge machen schön, Dinge kaufen // Dinge aus Gold, Dinge laufen // Dinge interessant, Dinge lame // Dinge bringen Fokus in das Game. Dinge eignen sich einfach so wunderbar als Projektionsfläche. Wer kennt nicht den Impuls, die Waschmaschine aus dem Fenster zu schmeißen, den Fernseher oder auch nur den Sessel? Irgendein scheiß Ding halt, das symbolhaft für irgendeinen anderen Scheiß steht. Wenn man den anderen Scheiß so einfach aus dem Fenster hau’n könnte – das wär’s! Das ist natürlich eine rein hypothetische Überlegung. Natürlich schleudern wir unsere Waschmaschinen, Fernseher oder Stühle nicht aus dem Fenster hallo!?! Wenn das Zeug nämlich so dekadent auf einem Auto landen würde wie in Deichkinds Musikvideo, hätten wir auf einen Touch 99 andere Probleme. Und mit Problemen können wir alle nicht so gut umgehen. Die beliebteste und am weitesten verbreitete Coping Strategy ist „Augen zu und stehen bleiben“. Das wär im Fall des besagten Autoschadens nicht mehr ganz so easy. Umso befriedigender ist es also, wenn man zuschaut, wie im „Dinge“-Video stellvertretend für uns jemand anderer komplett aggressionsenthemmt alles aus dem Fenster ballert, als gäb’s kein Morgen. Vielleicht geht’s auch nur mir so. Ich bin halt der Anti-Sammler. Ich entledige mich sehr gern von Dingen, die ich nicht (mehr) brauche. Ballast. Müll. Scheiße. Raus damit!
Wer Dinge hat, muss Dinge zeigen // Dinge bring’n zum Schweigen // Dinge explodier’n, Dinge kleiden // Dinge haben Macht, Dinge Power
Die Dinge-Power. Ziemlich gutes Wort, wie ich finde. Neben Deichkind gerade einer meiner aktuellen Lyrics-Helden ist übrigens Felix Kummer. Guader Mann! In seinem Song „Wie viel ist dein Outfit wert“ kommen ein paar junge Menschen zu Wort, die zum Preis ihres Outfits befragt werden:
– „Cooles Outift, bei dir läuft. Hau’ mal raus, was sind das für Sneaker?“
– „Balenciaga Speed Trainer für 550.“
– „Für die Jogginghose hab’ ich 600€ bezahlt“
[…]
– „Ja, was hab’ ich bezahlt, oder was?“ „Ja?“ „Ja, so zehntausend Euro“
– Moncler, dreitausendsiebenhundert“
– Gucci-Hemd, 900.“
– Ähm, Louis Vuitton Ankle Boots, tausendfünfhundert.“ „Sieht nice aus, Bro“
Qualität hat eben seinen Preis. Eine Jogginghose um 600€ musst dir gönnen. Die würd ich dann einfach nie wieder ausziehen. Weil ich weiß, ich kleide mich hochwertig und das natürlich auch gerne zeigen möchte. Allen! Gleichzeitig wird auf der anderen Seite die Kleidung immer billiger. Ein T-Shirt bei H&M, Primark und Co. kannst dir locker um 5€ kaufen – das ist wichtig, weil dann geht sich der ebenso teure Café Latte beim Starbucks auch noch aus. (#priorities) Wen interessiert’s schon, dass der Arbeiter in Bangladesh, Myanmar oder China nicht mal 1% des T-Shirt-Preises bekommt? Ist ja nicht mein Problem. Was kümmert mich denn, was am anderen Ende der Welt passiert? Hauptsache, mir geht’s gut. Und der Einzelhandel streift sich einen fetten Gewinn ein. Um H&M, Primark und Co. müssen wir uns nämlich fix keine Sorgen machen. Für die geht sich alles super aus.
Wer spart, der hat. Hoffentlich auch ein Gewissen. Denn wie wir das in Mathematik gelernt haben damals in der Schule: + und – ergibt in Summe ein Minus. Das ist übrigens überall so. Es lohnt sich also, bei all diesen tollen Rechnungen auch auf die andere Seite zu schauen. Dabei ist’s völlig blunzn, ob es sich um Billigkleidung, Billigfleisch oder Billigflüge handelt. Just sayin.
Wenn wir schon vom anderen Ende der Welt reden – im Amazonas Regenwald wurden innerhalb des letzten Jahres knapp 10k Quadratkilometer gerodet, was weniger abstrakt gesprochen einer Fläche von 1,4 Millionen (!) Fußballfeldern entspricht.
Na ist das auszuhalten?! Wenn ich sowas lese, frage ich mich gleichermaßen inbrünstig wie resigniert, ob diese Welt noch zu retten ist. Ich bezweifle es inständig. Welche andere Spezies vernichtet mutwillig ihr eigenes Habitat? Mir scheint, die Menschheit leidet insgesamt an einer Autoimmunkrankheit, gegen die kein Kraut mehr gewachsen ist.
Dinge rufen aus dem Wald // Dinge aus Stahl, Dinge kalt // Dinge leben nicht, Dinge tot // Dinge blau, grün, weiß, rot
Ich frage mich, was passieren müsste, damit sich mal wirklich fundamental und nachhaltig was zum Positiven verändert. Und klar kann man gegen all die großen Unternehmen wettern, die böse Korporokratie, die machtgeilen Politiker mit ihren leeren Versprechungen, die auch immer nur bis zur nächsten Wahl denken und agieren. Oder man lenkt sich ab und hängt sich auf Plastiksackerl oder Tamponfäden auf (#Umweltschutz). Aber irgendwie befriedigt mich das nicht. Weil die Unternehmen reagieren auf unsere Nachfrage und die Politiker werden von uns gewählt. Und Entschuldigung vielmals, aber wir haben wirklich größere Probleme als Plastiksackerl und Tampons. Das muss man mal in aller Härte anerkennen. Und all das, was sich „da draußen“ abspielt, spiegelt einfach wider, was real Phase ist: We live in a very fucked up world. Es gibt Gewinner und Verlierer. Wir versklaven uns für Geld. Und die überwiegende Mehrheit der Menschheit ist scheiß unglücklich und unzufrieden. Woher kommt das?
Ich habe mir letztens wieder mal ein Interview mit Gerald Hüther angeschaut. In diesem fragt ihn die Interviewerin, warum es den Menschen „so schwer fällt, aus dem Alltagstrott auszubrechen.“ Gerald Hüther berichtigt sie, indem er klarstellt, dass die Frage nicht lauten kann, warum es einem so schwer fällt, sondern wer einem das eigentlich geraubt hat. Und er erklärt:
Weil so ist ja keiner auf die Welt gekommen. Bequem, und auf dem Sofa, und möglichst, dass sich nix ändert. Man ist ja auf die Welt gekommen und konnte gar nicht genug kriegen davon, was es da alles zu entdecken und gestalten gibt. Also ist uns das von irgendjemandem angetan worden. In der Kindheit, in der Schule, bei der Ausbildung, wo auch immer. Und das ist immer das Gleiche – es ist jemand gekommen und hat uns gezeigt, dass das nicht richtig ist, was wir da machen. Dass das nicht gut genug ist. Dass es nicht seinen Erwartungen entspricht. Dass es nicht reicht. Und allgemein gesagt heißt das: Es hat uns jemand, als wir noch als gestaltendes Subjekt unterwegs waren, zum Objekt seiner Bewertungen, Erwartungen, Belehrungen, Maßnahmen usw. gemacht. Und das ist die schlimmste Verletzung, die man einem Menschen zufügen kann. Das tut auch richtig weh. Und da muss man ne Lösung finden. Eine der häufig gefundenen Lösungen heißt: Ich hab’ keine Lust mehr. Ich will nicht mehr. Ich bleib’ aufm Sofa, kucke Fernsehen und Hauptsache, ich hab’ genug zu essen und ab und zu mal Beischlaf und kann ab und zu mal ne Reise machen und mir Freizeit gönnen. Und dann ist das Leben eigentlich tot. Das ist ein Leben, wo man eigentlich ja gar nicht mehr lebendig am Leben teilhat, sondern wo man nur mehr versucht, sich irgendwie bequem durchzulavieren, bis man dann dabei auch noch alt wird und dann feststellt „Nun geht auch gleich gar nichts mehr.“
Befragt zu den Lösungsansätzen für dieses Problem sagt Hüther, dass es schwer vorstellbar sei, dass „man das alleine wieder hinkriegt“:
Da braucht es einen anderen, der einem die Möglichkeit zu einer anderen Erfahrung gibt – nämlich der, dass man doch ein toller Gestalter ist. Dass man mit seinen eigenen Ideen doch was bewegen kann. Und dass man Verantwortung für etwas übernehmen kann. Und dass es Spaß macht, wieder was Neues zu entdecken und kreativ zu werden. Das ist dann eine neue Erfahrung, und die kann man glaube ich nicht so gut aus sich selber heraus generieren. Da bräuchte man jemanden, der einen einlädt, ermutigt und inspiriert, sich noch einmal auf den Weg zu machen. Sich nochmal drauf einzulassen auf dieses Leben.
Einlassen ist ein guter Punkt. Ich hatte vorgestern mit einem Bekannten von mir eine Instagram Unterhaltung zu eben diesem Thema. Hier ein kleiner Auszug unserer Konvo:
Ich: Die Leit werden alle so gstört und jeder rennt nur mehr vor sich selbst davon. Keiner gibt iwem oder was mehr Zeit, dass sich was entwickelt. Aber das ist sooooo wichtig.
Er: Ja aber das ist auch, weil jeder sich heute immer Optionen offen hält. Und sich keiner auf was einlässt. Weil jeder Angst hat verletzt zu werden. Iwie so.
Als ich daraufhin einen anonymisierten Screenshot dieses Ausschnitts in meiner Insta-Story gepostet hatte, versehen mit der Frage, ob wir denn alle als offene Wunden durch die Gegend rennen und nur auf der Suche nach dem nächsten Band-aid sind, bekam ich von etlichen Zuspruch. Wer kennt sie nicht – die Angst, (wieder) verletzt zu werden. Die Angst, (wieder) nicht gut genug zu sein. Die Angst, als Objekt den Erwartungen des anderen nicht gerecht zu werden. Die Angst vor schlechter Be-wert-tung. Dabei wollen wir alle als lebendiges Subjekt gesehen werden und uns als Subjekt erfahren und erleben dürfen. Tja. Das wird in unserer bewertungsgeilen Welt leider immer schwieriger. Daher werden die Bindungen immer loser, die Einsamkeit immer größer und die Menschen immer degenerierter. Was sich dann wiederum in dem ganzen Wahnsinn widerspiegelt, der in der Welt so abgeht. Wäre es nicht höchste Eisenbahn, uns selber und andere endlich mal als Subjekte zu begreifen? Dinge tot, aber Menschen lebendig hallo!?
Dinge wollen haben, alle hinterher // Dinge wegschmeißen, Dinge werden leer // Dinge rauchen ab, Dinge gehen nut // Dinge schneiden fette Scheiben ab
Diese Woche kann man das Volksbegehren für das bedingungslose Grundeinkommen unterschreiben. Nach langem Hin- und Her-Überlegen, habe ich mich entschieden, nicht zu unterschreiben – und das, obwohl ich’s gerade scheiß leiwand fände, wenn ich monatlich 1200€ geschenkt bekommen würde. Aber ich glaube einfach, dass diese Maßnahme mit dem derzeitigen Framework nicht den gewünschten Hurra-Effekt hätte und als Allheilbringer für alle unsere Probleme zu werten ist. Zumindest nicht nachhaltig. Weil klar, kurzfristig gesehen würde sich eine finanzielle Besserstellung jedes einzelnen ergeben, die einen vermutlich auch (kurzfristig) sehr fröhlich stimmt. Aber das Mindset, das in Gerald Hüthers Zitat sehr gut ersichtlich wird, verändert sich jedenfalls nicht durch finanzielle Dauerzuwendung. Und um das Mindset geht’s aber, imho.
Dinge geben Kingdom, Dinge nehmen alles
Ich bin ganz großer Fan davon, dass Leute sich selber und ihr Leben leben – komplett nach ihren Wünschen, Vorstellungen, Talenten, Eignungen und Neigungen. Weil ich glaube, das ist die absolute Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen wirklich und intrinsisch glücklich sind. Und glückliche Menschen treffen gute und richtige Entscheidungen, während unglückliche Menschen meistens die absolut falschen Entscheidungen treffen.
Es geht meiner Meinung nach um Selbstermächtigung und um Potenzialentfaltung. Derzeit durchläuft jeder und jede von uns jedoch 12-13 Jahre lang ein Schulsystem, das auf Pflichterfüllung und Standardisierung ausgelegt ist. In dem jeder Affe, Pottwal und Blaubär denselben Purzelbaum machen muss, auf Basis dessen er dann bewertet wird. Warum ein Pottwal einen Purzelbaum schlagen muss, ist dabei nur eine Frage, die sich auftut. Die andere ist, was das ständige Bewerten mit Menschen macht. Als jetzt die Lehrer-Bewertungs-App „Lernsieg“ für ein paar Tage online ging, schlug die Lehrergewerkschaft Alarm. Hadrigan, der 17-jährige Gründer der Bewertungs-App, nahm die App nach nur wenigen Tagen wieder vom Netz, weil er sich mit einer Flut an „Hass-Emails“ konfrontiert sah. Die Schüler, mit denen ich mich zum Thema unterhielt, meinten, es wäre nur fair, immerhin würden sie ja auch von den Lehrern bewertet werden. Ich glaube halt, dieser ganze Bewertungswahn schickt uns alle in die komplett falsche Richtung. Sobald ich einen Menschen bewerte, objektifiziere ich ihn, das muss einem klar sein. Bewertungen verunsichern, verletzen, lassen einen abstumpfen. Mach bloß keine Fehler, okay?! Blöderweise führt die Angst vor Fehlern dazu, sich nichts Neues zu trauen, zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.
Instagram geht übrigens gerade den umgekehrten Weg und testet den Verzicht von Likes. Feiere ich! Gary Vee sagte in seinem IGTV – Video letzte Woche zu diesem Thema:
Instagram is taking away the likes – not for their health. They’re doing it because they’ve observed in data, what I observed – as what I do for a living- that people were starting to limit creativity. […] So many people have become so deeply insecure that all they really do with their content is post things that they know will get the most likes.“
Die unzähligen Likes. Ein weiteres Band-aid. Es ist super, wenn die ganzen Band-aids mal wegkommen. Eine Wunde heilt an der frischen Luft einfach viel schneller, als wenn man sie mit einem Pflaster ständig überklebt. Instant Gratification ist übrigens auch nur ein Pflaster. Auch wenn ein großer bunter Elefant drauf ist.
So ich hör jetzt auf. Mit einem großartigen Video voll Ehrlichkeit, Selbstreflexion und zwischenmenschlicher Wärme. Das braucht’s.