Falls es sowas wie einen „true artist“ gibt, dann verkörpert Katrin (La Draganda) Blantar das für mich zu 100%. Sie ist true. Und sie ist ein artist. Und beides erkennt man auf den 1. Blick.
Ich habe sie vor gefühlt 100 Jahren (in Wahrheit waren’s ca. 13?) kennenlernt, als wir beide in Nina Kripas’ Hip Hop Stunden gingen. Katrin war immer die, die die Choreographien genailed hat und gleichzeitig so viel Eigenes und so viel Leben reinbrachte, dass es eine wahre Freude war, ihr zuzuschauen. Wild, free and fearless. So wirkte sie auf mich und ich bewunderte sie dafür. Irgendwann ging die Nina nach Amerika, die Katrin nach Australien, und das Halfstreet 7 machte zu.
Jahre später war ich mal in einer von Katrins Vogue-Klassen. Ich kannte Vogue davor nicht, und dachte mir, ok probierst das aus. Und zwar ist das eine Tanzform, die total easy ausschaut, aber die einem (mir) die eigenen Blockaden und Unsicherheiten ziemlich aufzeigt. Es ist eine sehr freie Art des künstlerischen Ausdrucks, in der man nicht irgendwelche vorgegebenen Bewegungen nachmacht (im Sinne einer festgelegten Choreographie), sondern sehr viel aus dem persönlichen Empfinden heraus entstehen lässt. Ich muss sagen, ich fühlte mich ähnlich elegant wie damals in meiner Poledance Schnupperstunde. (No words.) Dennoch (oder gerade deshalb!) habe ich jetzt beschlossen, dass ich mir und Vogue da nochmal eine Chance gebe, weil Katrin so viele schöne Sachen über diese Art zu tanzen gesagt hat, dass ich mal versuchen will, meine Self-Judgements hinten anzustellen und mich nicht immer so anzuscheißen. (Das nur so als Fußnote.)
Anyway, das letzte Mal hab’ ich Katrin vor ca. einem Jahr gesehen, als wir uns zufällig auf der Neubaugasse über den Weg gelaufen sind. Wir haben uns kurz ausgetauscht, und sie erzählte mir, dass sie nach wie vor viel tanzt und zudem jetzt auch noch Anthropologie studiert, was ihr ziemlich taugt. Da fand ich sie gleich noch viel cooler!
Katrin ist 37 und gestaltet ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen, ohne sich von gesellschaftlichen Konventionen beirren zu lassen. Völlig frustrationsfrei. Sowas mag ich. Abgesehen davon, dass sie eine wirklich inspirierende Künstlerin und Frau ist, ist sie außergewöhnlich respektvoll, sehr annehmend, und absolut echt.
Es hat mich total gefreut, dass sie sich letzte Woche Zeit genommen hat, um mit mir über Weiblichkeit, die Bedeutung von Tanz und das Zwischenspiel von Kunst und Anthropologie zu plaudern.
Was bedeutet für dich Weiblichkeit?
Also zuerst einmal ist Weiblichkeit nicht unbedingt was, was ich mit „Frausein“ assoziere, und ich glaube, Weiblichkeit ist in jedem drin – egal ob du jetzt ein Mann oder eine Frau bist, oder ob du dich mit was anderem identifizierst. Und jetzt für mich persönlich würde ich sagen, Weiblichkeit ist sehr wichtig für mich, genauso wie Männlichkeit und ich glaub’, es geht immer darum, dass du eine schöne Balance gefunden hast, und dich mit dieser Balance gut zurechtfindest. Ich hab’ mich in den letzten Jahren mehr und mehr mit dem Thema beschäftigt, und bin da eigentlich schon ziemlich in die Tiefe gegangen. Für mich war das Weibliche immer so „gegeben“ – etwas mit dem ich aufgewachsen bin, ich hab’ mich als Frau identifiziert, bin als Frau wahrgenommen worden, und bin sehr naiv mit dem Thema umgegangen, bis ich irgendwann mal draufgekommen bin: Ja, ich glaube, Weiblichkeit ist für jeden ganz was anderes. Oder: Ich will Weiblichkeit nicht so definiert haben für mich persönlich, wie die Gesellschaft das definiert. D.h. auch wenn ich Weiblichkeit mit bestimmten [Begriffen] assozieren würd’ („Stärke“, „Durchhaltevermögen“, „Wärme“, „nurturing“, „giving“, „loving“, „caring“), sind das genauso Eigenschaften, die auch Männer haben können. Weiblichkeit ist etwas, das jeder auf eine ganz eigene Art und Weise definieren kann, und für mich ist es etwas, das ein Teil von mir ist, aber es ist nicht das Einzige, was ich so spüre.
Beschreibe dich als Frau in 3 Worten!
Drei Wörter, die ich jetzt mit meiner Person oder wie ich Frausein lebe, assoziiere, wären – ich sag’s jetzt einfach intuitiv- „Lernen“, „Weitergeben“, und „Fließen lassen“. Weiß’ nicht, das ist jetzt spontan gekommen…
Wie bist du auf deinen Künstlernamen (La Draganda) gekommen?
Den Namen habe ich mir nicht selber gegeben, sondern den hat mir eine sehr inspirierende Person in meinem Leben gegeben- der Archie Burnett. Das ist ein Künstler, der aus der Voguing Szene aus New York kommt, vom House of Ninja. Und ich hab mich in den letzten 10 Jahren sehr mit der Voguing Community beschäftigt, und mich sehr für die Kultur interessiert. Ich hab auch länger in New York gelebt, und viel von ihm gelernt. Er hat irgendwann mal gesagt […] – wenn ich zum Voguen anfange, dann verändert sich irgendwie meine Energie in etwas Drachenmäßiges. Also er hat dann gesagt: „Like a female dragon“. Und er hat dann immer gesagt „Madame Draganda“. Mir hat das irgendwie gefallen, weil ich mit Drachen nicht was Negatives oder was Fauchendes assoziiere, sondern eher was Kraftvolles. Irgendwann habe ich dann das „Madame“ weggelassen und hab einfach „La Draganda“ gesagt. […] Die Geschichte erzähl’ ich sehr gern.
Welche Frauen (Künstlerinnen) bewunderst du und warum?
Ich habe mich in den letzten Jahren mehr mit Hannah Arendt beschäftigt, und find’ sie einfach faszinierend – nicht nur als Frau, sondern als Person, als Denkerin, als Revolutionärin, wie sie argumentiert, wie sie sachlich bleiben kann – ja, es hat mich einfach philosophisch sehr interessiert. Weiters Angela Davis – auch eine Schriftstellerin, aus dem African American Civil Movement – die glaube ich eine der ersten Akademikerinnen war, die für Civil Rights sehr aufgestanden ist, und zuerst im African American Struggle mit involviert war. Sie war bei den Black Panthers dabei, und auch im Gefängnis, und [hat] sehr viel argumentiert, ist sehr präsent gewesen, und hat eine sehr interessante Karriere hingelegt. Ich hab’ sie einmal persönlich live gesehen, wo sie bei einem Vortrag in Wien war, und das war ein Wahnsinn. Sehr spannend und inspirierend.
Das sind die ersten, die mir eingefallen sind – ich könnte noch viele nennen: Pina Bausch, als die Choreographin, die mich sehr inspiriert. Martha Graham genauso – also so Leute, die total „unapologetical“ sie selber sind, ihr Frausein zelebrieren, aber es trotzdem nicht nur ums Frausein geht, sondern – ganz egal wer du bist – dass du die Kraft hast, was zu bewegen.
Ist das Älterwerden für dich ein Thema, das dich beschäftigt?
Älterwerden ist schön, Älterwerden ist für mich was Natürliches. Auf der einen Seite habe ich das Gefühl, desto älter ich werde, desto teilweise komplizierter denke ich. Da kommen halt einfach, weißt eh, so [Gedanken wie] „Aha ok, ich bin jetzt in einem bestimmten Teil in meinem Leben, ich hab’ sehr viel erlebt, wo will ich noch hin? Wieviel Zeit hab’ ich noch?“ Dann kommen so Stressgedanken, wie „Ja, ich glaub’ ich hätt’ gern mal eine Familie“ – es hat sich bis jetzt noch nie ergeben, und ich weiß auch nicht ganz genau, ob sich’s je ergeben wird, und dann auch einen damit Frieden zu schließen. So – ganz egal, was passiert – dass man ein erfüllendes Leben haben kann. Egal, ob man jetzt jung, mittelalt oder älter ist. Etwas, das schön ist am Älterwerden, ist, dass man mit sich selber viel mehr im Einklang ist, und ich würd’ auch sagen, dass man mehr zu seiner Mitte findet – das klingt jetzt so ein bissl klischeémäßig, aber ich kann mich voll damit identifizieren. Auch wenn ich nicht immer in meiner Mitte bin, weiß ich trotzdem, wo ich „zu Hause“ bin. Selbstakzeptanz mit den eigenen Schwächen – ich glaub’, ich tu mir leichter, damit umzugehen. Ich hab […] mehr Erfahrung – und diese Erfahrung hilft mir, in bestimmten Situationen einfach weitere Entscheidungen zu treffen, oder relaxter zu sein, einfach mehr vertrauen. […] Die Erfahrung ist so viel wert. […] Ich leb’ so gern und geb auch gern auf mich Acht – und mit auf-mich-Acht-geben mein’ ich, ich lach’ gern, ich tu mir gern Gutes, ich probier’ nicht, zu streng mit mir zu sein, und mich selber halt nicht immer zu ernst zu nehmen – weil man eben nicht für immer da ist.
Hast du das Gefühl, dass auf Frauen (besonders ab einem gewissen Alter) ein großer gesellschaftlicher Druck lastet? (Wenn ja, wieso/inwiefern?)
Auf alle Fälle! […] Ich glaub’, der Druck ist auf sehr vielen Ebenen sehr, sehr stark, und ich glaube, es kommt immer wieder zurück auf jede Frau – ganz egal, ob sie über das reflektiert, und sich bewusst ist, dass viele Sachen nur gesellschaftlich konstruiert sind. – wie z.B. die Rollenbilder, die man einer Frau zuschreibt: Sie soll attraktiv sein, schlau, eine gute Mutter, soll den Mann unterstützen, soll erfolgreich sein – nicht zu erfolgreich, soll schlau sein, aber nicht zu schlau, soll sexy- aber nicht zu sexy, weil sonst wird sie in eine Schublade gestellt. […]
Ich glaube, man kann so vieles sein, und die Schwierigkeit am Frausein ist – wie viel durchschaue ich wirklich und wie viel entscheide ich mich, dagegen zu gehen. Und ich glaub’, da kann man so viele Entscheidungen treffen, die von anderen vielleicht komisch bewertet werden, wie z.B. wenn man sich bewusst entscheidet, keine Kinder zu haben, oder ob man einfach keine Kinder hat. Man bekommt dann die Frage „Warum hast du keine Familie? Warum nicht? Du bist eine Frau…“ Oder: „Bist du in einer Beziehung? Bist du in keiner Beziehung? Bist du verheiratet? Bist du nicht verheiratet? Bist du vielleicht homosexuell, weil du keine Kinder hast?“ Du wirst sofort in Kategorien reingestellt und z.B. wenn du eine erfolgreiche, attraktive Frau bist, sind Leute sofort skeptisch, so: „Wieso ist diese Frau nicht verheiratet? Oder hat keine Kinder?“ Und da gibt’s eben auch teilweise so „Weisheiten“ von Männern, die an ihre Söhne weitergegeben werden […], so auf die Art: „Ja, wenn du eine Frau triffst, die mit dem Alter noch nicht verheiratet war und keine Kinder hat, dann stimmt irgendwas nicht, sei skeptisch!“ Und da denk’ ich mir auch, ja, sowas wird weitergegeben und wozu soll das führen?
Dann noch etwas: Ich glaub’ es geht nicht nur darum, wie Frauen in Rollen gebracht werden, sondern ich glaub’, es hat ganz, ganz viel damit zu tun, wie Männer sich selber auch den eigenen Druck machen, einem bestimmten Bild zu entsprechen. Wie die Gesellschaft eben sagt „Ok, ein Mann muss erfolgreich sein, muss mehr verdienen als die Frau, muss erfolgreicher sein, erfahrener, und den Beschützerinstinkt in einer Frau hervorrufen“ – und viele Männer empfinden aber halt nicht so, weil sie sich halt anders sehen und leben wollen, freier leben wollen, und nicht in bestimmte Rollen zugeteilt werden. Und ich glaub’, das ist generell wichtig – nicht nur Frauenbilder unter die Lupe zu nehmen, sondern auch, wie wir Männlichkeit eigentlich sehen.
Vogue ist ja eine Tanzrichtung, in der das Zelebrieren der eigenen Identität und Schönheit im Vordergrund steht. Was ist, wenn ich nicht weiß, wer ich bin, und mich auch nicht schön finde? Kann einem Vogue da helfen?
Absolut. Es ist halt schön, zu erwähnen, wo das eigentlich hergekommen ist. Voguing ist eben auch eine Kunstform, ein Lebensstil – nicht nur ein Tanz – der aus einer Situation heraus entstanden ist, wo Leute ausgegrenzt worden sind – durch die Gesellschaft, durch rassistische, homophobische Lebenssituationen. Also wenn du so und so ausgeschaut hast, wenn du dich als Person nicht normativ verhalten hast – wie eine „Frau“, oder wie ein „Mann“ [zu sein hat] – sondern anders: wie du dich selber gefühlt hast. [Es ist] wahnsinnig schwer, diesem Druck standzuhalten, und wirklich sein eigenes Ich zu finden. Und da sind wir wieder dabei, dass ich eben glaube, dass es nicht nur „Mann“ und „Frau“ gibt, sondern ganz viele „In-Betweens“. Du kannst dich als Frau identifizieren und trotzdem ganz viele unterschiedliche Identitäten in dir drin haben – mein ich jetzt nicht pathologisch, sondern einfach unterschiedliche Arten und Weisen, wie du mit Lebenssituationen zurecht kommst.
Und warum ich diese Kunstform so wahnsinnig interessant und wichtig finde ist, dass Schönheit zelebriert wird, unabhängig davon, wie sie die Gesellschaft vorschreibt. Und unabhängig von normativen Einstellungen wie: weiß, erfolgreich, schön, reich – diese Assoziationen, die in den Medien so porträtiert werden, und die sehr viele Leute ausgrenzen. […]
Und ich glaube, noch einmal unterstrichen wird das durch eine Hautfarbe oder durch deine sexuelle Identität, wie du dich lebst, oder eben deine Gender Identität – wenn du dich jetzt als Transgender Person oder als Person [lebst], die sich -non-binary- d.h. weder als Mann noch als Frau definiert, die beide Qualitäten in sich hat, und das zelebriert. Und genau dafür ist Voguing und die Ballroomszene ein safer Ort. Genau diese Art von Schönheit, die jeder in sich hat, ab dem Zeitpunkt, ab dem er sie entfalten kann. Und das hat halt sehr viel mit Selbstvertrauen zu tun. Und wie bekommt man das? Indem man umgeben ist von Leuten, die einen unterstützen.
Und natürlich ist Voguing nicht immer wunderschön und happy, und es kann auch sehr aggressiv sein, und es kann auch eine sehr kompetitive Umgebung sein. Aber bis es dahin kommt – also bis die Leute da hineinfinden – ist es sehr viel Arbeit mit sich selber und in der Community, [mit] Menschen, die einen unterstützen, das zu finden.
Und ich glaub’, dass es genau deswegen so schön ist, weil jeder seine eigene Schönheit nochmal neu entdeckt. […] Es ist irgendwie so eine neue Identitätsfindung. Und es hat mir auch wahnsinnig viel geholfen, meine Weiblichkeit zu hinterfragen, und nicht nur als gegeben zu nehmen, sondern was es heißt, als queere Person überhaupt zu leben. Was ist Queerness überhaupt? V.a. halt unabhängig davon, wie deine sexuelle Identität ist, deine Neigungen, sondern einfach, dass du in einer Welt leben willst und eine Welt unterstützt, wo unterschiedliche Möglichkeiten von Liebe oder von Gender Identitäten existieren sollen. Und deswegen glaub’ ich, ist es schön, und da findet jeder eine Art und Weise, um sich selber zu finden.
Was glaubst du, wie sich unsere Gesellschaft verändern würde, wenn mehr Menschen anfangen würden zu tanzen? Würde das die Gesellschaft grundsätzlich verändern?
Ja. […] Ich glaube schon, dass, wenn mehr Leute tanzen würden, oder wenn es mehr Teil von der Gesellschaft wär’, dann würden sich Leute vielleicht mehr spüren. Ich glaub’ wenn sich die Leute mehr spüren, dann wären sie sensibler auch auf ihren eigenen Körper, und wenn Leute tanzen – ganz intuitiv – spricht man eine bestimmte Körpersprache. Und wenn du Tanz in deinem Körper hast, dann kannst du dich mit Leuten unterhalten, egal, ob sie deine (verbale) Sprache sprechen oder nicht. Allein deswegen schon würd’s die Gesellschaft verändern. Und es gibt eine Quote von einem Choreographen, den ich sehr inspirierend finde – Royston Maldoom (der ist auch im Community Dance Bereich sehr bekannt) -und der hat gesagt: „If you can dance together, you can live together.“ […] Ich glaub’, es ist eine schöne Art und Weise – sei’s jetzt Musik oder Tanz – wirklich die Energie von jemandem zu spüren oder auch zu sehen – wie kann man zusammen kommunizieren.
Welchen Einfluss hat dein aktuelles Anthropologiestudium auf deine Kunst? Würdest du sagen, es beeinflusst dich als Künstlerin?
Absolut! Ich habe ja sehr viele unterschiedliche Arten von Tanz gemacht – ich hab’ ursprünglich klassisches Ballett gemacht, und hab’ mich immer schon sehr für Hip Hop Musik interessiert, und auch sehr früh dafür, was Hip Hop ist. Wofür steht es? Wo kommt das überhaupt her? Und in Wien gab’s damals eben nicht viel, und da hab ich probiert, Leute zu finden, die Musik machen, die tanzen, und hab’ aber auch ein Studium gemacht für zeitgenössischen Tanz. Und das was mich immer so fasziniert hat, ist, dass Leute Tanz ganz unterschiedlich definieren – sei’s jetzt im Kunstbereich, sei’s jetzt Bühnentanz, sei’s jetzt im Hip Hop, sei’s im House, sei’s im Urbanen Tanzbereich, sei’s im Social Dance Bereich – und so hat sich irgendwie dann auch meine künstlerische Laufbahn entwickelt. Ich wollte überall eintauchen, um das zu sehen. Und dieses Eintauchen in die unterschiedlichen Welten hat mir geholfen, ganz viele Ansätze kennenzulernen. Viele habe ich nicht von Anfang an gleich verstanden, deswegen musste ich tiefer hineingehen, aber ich glaub’ dass ich unabhängig vom Studium, sehr oft diese anthropologische Sichtweise schon gelebt habe, ohne das Studium zu machen. Eben weil’s mich interessiert hat. – Warum ist es z.B. in Europa so, warum ist es in New York so, warum ist es in Afrika so, warum ist es in Asien so – wo sind die Gemeinsamkeiten, wo sind die Unterschiede, warum bedeutet das irgendwo etwas Bestimmtes, und irgendwo anders aber das Gegenteil. Lauter so Sachen habe ich mich gefragt. Und irgendwann hab’ ich mir gedacht, „Wah, ich möcht’ gern ein Buch schreiben.“ Und dann hab’ ich mir gedacht, ja, ich hab sehr viel Erfahrung, und ich würd’ gern Sachen vergleichen – jetzt nicht wertend, sondern nur Fragen in den Raum stellen, und dann Leute interviewen und so. Und dann hab’ ich mir irgendwann gedacht „Bah, ich hab’ noch nie wissenschaftlich gearbeitet“ (weil ich mein ganzes Leben nur getanzt hab’)- und dann hab ich mich dazu entschlossen, das Studium zu beginnen…
Und du schreibst aktuell gerade an einem Buch?
Ich schreibe nicht aktuell an einem Buch, aber ich schreibe an unterschiedlichen Essays – alles im Zuge vom Studium – und es hat alles mit Tanz und Musik zu tun. Nicht alles unmittelbar, aber alles mit Kulturphänomenen, mit Ethnomusikologie – Warum Musik? Wie wird Musik unterschiedlich definiert? Und wie dominant eigentlich die europäische Sichtweise eigentlich ist. Beim Tanz eben das Gleiche. Und ja, es inspiriert mich auch künstlerisch. Für mich ist künstlerische Arbeit ja nicht nur, was ich für eine Bühne konzipiere. […] Alles, was aus mir herauskommt, ist ein Resultat davon, was ich mein ganzes Leben lang erlebt hab’, und dieser Prozess hört einfach nicht auf. Und im Moment ist dieser Prozess sehr kopflastig und sehr reflektierend, und es ist wunderschön. Und es ist nicht immer leicht, weil ich auf so viele Sachen draufkomme, die mir wie ein Spiegel vorgehalten werden – bestimmte Themen, die sehr viel mit Privilegien zu tun haben: Wer ist privilegiert, in unserem Bereich als Künstler zu leben? Wie privilegiert ich bin, auf der ganzen Welt zu reisen, um andere Leute kennenzulernen, um mich zu vertiefen in bestimmten Kunstsparten, Tanzstilen. Nach Afrika zu reisen, um da bei bestimmten Leuten zu lernen, nach New York – überall hin. Und für mich ist das sehr notwendig, um überhaupt etwas zu lernen und wirklich vor Ort zu sein, und bei Leuten zu sein, die mir 1:1 was weitergeben können – also jetzt nicht nur überliefert – aber im gleichen Moment sind das halt auch Sachen, die ich in Frage stelle. So – Wie viele Leute haben überhaupt die Möglichkeit, das zu machen? Und auch, was es heißt, als weiße Person in einer Kunstsparte tätig zu sein, die dominiert ist von Black People. Und wo ist meine Berechtigung, bestimmte Sachen auszuüben, die ich nicht selber kreiert habe, sondern mich einfach als Teil davon fühle. Und ich hinterfrage sehr oft, wie sehr ich Teil davon bin, d.h. es inspiriert mich, und es lässt mich reflektieren ohne Ende, und es ist immer wieder ein Prozess. […] Die Entscheidungen, die ich treffe, sind viel bewusster als davor.
Welchen Rat würdest du deinem 14-jährigen Ich geben?
(lacht) Warte, jetzt muss ich zuerst einmal nachdenken, wo ich war mit 14… Gut, ja, also mit 14 – in dieser Übergangsphase von Kind auf erwachsen passiert so viel im Kopf und so viel Selbstzweifel, und ich glaub’ unabhängig davon, wie geborgen man sich fühlt. […] An mich selber – an mein 14-jähriges Ich, glaub’ ich nur, dass ich sagen würd’: „Tu einfach. Vertrau auf dich und deine Fähigkeiten. Und hab keine Angst, zu verlieren.“ Das ist das Wichtigste. Weil das hindert so viele Menschen – die steh’n sich so im Weg – mit der Angst, zu verlieren, der Angst vor diesem Failure-Gefühl – weil dieses Gefühl kennt jeder zu einem bestimmten Extent. Und es ist wirklich ein schlechtes Gefühl, aber es ist sehr lehrreich, und es ermöglicht ganz viele Sachen. Und ich glaub’, desto mehr man übt, immer wieder aufzustehen durch Situationen, desto mehr Motivation kriegt man, überhaupt weiterzumachen und Sachen gut anzugehen. Und ich glaub’, wenn man diese Angst verliert, zu scheitern, dann ist man für ganz viele Sachen offen, die voll viel Schönes und Positives bringen können. Das wünsch ich nicht nur meinem 14-jährigen Ich, sondern mir selber jetzt. (lacht) Und ich glaub’ nicht, dass ich das noch gemeistert habe, aber dass ich auf dem Weg dorthin bin.
Foto: © Karin Cheng