Immer, wenn ich merke, ein Thema wird zu umfangreich für 3-5 Instastories, weiß ich – es ist wieder mal Zeit für einen Blogeintrag. Das Story-Tool verwende ich mittlerweile ja echt sehr ausgiebig, und manchmal überstrapaziere ich es geradezu. Ich hoffe, es hasst mich noch keiner. Wobei – eigentlich auch wurscht. Wer mich hassen will, darf mich hassen. Volle Erlaubnis meinerseits. Weil hey, ein paar Haters sind gut für die Balance. (Schöne Grüße!)
So. Das war’s auch schon mit der Intro. Kommen wir zur Sache. True Fruits. Eine Smoothie Marke aus Deutschland hat gerade einen ordentlichen Buzz kreiert. Also die Brand Awareness ist fix in den letzten Tagen/Wochen rasant in die Höhe geschnellt. Wenn sie das mittels bezahlter Werbung bewerkstelligen hätten wollen, hätten sie verdammt viel Geld in die Hand nehmen müssen. Und wer weiß, wäre ihnen das so aufgegangen. (I doubt it.) Sie haben also eine andere Strategie gewählt. Die ist zwar kontrovers und polarisiert wie nur was, aber wie man sieht, ist sie super effektiv. Was sie machen? Sie sexualisieren Smoothies, sind bewusst politisch inkorrekt, sexistisch, und provozieren bis zur Schmerzgrenze (und für viele darüber hinaus).
Hier mal eine kleine Selektion ihrer Instagram-Posts:
Quelle: truefruitssmoothies, Instagram
Ihr Beitrag „Ja, wir sind diskriminierend“ hat auf Instagram knapp 22k Likes und über 4k Kommentare generiert. (Stand: 19.8.2019) Das musst mal schaffen mit so einer Aussage. True Fruits hat ein Gefolge von 137k IG-Abonnenten. Im Vergleich dazu: Innocent – eine der bekanntesten Smoothie Brands (gegründet vor mehr als 20 Jahren), hat nur 104k Follower.
Nun gibt es True Fruits ja nicht erst seit gestern. Ich hab gerade nachgeschaut, und laut Internetz ist dieses Unternehmen 2006 ins Leben gerufen worden. Dennoch: Ich habe de facto noch nie einen TF Smoothie gesehen, kannte die Marke bis vor 3 Tagen nicht mal. Meine Smoothie Brand Awareness ist jedoch auch sehr limitiert- mir fallen jetzt ad hoc nur Innocent und Rauch ein. Ich bin nicht der große Smoothie Trinker, wie man hierbei vielleicht erkennt (Wiener Wasser Gang!).
Jedenfalls bin ich erst über Dariadaria auf TF aufmerksam geworden. Die hat in den letzten Tagen mit viel Impetus ihre 240k Aposteln gegen die Marke mobilisiert, zum Boykott aufgerufen und Traumaopfern, die sich eigenen Angaben zufolge durch die Werbemaßnahmen von TF re-traumatisiert fühlen, eine Plattform geboten.
Quelle: Instagram, dariadaria, Story vom 19.8.2019
Ich muss ganz ehrlich sagen, das geht mir persönlich ein bissl zu weit. Also ich weiß es ja nicht. Da müsstest in Wahrheit auch Gangsterrap und Pornos verbieten oder die Darstellung von wie auch immer gearteten Übergriffen in Serien oder Filmen. Wenn ich mich beim Anblick eines Werbespruchs (so geschmacklos und grenzüberschreitend der auch sein mag) re-traumatisiert fühle, denke ich mir – da bin ich mit meinem Trauma definitiv noch nicht überm Berg und tue mit Sicherheit gut daran, das in Form einer Therapie (nochmal) gründlich aufzuarbeiten.
Meiner Meinung nach obliegt es meiner ganz persönlichen Verantwortung, zu entscheiden, womit ich mich identifiziere, und womit nicht. Und welches Produkt, welche Marke ich mit meiner Kaufentscheidung, meinem Konsum und meiner Aufmerksamkeit (!!) unterstütze und welches nicht. Ich persönlich würd mir jetzt keinen TF Smoothie kaufen. Ich identifiziere mich absolut gar nicht mit ihren Werbebotschaften und finde ihre Kommunikation auf Social Media ziemlich anstößig und unsympathisch. Aber gut, ich muss auch keinen Pelz kaufen und trotzdem wird immer irgendwo Pelz verkauft und gekauft werden. Weißt was ich mein?
Alles, was da draußen stattfindet, ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Der Markt bestimmt die Nachfrage, ergo das Angebot, isso. Diskriminierung ist „in“? Schaut so aus. Sexismus ist angesagt? Hm. Ist das alles bedenklich? Klar! Aber zäumen wir das Pferd mal von hinten auf: Eine Myriade (teilweise sehr) junger Frauen auf Instagram glauben, sie brauchen eine 80-90% Bikini-, Dessous- und Nacktarschquote in ihrem Feed, womit sie sich so unfassbar selbst objektifizieren, dass es weh tut, hinzuschauen. Dazu natürlich der laszive Blick in die Kamera. Alles für das männliche Auge und die vielen Likes von irgendwelchen fremden Dudes. Ich glaube, so lange wir als Frauen nicht aufhören, uns selbst zu objektifizieren, wird der Sexismus nicht aussterben. Wie auch? Wir füttern ihn ja fleißig. Hü hott!
Aber ja. Wie ein Freund vor ein paar Tagen sehr richtig angemerkt hat: „Sex sells forever and ever.“ Und das macht sich halt auch True Fruits zu Nutze. Der erste Punkt in ihrem mission statement ist „sexy?“ und weiters: „Wir fragen uns, warum kann ein gesundes, hochwertiges Produkt nicht auch sexy sein?“ Ich denk mir halt mittlerweile so: Warum muss alles sexualisiert werden??? Können wir bitte einfach mal eine Banane eine Banane sein lassen? Das wär so erholsam.
Aber ums Erholen geht’s ja keinem. Es geht um die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit und Zeit – das sind in unserer geilen Realität vermutlich die zwei knappsten und daher wertvollsten Ressourcen. Und wie willst du heutzutage noch auffallen, wenn schon alles gezeigt wurde, gesehen worden ist und wir abgestumpft sind bis zum geht nicht mehr? Es gibt ein Überangebot von so ca. allem. Laut hypebot.com werden pro Minute (!!) 1000 Songs auf Spotify, Apple Music und Co. upgeloadet – das sind 24k Songs pro Tag, und 1 Million Tracks alle 6 Wochen. Das muss man sich mal vorstellen. Eine Freundin meinte neulich so: „Durch das Internet ist so ein Überangebot entstanden an Filmen, Fernsehserien, Musikstücken, Podcasts und was weiß ich. Einerseits ist es super, weil es jedem selbst ermöglicht, etwas zu tun, ohne dass man die richtige Person kennt. Aber andererseits bedeutet das, dass jeder andere das auch kann und es ist so ein massives Überangebot, dass keiner mehr mithalten kann.“
Und ja. Kein Mensch braucht den 827. Smoothie oder den 9289318990. Podcast. Und wenn du jetzt doch noch was launchen willst in einem völlig übersättigtem Markt, wie geht man mit der Ökonomie der Aufmerksamkeit um? Wie erreicht man möglichst viele Menschen? Lachende Gesichter interessieren keine Sau mehr. Zu oft gesehen. Nacktheit – ja, zieht immer noch, aber auch da sind wir schon super abgestumpft. Wo kann man noch Grenzen überschreiten? Mhm, indem man auf negativen Buzz setzt. Dislikes statt Likes. Weil – bad news is better than no news, und jede Art von Reaktion ist gewissermaßen auch ein Engagement – mit dem Produkt, mit der Brand. Ein bissl so der „Moneyboy-Approach“. Ich weiß noch, als „Dreh den Swag auf“ rausgekommen ist. Damals hat kein Mensch für möglich gehalten, dass dieser ewig falsch „singende“ Möchtegern-Gangsterrapper tatsächlich mal Erfolg haben wird, mit dem was er macht. In meinem Umkreis fanden ihn alle ganz furchtbar, inklusive mir. Mittlerweile ist das „Lied“ Legende, er ist fett im Biz, Millionen von Menschen schauen seine Videos, hören seine Musik, geh’n auf seine Konzerte. Tja. So kann’s geh’n.
Und der Punkt ist der: Mit einem versierten Team an Marketingprofis kannst du selbst ein kaputtes Markenimage wieder aufmöbeln. Allerdings nur, solange die Marke einen gewissen Bekanntheitsgrad besitzt. Wir Konsumenten sind nämlich vergesslich und absolut nicht nachtragend. Oder kann sich irgendwer noch an den Kinderarbeitsskandal bei Nike Ende der 90er Jahre erinnern? Und wenn schon. Nike zählt zu den 100 wertvollsten Unternehmen weltweit und so ca. jeder findet Nike Sneakers „cool“. Drauf geschissen, richtig?
Luke Mockridge, deutscher Comedian und Rotzbua, fährt derzeit übrigens eine recht ähnliche Strategie wie True Fruits. Sein Auftritt dieses Wochenende im ZDF Fernsehgarten stand so gefühlt unter dem Motto „Fremdschäm dich für mich!“ – Er brachte lame Witze, beleidigte ältere Menschen (also im Wesentlichen die Zuschauerschaft) und mimte dann noch einen Affen, bis sein Auftritt schließlich von der Moderatorin abgebrochen wurde. Und, was hat’s gebracht? Naja gratis Publicity Ende nie. Auch ein Shitstorm ist ein Sturm, gell.