My way or highway.

Ach Leute, ich sag’s euch – die Corona-Krise hat’s in sich! Was man da alles beobachten kann, ist richtig geil. Sie wirkt in so vielen Bereichen wie ein Vergrößerungsglas – da brauchst gar kein Aufdeckungsjournalist oder Gesellschaftsforscher mehr sein – nein, nein, das springt dich förmlich an, ob du das willst oder nicht. Apropos anspringen: Alle diejenigen, die derzeit kritische Fragen bezüglich Maßnahmenmanagement, Mainstream-Medien oder politischer Agenda stellen, werden angesprungen. Auf die ungemiatliche Art. Davon kann der Florian Klenk sicher ein Lied singen. Hat der Falter-Chefredakteur sich doch tatsächlich erlaubt, maßnahmekritische Fragen zu stellen, und das gleich nach Bekanntgabe der politischen Anordnungen, als wir, die breite Öffentlichkeit, noch kaum etwas über das Virus wussten. Wie differenziert und sachlich diese Fragen waren, darüber lässt sich streiten, aber, wie wir seit seiner Stellungnahme wissen, hat er „den Zorn, den diese zwei Fragen in einer gereizten und besorgten Social-Media Welt auslösten, unterschätzt.“ Ich halte fest: Man erntet also öffentlich Zorn, wenn man Fragen, oder zumindest die falschen Fragen stellt. Was richtig oder falsch ist, entscheidet… – Ja wer entscheidet das denn eigentlich? Der erzürnte Bürger? Der Moralapostel? Die Mehrheit? Jedenfalls aber mit Sicherheit jemand, der es besser weiß. Also alles gut. Florian Klenk räumte vorgestern also entschuldigend ein, dass er „damals naiv“ gewesen wäre. Und jetzt kommt’s: „Mir durchaus wohlgesinnte Kollegen ermahnten mich, ein Journalist mit hoher Follower-Gemeinde solle solche Fragen nicht stellen. Das verunsichere die Öffentlichkeit. Journalismus müsse Antworten geben in Krisenzeiten, aber nicht öffentlich herumfragen. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Vielleicht habe ich der Öffentlichkeit wirklich zu viel zugemutet. Weggefährten des Falter stellten auch Kündigungen ihrer Abos in Aussicht.“

Ha! Das ist spannend, oder? Solche Fragen darf man also nicht stellen. Nur andere? Oder gar keine? Nicht öffentlich herumfragen. Ah ok – gar keine! Um die Leute nicht zu verunsichern. Also ich muss ja ehrlich sagen, mich beruhigt es, wenn Journalisten Fragen stellen. Es zeigt mir, dass sie über einen klaren Menschenverstand verfügen und nicht einfach nur Vorgekautes wiederauskotzen oder vor lauter Angst (Hello Shitstorm, bye subscribers!) unauffällig mit der Meinung der unkritischen und ebenso ängstlichen Masse mitschwimmen. Ein guter Journalist ist für mich jemand, der es schafft, ein Thema aus verschiedenen Perspektiven (wichtig!) zu beleuchten, ehe er eine Situation bewertet oder einen Sachverhalt kritisch darstellt. Wichtige Medienvertreter haben meiner Meinung nach einen Bildungs- und Informationsauftrag gegenüber der Öffentlichkeit (dürfen ihr also auch was zumuten!) und außerdem eine Repräsentationsfunktion: Sie stellen (hoffentlich!) mitunter die Fragen, die ich mir auch stelle und beantworten sie. Somit wird mein Anliegen öffentlich repräsentiert, und durch ihre Reichweite haben sie indirekt politischen Einfluss. Idealerweise sind sie politisch unabhängig (ich weiß, leider utopisch!), was ihnen ermöglicht, sich frei von jedem politischen Korsett zu bewegen. 

Aber ja, zurück zu Klenks Stellungnahme. Er teilte diese sowohl auf seinem persönlichen Facebook-Account als auch auf dem Falter-Account und erhielt dafür überwiegend positive Rückmeldungen. Eine Userin kommentierte: 

Spät aber doch eine Einordnung, die unkommentiert geteilten Links fand ich schon recht mühsam! Im Zweifel bewundere ich Sie dafür, wie elegant sie sich da jetzt rausmanövriert haben. Jetzt freue ich mich wieder sehr Ihre Beiträge und Gedanken zu lesen, ohne mich immer fragen zu müssen, ob Sie einfach nur Fundamentalopposition betreiben. Vielen Dank!

Egal, wie man zu Klenks Postings, Fragen und Äußerungen steht, ich finde, es wird eines sehr offenkundig, und zwar, wie sehr Medien unter Druck stehen, die „richtige Meinung“ zu treffen. Es geht ganz offensichtlich nicht mehr darum, dass ein Journalist schreibt, was er für wichtig und richtig erachtet, es geht darum, das zu schreiben, was die Leser lesen wollen. Es geht um Clickbait, um Entertainment (Emotionen! Ganz wichtig!) und das Bestärken der eigenen Meinung (also aus Lesersicht), die als die ultimative Wahrheit (miss-!)verstanden wird und über allem thront. You better comply, andernfalls verabschieden sich die Abonnenten und die Einnahmen verebben. Die Angst vor dem Shitstorm einerseits und die Angst vorm Verlust der Abonnenten andererseits wirken auf den (freien?) Journalismus wie ein Knebel. 

Eine andere Userin kommentierte: 

Ich glaube der Zeitpunkt [der Fragestellung] war/ist einfach nicht der Richtige. Sie, aber auch andere, allen voran die neoliberale Seite, die Druck ausgeübt haben, haben dadurch eventuell eine zu frühe Lockerung der Maßnahmen erreicht. Dafür sollte dann aber auch die (Mit)Verantwortung übernommen werden, sollte sich die Situation bei uns dadurch verschlechtern. Ich bin aber sowieso überzeugt, dass die in Aussicht gestellten Lockerungen nicht so bald wie angekündigt, kommen werden. Ich glaube, es ist eine Hinhaltetaktik, die ich persönlich unvernünftig finde, die aber augenscheinlich für viele Menschen wichtig ist.

Auch wieder eine, die es besser weiß! Es ist schon unglaublich, wie viele Besserwisser, Experten und Moralisten es derzeit gibt. Und alle sind so gescheit. Es ist kaum auszuhalten! Auch diese irrsinnigen Schuldzuweisungen die ganze Zeit! „Wenn einer stirbt, bist du schuld!“ Du du du! Bitte nimm den erhobenen Zeigefinger wieder runter und dich selber nicht so wichtig. Echt, es ist so lächerlich! 

Die großartige Lisa Eckhart hat übrigens einen brillanten Text verfasst, in dem sie auf diese Menschengruppe näher eingeht. Bezeichnenderweise nennt sie sie die Gutunmenschen: 

Hier ein Steckbrief dieser Menschen: Sie genossen eine Bildung, aber sie besitzen sie nicht. Sie besitzen Privilegien, aber sie genießen sie nicht. Sie empören sich über den Satz “Früher war alles besser” in dem gleichen Maße wie über “Es ist doch alles nicht so schlimm”. Sie verwechseln immerfort Geben und Nehmen mit Austeilen und Einstecken. Sie erheben sich über alle und stehen doch letztlich über nichts. Was sie tun, ist nicht nur gut. Es ist auch nicht nur gut gemeint. Es ist gut gemeint gemeint. Nennen wir sie Gutunmenschen. Denn gegen einen echten Gutmenschen ist freilich nichts einzuwenden. Gutunmenschen sind jedoch nun mal keine Philanthropen. Sie sehen nicht das Gute im Menschen. Sie sehen das Gute in sich.

Bang! Das sitzt. Ich muss sagen, der gesamte Text ist so dermaßen genial, ich könnte den als Ganzes hier zitieren, so pointiert und akkurat finde ich ihn. Sie bringt die Heuchlerei der Gutunmenschen so perfekt auf den Punkt. Die Leute, die jetzt im #staythefuckhome – Movement (das „fuck“ ist extrem wichtig hier, weil es die Aggression so gut zum Ausdruck bringt und die eigene Erhabenheit reflektiert. Also von der Attitüde her so im Sinne von: Bleib verdammt nochmal zu Hause, du dummer Trottel!“) ganz vorne stehen, sind die, die ja damals nicht den Sebastian Kurz gewählt haben, ihn aber jetzt feiern als wäre er der nächste Messias. Gut, ich mein, man kann natürlich als komplex denkendes Wesen seine Meinung ändern, und man kann auch Handlungsweisen unabhängig der politischen Orientierung gut oder schlecht finden. Bin ich die Erste, die das unterschreibt. Es ist ja nicht gesagt, dass ich alles, was einer tut, sagt und denkt gut oder schlecht finden muss, nur weil er einer bestimmten Partei angehört. Man kann da durchaus auch differenzieren. (Das war übrigens auch schon vor Corona so.) Aber sie sagen das ja auch immer so dezidiert und entschuldigend dazu. Ich weiß nicht, wie oft ich in den letzten Wochen gehört habe: „Conny, du weißt, normalerweise bin ich der Letzte, der den Kurz gut findet, aber ich muss sagen, momentan könnte ich mir keinen Besseren vorstellen. Der macht das wirklich top.“ Ich glaube halt, dass genau diese Leute nach der Corona-Krise, wenn dann die Wirtschaftskrise mit voller Gewalt einfährt, die sein werden, die wieder am lautesten heulen und den Kurz verdammen. Meine Prognose. Muss nicht stimmen. Aber ist vermutlich nicht so abwegig, zumal Heuchlerei und Opportunismus eben schon ein Thema sind.

Lisa Eckhart schreibt: 

Schließlich loben Gutunmenschen neuerdings sogar den Kanzler, den sie sicher nicht gewählt haben. Damals haben sie gewarnt, dass dieser einst knallhart durchgreifen wird. Und genau das macht er jetzt auch. Aber auf eine gute Art. Jetzt sperrt er nicht nur Ausländer aus-, sondern dazu noch Inländer ein. Das gefällt den Gutunmenschen, die immer noch härtere Maßnahmen fordern, um die schwachen Senioren zu schützen. Also genau jene Gruppe, die gestern noch als Feindbild galt. Heute heißen sie Oma und Opa. Gestern aber hießen sie noch Umweltsau und alter weißer Mann. Wie sehr wünschten sie denen den Tod. Und siehe da, jetzt sterben sie wirklich. Nur fehlt den Gutunmenschen die Schneid, das moribunde Röcheln der Alten konsequent mit “OK, Boomer!” zu quittieren. […] Gutunmenschen sind Richter und Retter. Die Quarantäne, die sie bewerben, soll als Schutzhaft und Haftstrafe dienen. Für die Schwachen und die Schwachmaten. Sie selbst schließen sich ebenfalls ein und haben daran ihre helle Freude. Unablässig wiederholen sie, man müsse das Virus als Chance begreifen. Um sich wieder spüren zu lernen, innezuhalten und zu besinnen. Eine Art Corona-Zen. 

Das Corona-Zen, LMAO! Herrlich! Dafür muss man natürlich schon sehr privilegiert sein, um das leben zu können, gell. Das muss einem klar sein. Das kollektiv zu predigen, erscheint mir eine regelrechte Farce. Aber natürlich – nach einem Tag im Home Office auf der sonnigen Dachterrasse mit dem Liebsten zu sitzen und einen beim Lieferdienst bestellten Gin Tonic zu schlürfen während man genüsslich sein Chop Suey schlemmt, ist natürlich nicht unbedingt die härteste aller Strafen. Das versteh’ ich. Oder wie Lisa Eckhart es überaus treffend formuliert: 

Die Quarantäne ist kein Bruch. Sie ist der krönende Abschluss eines linearen Prozesses zwischenmenschlicher Entfremdung, Individualisierung, Digitalisierung und Globalisierung. Denn wer sich überall wie daheim fühlt, der kann gleich zu Hause bleiben. Für den ändert sich kaum etwas. Abgesehen vom Radius, in dem er um sich selber kreist.

Bevor ich einem anderen also „Egoismus“ vorwerfe, tue ich gut daran, mich mal zu fragen, ob ich nicht selber vielleicht der Egoist hier bin, gefangen in meinem eigenen Mindset und meiner eigenen kleinen, privilegierten Blase. Und ob ich wirklich so erhaben bin, dass ich es mir anmaßen kann, andere herunterzukanzeln, sie zu bewerten und über sie zu richten. Oder ob das vielleicht nur Ausdruck meiner selbstgefälligen Arroganz ist, die ich mir halt im Laufe der Jahre so angeeignet habe. 

Florian Klenk schreibt in seiner Erklärung: 

Ein renommierter Wirtschaftsexperte sagte uns im off-records-Gespräch: “Die Republik Österreich, wie wir sie kennen, gibt es bald nicht mehr“.

Tja. Es werden mit Sicherheit harte Zeiten auf uns zukommen. 600k Arbeitslose sind kein Bemal. Fakt ist: Nach der Corona-Krise werden dann ALLE Antworten haben. Das ist auch keine Kunst. Weil hinterher sind immer alle gescheiter. Daher halte ich es für äußerst wichtig, dass Journalisten Fragen stellen dürfen – der kluge Journalist stellt diese, wenn es gilt, Fragen zu stellen, alle anderen tun nur im Nachhinein so, als hätten sie welche gestellt. Das ist ein sehr entscheidender Unterschied (#Heuchlerei). Die Meinungsfreiheit ist, ebenso wie die Versammlungsfreiheit, ein Grundrecht einer Demokratie – das glaube ich, ist ein sehr wichtiger Punkt, den man sich immer wieder gedanklich vor Augen führen muss. Eine Gesellschaft besteht aus vielen verschiedenen Gruppen – die Interessen und Bedürfnisse dieser in ein angemessenes Verhältnis zu setzen, ist Aufgabe einer gelungenen Politik. 

To end on a positive note…

Die Medien füttern uns ja unaufhörlich mit Zahlen von Toten. Und da wir alle ganz fürchterliche Angst vorm Tod haben (insbesondere vorm eigenen oder dem der Angehörigen), poste ich jetzt mal einen Screenshot von der Bevölkerungsuhr Österreichs, to put things in perspective: 

Stand 9.4.2020, 09:22 (https://countrymeters.info/de/Austria)

Bis heute Vormittag gab es 88 Geburten, aufs Jahr gesehen waren es insgesamt schon fast 22,5k. Es sind also weniger Menschen gestorben als geboren wurden. Erfreut euch also des Lebens und umarmt es -wenn möglich- in all seinen Facetten – the good, the bad, the pleasant and the ugly.