Gregor Krammer

Müsste ich Gregor Krammer aka PLENVM in einer Tagline beschreiben, würde ich vermutlich sagen: Gebündelte Kreativität trifft krasse Umsetzungsstärke. Ich mein’, es gibt einfach so viele Künstler und Kreative, die zwar irrsinnig viele Ideen haben, aber ihre PS irgendwie nicht auf die Straße bringen. Das trifft auf den Gregor absolut nicht zu. Er ist eher Typ Ariana Grande (7 Rings): „I see it, i like it, i want it, I got it.“ Diese Tatkraft ist wirklich sehr bewundernswert. 

Ich habe ihn vor 6 Jahren im Complete Vocal Institute in Kopenhagen bei einem Gesangsworkshop kennengelernt (mehr dazu im Interview), und seither haben sich unsere Wege immer wieder mal gekreuzt. Letztes Jahr habe ich mal einen Vogue Workshop bei ihm besucht und wir laufen uns regelmäßig im John Harris Gym über den Weg. (Mens sana in corpore sano, you know the game.)

Eine seiner, wie ich finde, großen Errungenschaften, ist der mittlerweile viermal jährlich stattfindende Vogue Ball „Eat Slay Love“ im Gartenbaukino, den Gregor nach Wien gebracht – und mittlerweile hier etabliert hat. Ich sage euch: LEGENDÄR! Also wer noch nicht dort war – Zeit wird’s! Ich habe auf dem letzten gearbeitet und kann euch sagen, es ist wirklich unglaublich, was sich dort abspielt. Noch nie in meinem Leben habe ich so viele ehrlich gut gelaunte, strahlende, sich bunt und frei fühlende Menschen an einem Ort gesehen. (So stelle ich mir irgendwie den Weltfrieden vor, vom Gefühl her.) Das Gartenbaukino verwandelt sich an besagtem Ball-Abend in ein Bad aus positiver Energie, verstärkt, sowie freigesetzt durch die Möglichkeit zum künstlerischen Ausdruck und die Freiheit, so sein zu dürfen, wie man gerade sein will. The sky is the limit. Der enorme Andrang zur Veranstaltung spricht für sich. Gregor führt als Organisator und Moderator durch die Runway Shows, wo er auch selber auftritt. 

Wenn er gerade nicht den Ball organisiert, singt, tanzt und choreografiert er. Oder schreibt Bücher. Was auch sehr cool ist an ihm, ist, dass man mit ihm über die unterschiedlichsten Themen reden kann, und zwar nicht in Larifari-Manier, sondern mit Tiefgang. Er beschäftigt sich mit vielen unterschiedlichen Themen, und zwar jenseits des Horizonts, den die Medien für uns abgrenzen. 

So kann man sich mit ihm über Kunst genauso unterhalten, wie über die Ölindustrie und AI. Oder darüber, dass es eigentlich cool ist, in der Straßenbahn zu lesen. Oder Arien zu singen. Neulich hat er das gemacht, „weil eh alle die Kopfhörer auf hatten. Da dacht’ ich mir – ah cool, kann ich ein bissl üben!“ 

Wir haben uns ja in Kopenhagen kennengelernt. Und weißt du, woran ich mich noch voll erinnere? 

Bitte. 

Du hast total viele Bananen gegessen. 

Mhm. Das war meine Bananenzeit. (lacht). Aber ich muss auch sagen, ich hab schon früher mal eine Bananenphase gehabt. Als ich in Kanada gelebt habe bin ich Veganer geworden, weil ich mit einer Choregraphin gearbeitet habe, wo ich mir gedacht hab’ „Bist du deppat, die kann sich aber bewegen für Mitte 30!“ Dann bin ich draufgekommen: Sie ist 47. Ich habe sie dann gefragt, wie’s kommt, dass sie so fit ist und sie hat mir erzählt, dass sie sich seit Jahren fast ausschließlich roh und vegan ernährt. Sie hat ihre Probleme beschrieben (körperlich), die sie davor hatte, und ich dachte mir, hm, das klingt sehr ähnlich wie die Probleme, die ich auch habe. Daraufhin habe ich mich eine Woche vegetarisch ernährt – und bin danach gleich Veganer geworden. Und dann habe ich eine Zeit lang versucht, mich fast nur roh zu ernähren. Und woher kriegst du am meisten Kalorien, wenn du nur Rohes isst? – Bananen! Und deswegen habe ich eine Zeit lang bis zu 30 Bananen gegessen am Tag (lacht.) […]

Genial. Und welche Veränderungen merkst du, seitdem du Veganer geworden bist? 

Ich merke, dass ich eindeutig mehr Energie habe als Leute, die Fleisch essen – v.a. merk’ ich’s nach dem Essen immer. Ich merke, dass meine Allergien (und ich hatte wirklich wahnsinnig viele!) total zurückgegangen sind. Also ich merke es erstens körperlich, und ich merk’s für mich selbst – dass es mir wahnsinnig gut tut vom Kochen her. Weil ich einfach kreativ werde, mit den Sachen, die mir zur Verfügung stehen. Ich hab keinen ethischen Zwiespalt. Ich hab wirklich so ein Freundschaftsverhältnis zu Tieren und ich hab das früher als Kind immer total ausblenden müssen, dass ich die esse. Jetzt kann ich diesem Freundschaftsverhältnis viel eher nachgehen. Ich hab Tiere gern als Lebewesen, und nicht unbedingt als Essen. Und dann fällt’s mir auf, dass ich relativ viel über meinen Veganismus rede. (lacht.) Aber in Wien hat’s zumindest aufgehört, dass mich Leute fragen: „Und, wie kommst du überhaupt zu deinem Eiweiß?“ Aber gibt’s schon noch oft…

Du machst ja total viele unterschiedliche Projekte. Was ist momentan das Aufregendste in deinem Leben?

Ich finde, die Vielfalt ist das Aufregendste. Weil ich mich nie bei nur einem Ding aufhalten muss, was vielleicht frustrierend werden könnte, sondern ich kann ständig dieses Wechseln von verschiedenen Projekten und verschiedenen Fähigkeiten, die ich habe, einfließen lassen in andere Bereiche. Wenn ich z.B. Gesang unterrichte, und danach Klavier übe, dann habe ich beim Klavier üben wieder eine neue Idee für ein neues Lied, dann kann ich das Lied machen, dann kann ich das irgendwo performen, weil ich ein Event organisiere – also es befruchtet sich sehr schön. Und ich finde total aufregend, dass ich wahnsinnig viel reise. Das ist auch aufreibend manchmal – weil du das Gefühl hast, du bist irgendwie nirgendwo je ganz angekommen – du kommst ständig aus dem Koffer in den Koffer, aber es lässt natürlich auch meine Sensoren offen. Ich stelle mich auf nix ein und sag’„So ist es“, weil ich sehe, es kann alles ganz anders sein wo anders. Und so, wie ich’s haben möchte, kann ich’s mir gestalten. Also ich muss nirgends Sachen so annehmen, nur weil sie in einem Ort oder einer Gegend so üblich sind und sagen „so macht man das.“ 

Was war jetzt dein letzter Auslandsaufenthalt?

Hamburg. Also Deggendorf, bei Hamburg. Da habe ich eine literarische Residenz gehabt für mein literarisches Manuskript und dann hab ich gleich danach einen Voguing Workshop gehabt am nächsten Tag (lacht.) 

Wenn wir gerade vom Voguing reden – Du hast ja den Voguing Ball „Eat Slay Love“ nach Wien gebracht. Wie kam’s dazu? 

Also zunächst einmal hat Voguing in Wien ja schon ein bisschen seine Heimat gefunden gehabt, durch die Katrin [Blantar] natürlich – wir haben uns in New York kennengelernt und haben uns beide dem Voguing verschrieben gehabt. Zu dem Zeitpunkt habe ich noch in Graz gelebt. Ich bin dann immer hin und her gefahren, und habe versucht, immer wieder Voguing Workshops [in Wien] zu machen, aber es war mehr auf social gatherings beschränkt. 2012 hab’ ich dann der Georgina in Berlin geholfen, den allerersten Voguing Ball mitzuorganisieren. Da hab’ ich gesehen, was alles möglich ist, und auch was es für Schwierigkeiten gibt. Ich hab das mit der Katrin besprochen, und sie meinte „Es wird sich alles ergeben zur richtigen Zeit“. Und dann war’s so, dass die Viktoria Pelzer, die jetzt auch im Gartenbaukino ist (damals noch im Kollektiv AV), auf uns gekommen ist, weil sie Paris is Burning zeigen wollten in Penzing und da wollten sie ein Event mit dem Titel „Penzing is burning“ machen, bzw. Penzing Stars at the Movies. Dazu wollten sie einen Mini Voguing Ball haben, und sie haben uns gefragt, ob wir das machen wollen. Die Katrin und ich haben das gemeinsam organisiert. Es waren damals total viele Dinge in der Schwebe. Wir hatten keine Ahnung, ob 5 oder 50 Leute kommen – es waren im Endeffekt fast 200 dort. Und wir haben gemerkt – der Vibe war so positiv und es war so ein magisches Festl, dass wir gesagt haben, okay, das muss wieder passieren. […] Dann haben wir im Werk X eine kurze Bleibe gefunden, das hat dann aber 1,5 Jahre später zugesperrt, dann waren wir einmal kurz im Museumsquartier und jetzt haben wir im Gartenbaukino eine sehr gute Bleibe gefunden. 

Absolut. War echt mega!

Es war schon unser 13. Ball jetzt. 

Wirklich?

Mhm. Also das heißt, im Schnitt vier pro Jahr. 

Hammer. Und ich mein, der Andrang ist enorm. Wie erklärst du dir die große und ständig wachsende Popularität von Vogueing? 

Ich bin auch selbst am Rätseln, weil ich hab mir ja schon vor Jahren gedacht, es geht jetzt wieder runter. Weil es ist auch in den 90er-Jahren schon im Trend gewesen, und dann war’s wieder weg. Ich dachte mir, der Hype wird halt diesmal auch wieder so passieren. Und man merkt’s musikalisch schon wieder, dass der Hype abflaut, weil du teilweise Vogue Trap Beats und – Samples gefunden hast bei den Mainstream Popstars der Welt, was jetzt nicht mehr der Fall ist. Aber ich denke mir: Voguing an sich ist eine Sprache. Und du kannst die Sprache lernen anhand der Elemente. Es ist so wie die Grammatik. Wenn du sie dann sprechen kannst, kannst du damit machen, was du willst. Und dadurch, dass es sehr viele Leute gibt, die diesen Ansatz begreifen und unterrichten, gibt’s überall an verschiedensten Orten Leute, die mit Voguing ihren Ausdruck finden. D.h. Voguing schaut nicht so aus in Wien, wie’s in Paris oder Berlin ausschaut. Du merkst, dass Voguing die Kultur total widerspiegelt. Aber gleichzeitig ist es natürlich eine Plattform für die queere Subkultur, die innerhalb dieser Kultur entsteht. Die hat’s schon vorher gegeben, nur hat’s noch nie die Möglichkeit gegeben, sich durch eine Ausdrucksform international zu vernetzen. Ich kann als Voguetänzer nach Paris fahren, mitmachen am Voguing-Ball und […] kann dort sofort anknüpfen. Das heißt, es erzeugt ein globales Netz – so wie bei uns jetzt das erste Mal Leute da waren aus Korea, die noch nie in unserer Szene waren, sich aber sofort wohlgefühlt haben, weil sie sofort gewusst haben, was sie zu tun haben. Und das ist glaube ich das, was es ausmacht. Und es ist wahnsinnig kreativ – es ist irre, was die Leute zusammenbringen mit einem Apfel und einem Ei im Endeffekt – Kostüme, Musik und Bewegung. 

Ja, es gibt einfach ganz viele Möglichkeiten, sich auszudrücken, gell? Ich erinnere mich an einen Vogue-Workshop, den ich letztes Jahr bei dir gemacht habe, wo du meintest „Don’t second-guess yourself!“ Das fand ich total empowering. It stuck with me. Was sind so deine Erfahrungen mit Selbstzweifel?

Oh. Irre viele. Vor allem dadurch, dass ich jetzt noch präsenter in der Ballroom-Szene bin, habe ich oft das Gefühl, ich muss noch mehr geben, als ich selbst bin. Man muss sich immer steigern, aber es reicht eigentlich völlig, dass du du selbst bist. Aber natürlich hast du dann auch Erwartungen an dich selbst – das bist du ja auch. Und du möchtest auf irgendeine Art die Erwartungen erfüllen, das ist der Competition Aspekt. Du hast ja eigentlich mit dir selbst Competition, nicht mit der Person, die am Runway ist, weil was hat die über dich zu sagen? Gar nix! Aber wenn du dich selber behaupten kannst, dann kommt das immer von innen heraus. Das ist natürlich ein Punkt, an dem man sein ganzes Leben lang arbeitet. Jeder der sagt, er hat seine Selbstzweifel komplett überwunden, überdeckt das einfach nur. Weil Selbstzweifel überwindest du nicht, du arbeitest mit ihnen. Und du lernst, wie du mit ihnen umgehst. Und eben, z.B. zu sagen, dass du das, was du gerade gemacht hat, nicht 2x hinterfragst, ist genug. Es ist genug. Es ist das, was du im Moment aus dir herausbringst. Es mag dann schon sein, dass deine Linie anders sauberer wär’ oder dass du noch exquisitere Tricks oder so hast, aber das heißt nicht, dass das du bist. Das ist dann wieder eine Idee von dir, und vielleicht bist du das in 5 Wochen, vielleicht bist du das übermorgen und vielleicht bist du das auch nie. Aber es ist eigentlich auch nicht wichtig. Sondern es ist eben wichtig, dass du im Moment bleibst. Ich hab jetzt für mich selbst gelernt, dass die Zweifel und die Ängste immer wahnsinnig schnell denken. Und ich kann die ganzen Sachen ausschalten, indem ich mich selbst langsam bewege. Indem ich mir denke, wenn diese ganze Maschinerie läuft: „Was kann ich tun, um runterzukommen?“ Und die Antwort ist: Ich kann auf die Musik hören, ich kann auf den eigenen Atem hören. Was läuft eigentlich gerade langsam? Weil Ängste können nicht langsam laufen. Und ich kann sie mitnehmen, ohne dass sie mich beherrschen. 

Das find’ ich einen extrem schönen Ansatz.

Danke. Aber ich habe in jedem meiner Bereiche – aber das ist für Künstler ganz normal – so die Momente, wo du dir denkst: „Bah, ich bin der Geilste.“ Und im nächsten Moment denkst du dir: „Ich kann gar nix!“ Und es ist einfach so zwischen diesen Polen…

…Absolut. Und das kann sich so schnell ändern. Also innerhalb von einem Tag 2x. 

Voll. Frag mich in 5 Minuten wieder. (lacht.) 

Dein Künstlername ist ja Plenvm. Wie wichtig ist so ein Künstlername in der Vogue-Szene? 

Also es ist in der Vogue-Szene oft so, dass du Namen bekommst. Früher war’s oft so, dass du Namen deswegen bekommen hast, wie du performt hast. Da gab’s dann z.B. von beschreibenden Namen wie „feminine destruction“, oder auch Frauennamen, die du gewählt hast, um dein Alter-Ego zu finden. Und darum geht’s vor allem – dein Alter-Ego zu finden. Dass du eben nicht die gleichen Probleme hast, [die du im Alltag hast]. Plenvm hat nicht morgen einen Zahnarzttermin oder muss die Steuern machen. Eigentlich ist Plenvm der Inbegriff von allen Alter-Egos, die ich gehabt habe. Deswegen auch „der Rat in der Vollversammlung: Plenum“. Und auch das Bewusstsein, dass ich nicht alleine funktionieren kann, sondern, dass ich immer nur in Interaktion mit allen anderen, die da sind, ICH bin. […] Ich glaube die Frage ist, ob du in einen Charakter reinschlüpfen – und ein paar Sachen von dir vielleicht für eine Zeit lang mal ausklammern möchtest. Daran ist nichts verkehrt. Ich glaube, es gibt einfach so viele Dinge, die dich so leicht vom Moment ablenken können. Und da kann man dann einfach sagen: Gregor hat jetzt mal Pause. Jetzt ist Plenvm dran! 

Du hast es ja schon angesprochen, dass du auch Bücher schreibst. Wie schaut da der kreative Prozess aus? Wie entwickelst du eine Geschichte, wie lang brauchst du dafür, wann schreibst du am liebsten?

Also ich finde, das Schreiben ist eine wahnsinnig einsame Tätigkeit, weil du einfach sehr viel beobachten musst. Und die Beobachtung passiert einfach innerlich. Ich schreibe total viel gedanklich. Und kann mich dann wirklich immer hinsetzen und diese Gedanken runterschreiben. Ich bin jetzt nicht unbedingt jemand, der sich vor’s Papier setzt und sagt „schauen wir mal, plotten wir mal was aus“. Mir sind Beobachtungen und Begegnungen total wichtig. Und ich hab meine Notizen immer am Laufen und mache mir dann mit Recordings Notizen oder schreibe mir schnell ein paar Worte auf. Und an irgendeinem Punkt, wo mich die Muse küsst, setze ich mich dann hin und schreibe es nieder. Ich schreibe aber nicht täglich, sondern ich schreibe oft wirklich mehrere Stunden an einem gewissen Tag und habe dann alles beisammen. Mir ist aufgefallen, wie wahnsinnig wichtig es für mich ist, Deadlines zu haben. Wenn ich Deadlines habe, dann fließt das alles. Ohne Deadline fange ich an, alles so zu hinterfragen, dass dann eigentlich gar nichts weiter passiert. Ich habe zwei Bücher fertig geschrieben und das eine hat einen Literaturpreis gewonnen. Aber es hat leider noch keinen Verlag gefunden. […] Aber das ist nicht das Notwendige beim Schreiben. Dass ich jetzt sage, „Bow ich muss das jetzt fertig haben und das muss dann nächstes Jahr einen Verlag gefunden haben, weil sonst bin ich ein Failure in dem Bereich.“ Weil das Schreiben ist in Wirklichkeit das, was alle anderen Künste viel klarer macht. Wenn du gut schreiben kannst und wenn du deine Gedanken gut zu Papier bringen kannst, kann sich alles andere komplett setzen. Ich merke auch, wenn ich etwas nicht formulieren kann, dann wird’s auch nicht manifest. 

Aber wenn man jetzt sagt, „ich habe Bock, das Buch zu lesen“ – wo kann man das tun? 

Man kann mich anschreiben und dann kann ich’s schicken. […] Und Kurzgeschichten von mir findet man schon online. 

Du hast neulich auf Facebook ein Video gepostet, wo’s darum geht, dass Google, Amazon und Microsoft jetzt ins Ölbusiness eingestiegen sind, obwohl sie nach außen hin immer für Sustainability plädieren.

Schön, dass du das gesehen hast! Gruselig, oder? 

Ja. Wie fucked up ist unsere Welt?

Ich kann dir schon die nächste Doku schicken, wo’s um Corporate Surveillance geht. Wo gezeigt wird, was Algorithmen wirklich über dich wissen. Die wissen wesentlich mehr über dich als du über dich selber. Weil die Information, die du willentlich teilst, nur der verschwindend geringe Teil von der Information ist, die von dir gesammelt wird. Weil anhand des GPS kannst du eruieren, wie schnell du gehst, was du einkaufst, was du für ein Körpertyp bist, welche psychischen Veranlagungen du hast. […] Das heißt, wir sind eigentlich in einem „Freiluftgefängnis“, weil wir bis ins letzte Detail beobachtet werden können. Die Leute kaufen sich ihre digitalen Uhren und sagen sich, „Mah, ist das cool, dass ich jetzt ständig sehe, wie viele Kalorien ich verbrenne“. Was sie nicht kapieren, ist, dass die eigene Herzrate und der Puls so individuell sind wie der Fingerabdruck. Und Infrarot-Kameras können dich sogar – selbst wenn du komplett verkleidet bist – anhand dieses Herzrhythmus – wenn sie ihn erst einmal gespeichert haben- aus einer Masse von Tausenden von Leuten herausholen. Also es ist wirklich irre, was da in unserer Welt passiert. […] Aber ich denke mir auf der anderen Seite auch, dass jeder von uns zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist. Und jeder von uns ist dazu da, um etwas zu lernen. Also ich glaube jetzt nicht daran, dass ich nur einmal innerhalb von Millennien existiere – ich glaube, dass ich als mein Bewusstsein nicht einfach verschwinden kann. Ich kann verschiedene Körper annehmen im Laufe der Zeit. Und ich bin jetzt an diesem Ort um gewisse Sachen zu lernen. Und klar ist unsere Welt fucked up, aber  es hat natürlich zu tun, dass wir innerlich fucked up sind. 

Absolutely – Spiegel! 

Genau. Und wir als Gesellschaft müssen eine große Entwicklung machen. Das heißt aber auch, dass jeder individuell auf seinem Lebensweg eine Entwicklung machen muss. Und wir müssen erkennen, dass auch der Beste von uns – der, der versucht, den ökologischen Fußabdruck klein zu halten und auf alles aufzupassen – in diesem System verstrickt ist. Und jeder zu viel von der Erde verlangt hat. Und wir für uns selbst erkennen müssen: Wo kann ich für mich den Anfang machen? Und da ist jeder Mensch mit jedem Ansatz bereits auf dem richtigen Weg. Ich kann nicht, weil ich Veganer bin, über alle, die Fleisch essen, urteilen und gleichzeitig mit dem Flugzeug nächste Woche wohin fliegen, weil das halt mein Job ist… Das sind halt alles Dinge, [die man berücksichtigen muss] und wir sind alle verbunden. Wir sind alle auf demselben Planeten. Alles, was ich tue, und was ich dem Planeten antue, trägst du genauso mit. […] Wir sind alle so verwickelt in eine gewisse Selbstsucht, weil wir das so gelernt haben. Das hat nichts damit zu tun, dass wir alle Egomanen sind, sondern das hat uns die Gesellschaft beigebracht. Und es stimmt nicht. Sobald wir aufwachen und erkennen, wie sehr wir verbunden sind, sobald entwickelt sich alles in eine bessere Richtung. […] Und ja. Fucked up – yes. Aber im Ende auch die Möglichkeit,  etwas zu ändern. Es ist ja jetzt nicht so, dass wir in einem höllischen Zustand leben, in dem das alles nur über uns einhergeht, und wir keine Möglichkeit haben, etwas zu ändern. […] Ich mein, wir sind jetzt näher am Jahr 2040 als am Jahr 1999 – was absolut mindblowing ist für mich – aber vergleich’ einmal, was in den letzten 20 Jahren passiert ist. 1999 haben wir gesagt: „Mah, jetzt schalten wir schnell das Internet ein und stecken das Telefon dafür ab, und dann waren wir 20 Minuten im Internet und der Rest unseres Tages hat nix mit dem Internet zu tun gehabt. Jetzt sind wir ständig im Internet und fangen an, alle schon Haltungsschäden zu entwickeln, weil wir ständig auf unsere Smartphones schauen, aber es erzeugt auch nochmal etwas ganz anderes. Weil jetzt sind wir verbunden mit Leuten auf eine Weise, wie’s früher niemals möglich war. Und vielleicht ist das der erste Schritt, den wir brauchen, um auch wirklich Veränderung herstellen zu können. Weil ich hab z.B. Leute berührt, die ich nicht einmal je kennengelernt habe, und die mir Sachen schreiben, wo ich mir denke „bist du deppad, wie oag…!“ Wie oag, dass die Veränderung vonstatten gehen kann, obwohl ich nicht einmal persönlich dort bin. Wir müssen lernen, wie wir das nutzen können auf eine Art und Weise, wo wir wirklich auch Veränderung in einem positiven Sinne füreinander schaffen können. Die Illusion rund um Kommerzialisierung und Kapitalismus herum, die uns sagt: „Du musst einfach nur mehr haben, und dann wirst glücklich“ – die wird uns nicht überleben. Die wird viele von uns überleben. Aber unsere Spezies? Nah! Weil an irgendeinem Punkt werden wir sehen: Fuck, stop! […] Mein älterer Bruder findet es z.B. absurd, dass wir alle etwas sparen müssen, weil er sagt, das muss einmal von oben herab passieren – von den Konzernen usw. Und ich weiß noch ganz genau, als ich diese Meinung gehabt habe. Und wo ich mir dann überlegt habe: Aber es ist völlig klar, dass ein Konzern, der auf Profit aus ist, mir immer mehr anbieten wird. Und deswegen auch die Sache mit der Ölindustrie – Natürlich wird mir Google alles andrehen wollen, was ich haben will, wenn ich Geld dafür ausgebe. 

Klar. Sie schauen halt auch, dass das nicht wahnsinnig in die Öffentlichkeit dringt. Weil das würde das Public Image ja sehr anschwärzen. 

Absolut. Wir werden als User auf Ignoranz trainiert. Aber ich kann zu jedem Zeitpunkt sagen: Obwohl ich nicht unbedingt als User völlig aussteigen kann, weil wir sind in der Welt, in der wir sind, kann ich bewusste Entscheidungen treffen. Und ich kann sehr wohl sagen „Ich komm eigentlich ohne Amazon aus“. Ich bin bis jetzt auch ohne Amazon ausgekommen und die paar Bücher, die ich gekauft habe, dafür kann ich auch den extra Weg gehen und schauen, wo’s die hier zu kaufen gibt. Und das ist für mich nicht schwer. Also es ist nicht schwerer, als zu sagen „Ich muss das mit mir vereinbaren, dass der gleiche Konzern, dem ich das Geld gib, auch die Welt zerstört, die ich versuche, zu retten.“ Das find ich viel schwieriger zu vereinbaren mit mir selber. Das wäre keine Logik, die Sinn macht für mich. Und ich hoffe einfach nur, dass andere auch so zu denken beginnen, weil es kann nur so funktionieren. […]

So. Letzte Frage. Ich weiß zwar, du bist sicher nicht so der Planefritzi…

…woher weißt du das?! (lacht.) „Wo siehst du dich in 5 Jahren?“ 

Genau! In 10! Sagen wir in 10! 

Mah jetzt muss ich mal rechnen…

Du kannst auch sagen, 2040 wenn dir das lieber ist!

Mhm. Ich bin ja schon gespannt, wo ich die Welt sehe in 2040… Es gibt natürlich viele Träume, die oft nur davon genährt werden, dass ich sie hin und wieder einmal ausspreche, und dann ist es auch schon wieder genug. Natürlich würde ich mir wünschen, einen Raum zu haben, der mehr umfasst als die zwei Zimmer in der Wohnung, in der ich jetzt lebe. Sondern auch wirklich auch einen natürlichen Raum rund um das, wo ich wohne, den ich nicht anfassen möchte. Das wär so mein Traum. Also, wo ich nur so Trampelpfade in den Wald hinein mache. Und ich habe ja auch schon in diesen Kommunen gelebt. Ich kann mir auch gut vorstellen, wenn’s nicht mein eigenes Eigen ist, dass ich einfach wieder in so eine Kommune zieh’ für eine Zeit lang. Und eine Balance finde. Ich mein, ich bin sehr gerne in Wien und ich liebe auch die Stadt. Aber ich merke auch, dass du von gewissen Dingen abgekapselt wirst. Du läufst herum, und fragst dich: „Was muss ich jetzt noch tun, damit ich mich gut fühle? Vielleicht muss ich noch mehr ins Fitnessstudio gehen und muss noch mehr Self-Improvement betreiben.“ In Wirklichkeit musst du einfach nur die Schuhe ausziehen und barfuß durch den Wald gehen. Und alles löst sich in Wohlgefallen auf. Ich versuche das auch immer wieder, einfach in mein Leben reinzubringen. Gestern hat mein Mann gesagt: „Vielleicht muss ich einfach nur Banker werden, dann hätten wir Geld!“ Und ich hab gesagt: „Ich werd niemals das Glücklichsein von meinem Leben, das mir gegeben ist, und was mir niemand nehmen kann, austauschen mit einer Mensch gemachten Idee davon, wie du glücklich zu sein hast!“ Weil schau dir mal die ganzen Banker an… Oder ich kann’s auch auf die künstlerische Ebene umlegen: Ich weiß, was Wiener Philharmoniker bei einem Konzert verdienen. Das ist bei einem Neujahrskonzert so viel, wie ich im Jahr verdiene. Und die haben dann auch ein Penthouse neben dem Hauptbahnhof und nebenbei noch drei Geliebte, sind unglaublich ungesund, kommen nicht ein einziges Mal dazu, dass sie verschnaufen, sind mit ihrem ganzen Leben unzufrieden, und haben superviel Geld am Konto. Interessiert mich nicht. Wenn ich am Ende meines Lebens mich bis zum letzten Tag ans Klavier gesetzt habe und was gesungen habe, dann habe ich glaube ich den Zweck meines Lebens erfüllt. Das heißt – was auch immer sonst noch kommen mag, ich bin sehr gern bereit, das anzunehmen. Und ich seh auch, dass die Sachen, die ich mache, wahnsinnig wachsen. Aber auch wenn’s genauso bliebe, wie’s jetzt ist, ist’s fein. Solange ich es schaffen kann, Musik zu machen und zu tanzen und Freude am Leben zu haben. […] Also was passiert in 20 Jahren? Keine Ahnung. Aber ich freu mich schon drauf. Ich bin sehr gespannt!

 

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