Es ist vielleicht im Leben – kann einer der härtesten Rückschläge sein, dass man, wenn man mit jemand, mit dem man sehr, sehr viel Zeit verbracht hat, und von dem man geglaubt hat, dass er einem was bedeutet, dass wenn irgendwann der Moment kommt, wo’s drauf ankommt, und wo man sagt: „Hey, hier bin ich. Jetzt isses… jetzt geht’s mir nicht so gut. Hier bin ich!“ Und dann … ist er nicht mehr da, und man hat immer geglaubt, dass man vielleicht für den anderen was Besonderes ist, und irgendwann merkt man: Ok, vielleicht war das nur die Hoffnung und vielleicht war das nur der Wunsch, dass man dem anderen so viel bedeutet. Und dann merkt man, dass es nicht so ist. Und dann tut das vielleicht sehr, sehr weh. – Philipp Poisel
Ich hatte gerade das dringende Bedürfnis, den Post mit diesem Philipp Poisel Zitat zu beginnen, ich weiß nicht warum. Weil eigentlich passt’s gar nicht zum Thema. Glaub ich zumindest. Na schaumermal. Aber jedenfalls hatte ich heute „Autoplay“ auf YouTube drinnen, und plötzlich kam dieses Poisel-Video daher – von einem Live-Auftritt von ihm, wo er „Wie kann ein Mensch das ertragen“, mit eben diesem Zitat anmoderiert. Und es hat mich irgendwie oag getouched so. Weil’s so persönlich ist und er sich so verletzlich zeigt. Gehört Mut dazu.
Apropos: Ich lese gerade Brené Browns „Daring Greatly“, wo sie sich immer wieder auf einen Auszug aus einer Rede Theodore Roosevelts bezieht:
It is not the critic who counts; not the man who points out how the strong man stumbles, or where the doer of deeds could have done them better. The credit belongs to the man who is actually in the arena, whose face is marred by dust and sweat and blood; who strives valiantly; who errs, who comes short again and again, because there is no effort without error and shortcoming; but who does actually strive to do the deeds; who knows great enthusiasms, the great devotions; who spends himself in a worthy cause; who at the best knows in the end the triumph of high achievement, and who at the worst, if he fails, at least fails while daring greatly, so that his place shall never be with those cold and timid souls who neither know victory nor defeat.
Sooo gut, oder? Ich denk mir das immer – Wie einfach ist es, irgendwas oder -wen zu kritisieren, runterzumachen, zu verurteilen? In gönnerhafter Manier postwendend zu sagen „du ich hab’s dir gleich gesagt, dass das nix wird…“ – und sich dann womöglich auch noch erhaben zu fühlen. Auf was hinauf?!?!! Das ist so schlecht einfach nur. Geht gar nicht. Mein Credo ist – bevor man über etwas urteilt, soll man’s mal selber (besser!) gemacht haben. Selber mal in die Arena reinsteigen, sich zeigen, sich offenbaren. Dann sag ich ok. Mit ganz großer Wahrscheinlichkeit ist das Verrissbedürfnis danach aber eh nicht mehr da… Ups.
Und ja, das betrifft alle Bereiche – Berufliches, Privates, Kunst, zwischenmenschliche Beziehungen… Also die Arena gibt’s faktisch überall. Genauso wie die Kritiker. Und ich hab’s eh schon mal in einem meiner älteren Beiträge angeschnitten: Es ist ja so, dass man andere immer für das verurteilt, was man sich selber nicht zugesteht. Das ist so ein Konzept, wo sich beim ersten Mal Hören alles in einem sträubt und „Nein!“ schreit, aber je länger man da drüber nachdenkt, desto mehr merkt man, wie krass das stimmt. Also, wenn man sich z.B. darüber echauffiert, dass k.A. irgendwer auf Instagram ständig halbnackte Bilder postet, dann zeigt einem das, dass man sich entweder selber gern mehr oder in dieser Art zeigen möchte, aber sich nicht traut. Oder dass man sonst irgendeine Art von body issues hat, und das Ganze neidbasiert ist. In Beziehungen genau dasselbe. Jedes Urteil, jeder Vorwurf, und generell alles, was einen emotional triggert, hat immer zu 100%, invers, was mit einem selbst zu tun. Wenn ich meinem Partner z.B. ein Näheproblem vorwerfe, dann stellt sich die Frage, wie viel Nähe ich überhaupt selber zulassen kann. (hart aus dem Leben gegriffenes Beispiel) Oft lohnt es sich, die Vorwürfe, die man wem anderen macht, mal umzudrehen, und sich zu überlegen, ob der andere einen nicht einfach nur spiegelt. Ich weiß – sau abstrakt das Ganze. Aber für mich macht das ehrlich Sinn.
Und je mehr man halt seinen Shit owned und Licht auf die eigenen Schattenseiten wirft, desto „ganzer“ wird man. Work in progress.
Die Frage ist, was hindert einen daran, sich selber in allen Farben und Facetten zu leben, zu zeigen? Klar, Ängste. Versagensangst, Angst vor Zurückweisung, Verlustangst, und k.A. welche scheiß Ängste es sonst noch alles gibt. Aber ich glaub eben, im Endeffekt – je mehr man mit sich selber im Reinen ist, je mehr self-awareness man hat und je unerschütterlicher und echter das eigene Selbstwertgefühl ist, desto weniger Chance haben die 5 Mio. Ängste, die einen einfrieren und erstarren lassen.
Und ja. Selbstwert ist ein großes Thema. Ich glaub für so ca. jeden. Außer du bist der Buddha und erleuchtet. Unsere Gesellschaft baut ja regelrecht darauf auf, dass man sich immer fühlt, als wäre man nicht gut genug. Es wird einem stets suggeriert, dass der eigenen Wert an externe Faktoren gekoppelt ist. Du bist was wert, wenn du was leistest. Ok, was heißt das!? Woran bemisst sich eine Leistung? Gut, in der Schule sind’s die Noten. Dann gibt’s den Zeitwert, die Effizienz: Wie schnell bist du mit dem Studium? Wie viel hast du bis 25, 30 schon gemacht und „erreicht“? Oder auch: Welche Position hast du in deinem Job? Wie viele Aufträge ziehst du an Land? Wie viel verdienst du? Alles messbare Indikatoren für „Leistung“. Wenn du was leistest, bist du wer. Wenn nicht, kannst scheißen gehen. Dieser Leistungsgedanke ist extrem stark in mir verankert. Wenn ich einen Tag nix tu, nichts Messbares leiste, fühl’ ich mich schon schlecht. Und ich glaube, so geht’s tatsächlich ganz, ganz vielen. Weil wir so sozialisiert werden. Und ich mein, das soll jetzt keine Ode an die Prokrastination werden, versteht’s mich nicht falsch, aber ich bin für mich zu der Erkenntnis gelangt, dass man wirklich gut daran tut, diesen Leistungsgedanken radikal vom Selbstwert zu entkoppeln. In einer Zeit, in der sogar Sex schon zur Leistungsdisziplin verkommen ist, ist das gar nicht mal so einfach. Tja.
Eine andere guade Geschichte, um sich extern Selbstwert zu beschaffen, ist Anerkennung von außen. Durch Status, Materielles, Schönheit, Likes, Followers, das scheinbar perfekte Leben, etc. Mein Haus, mein Garten, meine drei Wonneproppen. Mein Lambo, meine Mille, meine 20-jährige Freundin. Meine 500k Followers, mein Gucci, mein Fame. Meine geilen Titten, mein Prachtarsch, meine Schlauchbootlippen. Wie man das auslegt, unterscheidet sich natürlich (ich mein jeder halt so, wie er’s kann), aber so grundsätzlich gilt: „Wenn du in den Augen der anderen wer bist, dann bist du auch wer. Dann hast du’s „geschafft“.“ Das ist eine extrem tricky-e Angelegenheit. Nicht nachhaltig. In Wahrheit ist es so die Geburtsstätte der Sucht irgendwie. Du willst dann immer mehr von dem, was dir dieses gute Gefühl vermittelt, diese Anerkennung gibt, aber im Endeffekt verdeckt’s halt nur die innere Leere und gaukelt dir was vor, was nicht wirklich ist.
Die Frage „Wer bin ich, wenn ich nichts tue, nichts habe und niemand sein muss?“ ist urschwierig zu beantworten. („Nichts haben“ ist in der westlichen Welt sowieso kaum möglich.) Aber ich glaub, das ist so die Frage, wo man sich dann wirklich mal mit der eigenen Essenz befasst. Mit Werten, die einem wichtig sind, mit Talenten, die man hat und in die Welt hinaustragen will, mit Interessen, denen man nachgehen möchte, mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen, mit seinem „so-Sein“.
Narrator: I don’t know, it’s just… when you buy furniture, you tell yourself – that’s it. That’s the last sofa I’m gonna need. Whatever else happens, I’ve got that sofa problem handled. I had it all. I had a stereo that was decent, a wardrobe that was getting very respectable. I was close to being complete.
Tyler: Shit, man. Now it’s all gone.
Narrator: All gone. All gone. […]
Tyler: We’re consumers. We are by-products of a lifestyle obsession. Murder, crime, poverty – these things don’t concern me. What concerns me are celebrity magazines, television with 500 channels, some guy’s name on my underwear. Rogaine, Viagra, Olestra.
Narrator: Martha Stewart.
Tyler: Fuck Martha Stewart. Martha’s polishing the brass on the Titanic. It’s all going down, man. So fuck off with your sofa units and Strinne green stripe patterns. I say, never be complete. I say, stop being perfect. I say, let’s evolve. Let the chips fall where they may.
– Fight Club, 1999.
Tyler Durden for president. Wenn man sich mal vorstellt, welchen wirtschaftlichen Schaden es anrichten würde, ja wie das gesamte Industrien regelrecht ausradieren würde, wenn jeder von uns seinen Selbstwert auf Spur hätte, dann versteht man, wieso das absolut nicht im Interesse internationaler Großkonzerne und Werbeträger steht. Da könnten dann ein paar Leute chillen. Oder eine laaange Weltreise machen.
Wie überfrachtet wir mittlerweile mit Werbebotschaften werden, die dem Unterbewusstsein sisyphusartig signalisieren „Du bist nicht gut, schön, jung, sportlich, cool, geil, erfolgreich… genug.“ Da müsste man 24/7 positive Affirmationen rezitieren oder hinterm Mond leben, um das nicht irgendwie in sich aufzunehmen. Zudem geben wir uns das natürlich auch noch selber volle Dröhnung auf Instagram und co. Und mit einem defizitorientiertem Mindset ist man dann auch noch viel beeinflussbarer. Und suchtanfälliger.
Ich glaube, Selbstwert hat viel mit gesunden Grenzen zu tun. Mit der Frage „Wie viel Bullshit gebe ich mir?“ Ich hab jetzt für mich beschlossen: NULL. Hahahaa. Wenn ich mir denke, ok das ist schon wieder der ure Bullshit, dann schleich ich mich. Weil – ain’t noone got time (and nerves!) for that.
Man muss da echt achtsam sein, welchen Situationen man sich aussetzt, was man an sich ranlässt und in sich aufnehmen will. Sich selber einfach etwas wert sein. Bin ich mir Bullshit wert, oder bin ich mir mehr wert? Was in meinem Leben liefert mir einen Mehr-Wert?
Und das hat absolut nichts mit Arroganz zu tun, weil „Arroganz ist das Selbstbewusstsein des Minderwertigkeitskomplexes“ (J.Rostand), nicht des Selbstwerts.
Aber ja, ich glaube, je mehr ich mich selber als wert-voll empfinde, desto mehr kann ich mich auch andern so zeigen, wie ich bin. Und desto mehr kann ich echte und nachhaltige Nähe mit wem aufbauen. Und das können leider heutzutage die aller-, aller-, allerwenigsten. Jeder ist tunlichst damit beschäftigt, die Fassade an Coolness und oberflächlicher Leiwandheit aufrechtzuerhalten, und wehe dem, der diese Fassade einsturzgefährdet oder hinter die Kulissen blicken möchte. Das Resultat ist, dass sich in einer Zeit, in der wir ja alle so wahnsinnig „connected“ sind, paradoxerweise eine Epidemie an Einsamkeit ausbreitet, Ängste um sich greifen, Depression zur Volkskrankheit wird und mehr Leute auf Psychopharmaka sind, als man das gemeinhin annehmen würde. Redet man ja auch nicht drüber. Würde die Coolness gefährden.
Erst neulich sagte ein Typ zu mir, der mir wirklich am Herzen lag: „Weißt du, ich würde ja so gern wieder lieben und geliebt werden. Aber ich hab einfach so eine emotionale Blockade in mir.“ Und ich fand’s auf der einen Seite ziemlich gut, dass er das so klar formulieren konnte, andererseits realisierte ich dann schnell: Ok Conny, die Blockade ist real. Das kannst vergessen. Und diese Blockade erlebe ich bei sehr vielen Menschen, oft auch bei mir selber.
Und ich glaub, der Weg zu mehr Connection führt immer durch die Arena, und nicht daran vorbei. Indem man uncoole Themen thematisiert. Drüber redet. Psychopharmaka, Unsicherheiten, Ängste, Fehlgeburten,… – all diese ganzen „Tabu“-Themen. Ich mein, man muss ja keine Insta-Story draus machen oder so. Aber wenn man merkt, dass jemand „besonders“ ist für einen, dann lohnt sich’s find ich echt, dass man die Coolness mal hinten anstellt. Und ganz generell denk ich mir, dass es uns als Gesellschaft gut tun würde, wenn wir uns verletzlicher zeigen und weniger einen auf „the Untouchables“ machen. Ganz in Philipp Poisel Manier.