Easy like Sunday morning.

Und, wie geht’s dir so, post-Christmas und prä-Neujahr? Hast du heuer viel geleistet? Viel weitergebracht? Gut funktioniert? Wenn nicht, stell’ dich bitte jetzt in die Ecke und schäm’ dich. SO NICHT! Wir leben immerhin in einer Leistungsgesellschaft und du hast zu funktionieren. Funktionieren, d.h. „vorschriftsmäßig arbeiten“. Es ist also recht simpel. Andere schreiben dir vor, was du zu tun hast, und you better work, bitch! 

„Der Traktor ist kaputt und funktioniert nicht“ wird auf wortbedeutung.info als Anwendungsbeispiel gegeben. Also das Gegenteil von „funktionieren“ ist demnach „kaputt sein“. Und wenn ich ehrlich bin, lerne ich regelmäßig sehr viele kaputte Menschen kennen. Bro-ken. Da-maged. Fu-cked up. Und mich wundert es nicht, dass es ganz offensichtlich immer mehr werden. 

Psychische Erkrankungen – allen voran Depressionen und Angststörungen- nehmen rapide zu. 2030 wird die Depression auf Platz eins der Krankheiten landen. Das muss man sich mal vorstellen. Weltweit sind aktuell 350 Millionen Menschen betroffen, und bei Frauen wird die Krankheit 2-3x so häufig diagnostiziert wie bei Männern. Meiner Meinung nach heißt das allerdings nicht zwangsläufig, dass Frauen häufiger unter Depressionen leiden als Männer – Männer gehen nur anders damit um. Die Stigmatisierung von Depressionen unter Männern ist ganz sicherlich noch viel stärker gesellschaftlich verankert als bei Frauen – ich mein’, der Mann hat „stark“ zu sein, richtig? Wer will schon eine Lusche, die depressiv in der Gegend herumhängt!? Ist ja ur unmännlich, hallo! Und so sind Männer halt dann eher die, die zur Flasche greifen oder sich gleich direkt umbringen.

Das Gute ist ja – Depression kann man toll bekämpfen: Mit Anti-Depressiva. A pill a day keeps your demon(s) away. Ich habe selber mal ein paar Monate Antidepressiva genommen – in einer Zeit, in der ich vor lauter Dunkelheit die Nacht nicht mehr sah. Die Antidepressiva dämpften mich, ich schwamm ziemlich knocked out auf einem emotionalen Null-Level dahin, innerlich war ich tot. Der Grund, warum ich mich damals entgegen anfänglicher Bedenken dann doch für die Pillen entschied, waren massive Schlafstörungen. Ich schlief im Schnitt nur mehr 1-3 Stunden pro Nacht. Wer das schon mal hatte, weiß: Es ist relativ unguad. Und vor allem geht’s auf die Dauer wirklich ziemlich an die Substanz. Retrospektiv bin ich selbst erstaunt darüber, wie zäh man sein kann. Denn obwohl ich nächtelang wach im Bett lag, funktionierte ich. Ging jeden Tag zur Arbeit und zog meine Show ab. (G’lernt is’ g’lernt.) Niemand dort wusste, wie’s mir wirklich ging. Und auch im Freundeskreis wussten es nur 2,3 Leute. Ich wollte einfach niemandem zur Last fallen und daher zog ich mich lieber zurück. Das ist das Ding: Du siehst Menschen sehr oft nicht an, dass sie depressiv sind. Es ist eine stille Krankheit. Ein Amoklauf gegen sich selbst, den in der Regel keiner mitkriegt. 

Der Jay Shetty hat letztes Jahr ein ziemlich gutes Video zu diesem Thema veröffentlicht: 

On Instagram, she was the perfect girl with the perfect life, the perfect world with the perfect guys. But nothing’s perfect, right? […]  

Tru. Ich glaube ja mittlerweile: Je perfekter was nach außen hin wirkt, desto mehr fucked up ist’s in Wirklichkeit. Ihr kennt vielleicht auch so Pärchen, von denen man sich denkt: Wowww – couple goals! Plötzlich erfährst du, sie haben sich getrennt und fällst buchstäblich aus allen Wolken – ich mein – das Traumpaar schlechthin, Hollywood calling, was ist da los?!?! Und dann stellt sich heraus, dass sie seit 2 Jahren keinen Sex mehr hatten, oder sie sich gegenseitig beschissen haben, oder halt sonst irgendwie alles im Argen lag. Aber ja – Perfektion funktioniert halt nur, wenn du einen gut absorbierenden Filter dazwischen schaltest. Muss dir klar sein. Ist auch verdammt anstrengend, die Illusion (!) der Perfektion aufrecht zu halten. 

No one really knew her inside. She had everyone to text, but no one to talk to. Everyone to follow, but no one to walk with. […]  

Das ist auch so ein wichtiger Punkt: Der Reality check. Jeder ist mittlerweile 24/7 auf Social Media, wir sind alle Opfer. Im Bett, auf der Couch, am Klo, in der U-Bahn, hinterm Steuer, mit dem Kinderwagen an der Hand. Und es ist nicht mehr als ein Zeitvertreib. Manchmal ein besserer, manchmal ein schlechterer. Aber in aller Regel ist Kommunikation, die via Social Media stattfindet, Typus low-involvement, low-engagement. Sich tatsächlich mit wem zu TREFFEN erfordert hingegen viel mehr Aufwand, Fokus und Einsatz. Das muss es dir wert sein. Und meistens ist es das einem halt nicht. Weil man ja eh so beschäftigt ist mit sich und seinen eigenen G’schichten. Ich mein, bitte geh ma nicht am Oasch. Man steckt ja selber im Getriebe fest und ist vom vielen Funktionieren so ausgelaugt, dass man sich nur noch ein bisschen Social Media Austausch zum Runterkommen gönnt. Ein bissl Schreiben und Bilder-/Videoschauen geht, aber Treffen – du nah. Vielleicht demnächst mal. Schaumermal. Ist grad stressig. Das Resultat lässt sich in unserer Gesellschaft recht gut ablesen: Bindungen werden immer loser und die Einsamkeit immer größer. Ist halt schwierig, wenn jeder nur mehr auf sich selber (und Instagram) schaut. 

She was going through pain, but never showed that side. It was something she hid from the world, but maybe we just never asked. […] She was happy on the outside, but struggling with depression and anxiety. […] 

Tja. Ich mein, natürlich ist’s geil, wenn du von Leuten umgeben bist, die vor positiver Energie übersprudeln, und die glücklich und froh wie der Mops im Haferstroh sind. Das wirkt ansteckend. Aber das Happiness Diktat ist halt auch ein Wahnsinn. Ich mein, du sollst nicht nur funktionieren, sondern dabei bitte auch immer happy sein. Weil mit allem anderen können wir nicht umgehen, ok!? Wieso soll ich mich mit der Depression eines anderen befassen, wenn ich schon auf meine eigene (unterdrückte!) nicht klar komme?! Das zieht mich ja dann nur selber runter. Da bleibe ich lieber im Sucht-Flucht-Modus verhaftet, lenke mich mit Spaßigkeiten dieser Welt ab und habe shallow friends, die aber zumindest immer gute Laune machen. 

See, people think depression is sadness. People think, depression is crying. People think depression is being quiet. Depression is when we smile, but we want to cry. It’s when we talk, but we want to be quiet. It’s when we pretend that we’re happy, but we’re not. Depression is not always obvious. 

Depression entsteht, wenn man funktioniert, anstatt zu sein; wenn man nicht zu sich und seinen Bedürfnissen, Gefühlen und Emotionen steht, sondern stattdessen chronisch versucht, es anderen recht zu machen; (#peoplepleasing) die Erwartungen und (expliziten oder implizierten) Vorschriften der anderen erfüllt, in der Hoffnung, im Gegenzug (ein bisschen) Liebe und Anerkennung zu bekommen. Ein sehr ungesundes Tauschgeschäft, das wir höchstwahrscheinlich in unserer Kindheit gelernt haben, und das praktisch nie gut ausgeht. 

She drank to drown her pain, but the pain learned how to swim. She was sick of crying, tired of trying, smiling – but inside she was dying. It’s amazing how we can think we know someone and still don’t know them at all. […] Don’t live for the approval of others. 

Es ist ein bisschen so wie bei Wagner Opern: Der „Held“ stirbt immer. Besser also, man ist der Anti-Held. Der, der einen Fick darauf gibt, ob einen alle mögen oder gut finden. Der keinen rettet und es keinem beweist. Der sich einfach in erster Linie selber gut findet. Nicht narzisstisch übersteuert, aber so intrinsisch und echt. Selbstliebe und so, you know the game.

Meine depressive Phase hat sich damals übrigens von selbst gelegt – als ich’s endlich geschafft habe, mich aus dieser fürchterlich toxischen Beziehung zu lösen, die mich fast um den Verstand gebracht hatte. Ich habe aufgehört, zu funktionieren. Ich treffe meine Entscheidungen, die teilweise sehr unkonventionell sind, und versuche jetzt immer mehr, real zu sein. Egal, in welchem Bereich. Es ist wirklich sehr befreiend. 

Apropos Freiheit: Ich habe ja schon des öfteren über die „Maybe“-Kultur geschrieben, die sich immer mehr ausbreitet und quasi zum Mainstream verkommen ist. Wirklich absolut Standard mittlerweile. Dass wer klar Stellung bezieht, und das mit einem deutlichen „Ja“ oder „Nein“ zum Ausdruck bringt, ist eine feierwürdige Seltenheit geworden. Alles, was über einen intendierten Planungshorizont von 2-3 Tagen hinausgeht, gilt als strategisch langfristige Entscheidung, die man besser mit ein paar Optionen absichert, weil bis dahin noch 10x was dazwischenkommen kann. 

Darüber habe ich mir neulich ein paar tiefergehende Gedanken gemacht. Ich habe mir überlegt, warum es immer mehr Menschen immer schwerer fällt, sich fest-zulegen, auch bei scheinbaren Kleinigkeiten wie der Ausmachung eines Termins. Ist das „vielleicht“ (österreichisch: schaumermal) der letzte Atemzug Freiheit, nach dem jeder asthmatisch ringt? Mir scheint so. Und ich habe mir überlegt, dass es ja eigentlich auch recht logisch ist. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass jeder lebende Organismus (so auch der Mensch, duh) immerwährend nach Balance und Ausgleich strebt, lässt sich schlussfolgern, dass das Heer der Vielleichtsager sich in vielen Lebensbereichen ganz offensichtlich sehr eingesperrt und un-frei fühlen muss. Wenn du z.B. eine 9-5 Hokn hast, die dir eigentlich nicht taugt, wo dir der Chef jeden Tag die Welt erklärt, und du, wenn du heimkommst noch sämtliche familiäre Pflichten abzuarbeiten hast, bevor du wie ein hiniger Traktor ins Bett fällst, dann ist es völlig nachvollziehbar, dass du in dem kleinen Bereich deines Lebens, den keiner für dich ausmalt, nach exorbitanter Freiheit strebst. Wenn dir da nämlich auch noch jemand reinpfuscht, na dann bist wirklich ein Kamel. Daher japst du um das „vielleicht“, als ginge es um dein Leben. In anderen Worten: Je mehr du (noch) funktionierst, desto weniger wirst du dich festlegen wollen. 

Ein weiterer Grund für die um sich greifende Unverbindlichkeit ist ganz sicherlich auch die Angst vor Nähe. Damit kenne ich mich aus. Mein Shrink ist damals nicht müde geworden, mir wie eine tibetische Gebetsmühle wieder und wieder einzubläuen, dass man Angst vor Nähe hat, weil man vor seinen eigenen Gefühle davonläuft. Er meinte:„In der Nähe kommst du deinen eigenen Gefühlen nicht mehr aus“. Das sind zumeist halt recht viele Gefühle auf einmal. Und nicht die der blumigen Sorte. Daher ist’s zweifelsohne einfacher, sich auf nichts wirklich einzulassen – dann muss man sich auch nicht mit seinem eigenen Scheiß befassen. Easy. Und bitte sei du auch easy, okay? Weil wenn du nicht easy bist, dann schleich ich mich. 

Martin Uhlemann hat gestern auf seiner Facebookseite einen sehr inspirierenden und tiefsinnigen Text gepostet: 

Es ist nicht das Glatte

das mich interessiert.

Nicht das Vordergründige. 

Nicht der Schein. 

Nicht das,
was Du glaubst der Welt
präsentieren zu müssen.

Mich interessieren nicht Deine Masken. 

Mich interessiert nicht,

wer Dir erzählt wurde

sein zu müssen.

Wer Du versucht hast zu sein,

um Dir zu verdienen, geliebt zu werden.

Ich will Nichts von Dir haben.

Mich interessiert 

wer Du bist.

Mich interessieren Deine Träume.

Deine Phantasien.

Deine Abgründe.

Deine Ängste. 

Das bunte Unerklärliche in Dir. 

Mich interessieren Deine Brüche.

Mich interessiert,

was Du bereit bist zu offenbaren 

wenn Du liebst.

Mich interessiert,

ob Du den Mut hast

Deine Tränen zu zeigen.

Dann wenn Du trauerst. 

Mich interessieren Deine Zweifel.

Deine Widersprüche. 

Das Dunkle in Dir.

Das Unberechenbare. 

Das, was Du nicht kontrollieren kannst.

Mich interessiert,

ob Du Dir selbst treu sein kannst. 

Was auch passiert.

Ob Du Deinen Gefühlen 

treu sein kannst.

Ob Du Deiner Liebe treu sein kannst. 

Mich interessiert 

ob Du bereit bist alles aufzugeben,

wenn festzuhalten 

Dich Deine Wahrheit kostet.

Mich interessiert 

die unlöschbare Flamme in Dir. 

Das [B]rennen Deines ureigenen SoSeins. 

Das Wilde.

Unangepasste. 

Verrückte. Lebendige. Leuchtende.

Mich interessiert 

Dein zu Dir stehen. 

Egal was ist. 

Egal was die Anderen denken.

Du bist ein Wunder.

So schön.

Hierhergeschickt 

nur mit einem Auftrag.

Du selbst zu sein. 

Sei es.

Schön, oder? Also ich find’s schön. Ich kann mich damit richtig gut identifizieren. Es ist so die Art von Beziehungen, die ich mir für mich wünsche. Da geht’s halt dann nicht um „easy“, das ist klar. Aber samma uns mal ehrlich: „Easy“ funktioniert einfach nur auf der Oberfläche. Und die ist verdammt austauschbar. Sobald du in einer Beziehung (jeder Art) in die Tiefe gehst, ist’s vorbei mit der Easiness. „Easy“ ist eine Maske, die immer lächelt, obwohl das Gesicht dahinter weint. „Easy“ ist die Depression, die dank Antidepressiva sozial erträglich bleibt. „Easy“ ist die Bekannte, die „kein Problem“ ins Telefon säuselt, wenn du ihr mal wieder 5 Minuten vorm Treffen absagst und sie mit „schaumermal“ auf ein nächstes Mal vertröstest. „Easy“ ist deine Antwort auf das Hamsterrad, in dem du dich gefangen fühlst. “Easy” ist die Schaukel, die das Funktionieren ein bisschen erträglicher macht. „Easy“ ist deine Coping Strategy, um weiterhin easy zu bleiben. 

Ich weiß ja nicht wie’s euch geht, aber ich hab ur keinen Bock mehr auf easy. Ich bevorzuge „real“ – any day of the fucking week.