Am Montag bin ich aus der Kirche ausgetreten. Und es ging schneller als eine Routineuntersuchung beim Zahnarzt. Das erste Mal hatte ich den Impuls dazu ja schon vor ein paar Jahren, als mich der Kirchensteuererlagschein wieder mal daran erinnerte, dass ich Mitglied dieses Vereins bin. Ich rief also meine Mama an und bat sie, mir den Taufschein zu schicken, damit ich austreten könne. Sie meinte daraufhin eindringlich: „Nein, tu das nicht…“ und bot mir sogar an, den Kirchenbeitrag zu zahlen. Ich spürte, wie wichtig ihr das war, und daher zog ich mein Vorhaben damals nicht durch. Aber gerade in letzter Zeit habe ich wieder viel über die katholische Kirche nachgedacht, und mir überlegt, wie wenig ich mit dieser Institution anfangen kann und mich identifizieren möchte, und daher hab ich’s dann vorgestern endlich hinter mich gebracht. (Ohne Taufschein, das Schreiben der Erzdiözese reichte.)
Am Abend war ich dann noch mit zwei Freundinnen im Burggasse 24 (ein saunettes Lokal, falls das wer noch nicht kennt!) und nachdem wir uns über Themen wie Kuhmilch (it’s bad, really bad!!) und anstehende berufliche Herausforderungen unterhalten hatten, erwähnte ich natürlich auch meinen Kirchenaustritt. Beide reagierten relativ überrascht („Ah echt, wieso?“) und waren sich darüber einig, dass sie nie austreten würden. L. meinte, dass sie zwar auch nur zur „besonderen Anlässen“ in die Kirche gehe, aber dass sie’s dann eigentlich immer sehr schön finde – also die Stimmung und das entstehende Gemeinschaftsgefühl. V., die zwar nicht römisch-katholisch sondern serbisch-orthodox ist (wusste ich bis Montag z.B. auch nicht), teilte dieses Empfinden. Und beide meinten, dass sie eben ihren zukünftigen Kindern diese Gemeinschaft und die kirchlichen Feierlichkeiten nicht vorenthalten wollten. Ich warf zweifelnd in den Raum, dass ich mir nicht sicher sei, ob Kinder in Anbetracht des städtischen Religionspluralismus und einer fast cyborg’schen Verbindung mit dem Smartphone tatsächlich noch so eine religiöse Verbundenheit untereinander verspürten – aufgrund von Festen wie der Erstkommunion oder Firmung oder so – aber sie waren beide davon überzeugt.
Don’t get me wrong – ich find das superschön, wenn das wer so empfindet, weil in unserer überindividualisierten Welt Gemeinschaft wichtiger ist als wir uns alle miteinander vorstellen können, aber ich hätte das halt für mich noch nie mit (m)einer Religion verknüpft. Aber ja, im Endeffekt – Religion ist dem Grundsatz nach eine Glaubensgemeinschaft. Wobei das ein sehr dehnbarer Begriff ist, wennst mich fragst. Weil: Woran glaubt man wirklich? Wie legt man diese ganzen Religionsgeschichten aus? Muss ich einen Glauben aktiv praktizieren, damit ich auch wirklich „gläubig“ bin? Was mache ich mit meinem Glauben?
V. hat einen sehr interessanten Punkt gebracht. Sie sagte: „Religion ist dann wichtig, wenn’s einem schlecht geht. Uns geht’s allen so gut, wir brauchen keine Religion. Wir verwirklichen uns selbst, machen Yoga, sind „spirituell“…- aber, wenn z.B. in einer Familie ein Kind stirbt, hört man ja oft, dass ihnen der Glauben Kraft gegeben hat, weiterzumachen. In solchen Situation brauchst du einen Glauben.“ Versteh ich voll. Ist dann aber halt eher ein opportunistisches Glauben – fast so wie in einer Freundschaft, wo ich mich nur dann beim anderen melde, wenn’s mir schlecht geht. Da stellt sich für mich auch die Frage, wie „echt“ das Ganze ist. Aber gut, in dem Fall beschwert sich zumindest mein Gegenüber nicht. (lol)
Tatsächlich (und wenig verwunderlich) gibt es eine negative Korrelation zwischen Wohlstand und Religiosität. Je wohlhabender ein Land ist, desto säkularer ist es. Es gibt zwar ein paar Ausnahmen (wie etwa die Ölstaaten am Golf oder auch die USA), aber de facto besteht ein Zusammenhang zwischen Religionsschwund und Wirtschaftswachstum – wobei umstritten ist, welcher Faktor jetzt der Auslöser und welcher die Folgeerscheinung ist. Ist eigentlich auch egal.
Religion ist meiner Meinung nach jedenfalls was ungeheuer Trennendes. Ich mein, wenn man sich mal überlegt, wie viele Kriege religionsmotiviert geführt wurden und werden, wieviel Hass aufgrund von Religion geschürt wird, wieviel bescheuerte Überheblichkeit da drin ist (meine Religion ist die beste, oida! Geh sterben!) und wieviel Angst auf Andersartigkeit projiziert wird. Das alleine ist eigentlich sensationell. Kann und will ich mich nicht damit identifizieren.
Das nächste ist die Lehre von Schuld und Sühne. In meiner Volksschulzeit hatten wir den örtlichen Dechant als Religionslehrer. Er war alt, wirklich streng, und ein Meister des Storytellings. Und er erzählte uns immer sogenannte „Gruselgeschichten“. Die waren allesamt extrem spannend. Ich kann mich an den exakten Inhalt dieser Stories nicht mehr erinnern, aber ich glaube, sie hatten den Sinn, uns die 10 Gebote näherzubringen. Jedenfalls ging jede Geschichte damit aus, dass wenn man etwas falsch gemacht hat (#Sünde), man dafür bestraft wird und sühnen muss. Jede Missetat eine kleine Kreuzigung, so quasi.
Dann das ewige Beichten. Ich weiß nicht, wie oft ich pro Jahr beichten ging, aber ich frage mich tatsächlich, was ich dem Dechant da immer erzählt hab. Musste sowas in der Größenordnung wie „ich habe einen Kaugummi auf den Boden gespuckt“ oder „ich habe Frau Müller letzte Woche im Supermarkt nicht gegrüßt“ gewesen sein. Ich nahm das alles jedenfalls schrecklich ernst. Und dieses Schuld-und-Sühne-Konzept ist immer noch nicht ganz aus mir entwichen. Ich bin Meisterin des Schuldgefühls. – Was ich mich schon selber schikaniert habe, wegen Sachen wo andere sagen: „Ehrlich Conny, wenn du sonst keine Probleme hast, dann hast keine…“ (eye-roll, lol). Oder auch nach meinen Beziehungen: Ich war jedes Mal felsenfest davon überzeugt, dass ich für den Untergang der Beziehung verantwortlich war, weil ich dies und jenes falsch gemacht hatte oder so oder anders falsch war. (Retrospektiv seh ich die Sache klarerweise sehr viel differenzierter und denk mir, damn girl, DU hättest DICH viel früher schleichen sollen…!) Ja. Jedenfalls hab ich mich post-relationship immer „gegeißelt“, wie eine Freundin von mir das sehr treffend nannte. Monatelang. Ein Wahnsinn eigentlich. (An dieser Stelle ein herzliches Beileid allen meinen Freunden, die sich diesen Irrsinn mit mir angetan haben. Ihr kommt fix in den Himmel!) Als ob Schuldgefühle irgendjemandem was bringen – eine Situation ungeschehen machen, eine hinige Beziehung zum Leben auferstehen lassen, ein zerbrochenes Glas wieder kitten. Njet. Doesn’t happen. Einsicht, ja. Ich kann mir überlegen, ok – dies oder das war nicht (so) leiwand, mach’ ich das nächste Mal anders/besser. Aber keinem Mensch auf der Welt ist geholfen, wenn’s mir (oder sonst wem) schlecht geht. Wenn ich leide, sühne, büße, was auch immer. Totaler BS. Also dieses religiöse Heritage versuche ich gerade wirklich und nachhaltig aus mir rauszubekommen.
Was ich auch für sehr bedenklich halte, ist die in vielen Religionen vorherrschende Fokussierung auf das Jenseits, die das „Leiden“ des Diesseits überhaupt erst erträglich macht. So im Sinne von: Halte durch! Nach diesem qualvollen, irdischen Leben wirst du belohnt – für all dein Leiden, deine großartige Opferhaltung. Da wird dann alles gut, schön, toll. Vielleicht gibt’s auch noch Jungfrauen (abhängig von der Religion halt). Als Kind habe ich mir oft überlegt, wie das dann sein wird, „im Himmel“, und was es dort alles gibt. Aber die Vorstellung, „EWIG“ an einem einzigen Ort zu sein kam mir damals schon irgendwie langwierig vor (ich bin Schütze, Reisen ist mein Ding). Da erschien mir das Konzept der Wiedergeburt irgendwie spannender.
Ganz generell wird in der Religion die Opferhaltung sehr propagiert. Das Sich-Aufopfern. Das findet man ja in der Bibel (und vermutlich auch in den Schriften anderer Religionen) sehr häufig, und es wird immer als etwas Positives dargestellt bzw. sogar gefeiert. Fazit: Wenn du dich (auf-)opferst, wirst du belohnt. Auch sowas, was ich ziemlich gut kann. Aber was ich oag scheiße finde mittlerweile. Ganz ehrlich, ich finde, jede Art von Sich-Aufopfern ist in Wahrheit ein Sich-Aufgeben. Und genau wie bei den Schuldgefühlen bringt das niemandem irgendwas. Eigenverantwortliches Nicht-Opfertum. Das zieht!
Ja und dann natürlich noch die Einstellung der katholischen Kirche zu Körperlichkeit. Das Zölibat ist meiner Meinung nach so ca. das Unnatürlichste, was es gibt. Kein Mensch ist dafür gemacht, nie Sex zu haben. Und dann kommt es zu diesen krankhaft degenerierten, komplett unentschuldbaren Auswüchsen in Form von Übergriffen an Kindern (!), Ordensschwestern, Glaubensbrüdern. Schafft doch endlich mal das Zölibat ab, was ist das?!?
Hm ja. Die Gottfrage an sich habe ich für mich noch nicht 100% geklärt. Also ob es eine Art von Gott gibt. Ich bin also kein kompletter Agnostiker. Aber mir ist es ziemlich egal, ob er (oder sie!) Gott, Allah, Buddha oder sonst wie heißt. Weil es geht ja im Prinzip immer um das Gleiche. Und ja, manchmal ist es echt tröstlich, daran zu glauben, dass es jemanden gibt, der einen „immer liebt“ – ganz egal, was passiert, oder der einem den Weg weist, oder der das Beste für einen will. Aber es könnte auch sein, dass jeder für sich so einen Gott IN SICH hat. Im Sinne einer unzerrüttelbaren, echten Selbstliebe, eines starken, geerdeten Urvertrauens, einem intuitiv richtigen Navigationssystem, einer inneren Stimme, der man vertrauen kann. So wie: „Finde zu dir und du findest zu Gott.“ Oder: „Lebe dich, und du erfährst, wer Gott ist.“ Das klingt vielleicht ein bissl esoterisch, aber ich finde diesen Gedanken, oder diese Vorstellung, total empowering. Weil es ein selbstverantwortliches Leben erfordert, das man den eigenen Maßstäben gerecht gestalten kann. Und meine Theorie ist ja auch immer, dass Menschen, die wirklich glücklich mit sich sind, keinen Scheiß bauen. Da braucht’s dann keine 10 Gebote, Gruselgeschichten oder die Angst vorm Fegefeuer, weil ein Mensch, der sein Leben wirklich nach seinen eigenen Vorstellungen und seiner eigenen Wahrheit entsprechend lebt, der wird – meiner Anschauung nach – keinen anderen einfach niedermetzeln, vergewaltigen, bestehlen & whatnot.
Ich glaube, dass jeder Mensch grundsätzlich mal „gut“ ist und kooperieren will mit anderen. Bis einem dann die „Erziehung“, 2408169 Gebote, Verbote, Regeln, Lehren und Erwartungen drübergestülpt werden. Da musst ja irgendwann deppad werden. Ich finde ehrlich, wir können ungeheuer viel von Kindern lernen. Kinder sind so herrlich tolerant und annehmend. Die observieren, ohne zu beurteilen: „Mama, der Onkel Ferdinand stinkt!“ ist total unschuldig gemeint, und eine völlig legitime Aussage, bis die Mama sagt: „Psst, sowas sagt man nicht!“ Und so trainiert man Kindern halt nach und nach ihre Connection zu sich selbst ab. Und dann braucht’s ein externes Leitsystem, zur Schadensbegrenzung quasi. Religion als coping strategy.
Mir ist bewusst, dass Religion (ähnlich wie andere trennungsbasierte Themen wie Politik oder Geld) ein sehr „sensibles“ und emotionsgeladenes Thema ist, wo sich viele Menschen irrsinnig schnell angegriffen fühlen. Ich hoffe also, ich bin mit diesem Text niemandem ärger auf den Schlips getreten (sonst krieg’ ich gleich wieder Schuldgefühle #Opfer). Ich erhebe auch keinerlei Anspruch auf allgemeingültige „Richtigkeit“ – das Ganze sind lediglich meine eigenen, ganz persönlichen Gedanken. Apropos persönlich: Ich habe mir vorgenommen, in Zukunft mehr Leute zu fragen, woran sie eigentlich glauben. Ich finde, das ist eine total nähestiftende Frage, die Verbundenheit schafft. Weil man einen Menschen da gleich viel besser kennenlernt.
John Lennon’s „Imagine“ ist übrigens immer noch ein mega Song.