Wie muss eine Frau 2019 sein? Oder auch: Wer bin ich als Frau – hier, heute?
Keine Sorge, das hier wird fix keine anstrengende Gender-Streitschrift. Ich finde nämlich, dass dieser ganze Gender-Kampf oft ein ziemlicher Krampf ist. Wir (Frauen) gegen die (Männer). Also ja, das erspar ich uns. Ich glaube vielmehr – wie in so vielen Bereichen des Lebens, dass die Antwort darin liegt, das vorzuleben, von dem man gerne mehr hätte, so im Sinne von “Be the change you want to see in the world.“ Oder auch: Leading by example.
Ich hab mich zeit meines Lebens eigentlich selten bewusst als “Frau“ wahrgenommen, sondern eher generisch – als “Mensch“. Duh. Ich weiß, das klingt jetzt deppert, ist aber so. So wie – ok das bin ich, das ist meine Persönlichkeit, fertig, da steh ma! Aber irgendwann im 2018er kam mir der Gedanke – hm, wer bin ich jetzt eigentlich als Frau? Was macht mich in/mit meiner Weiblichkeit aus, welche Frauen bewundere ich und wieso und wie kann ich mich und meine weibliche Seite mehr leben?
Zuerst dachte ich, dass ich mit dieser Frage mal wieder zu den absoluten Spätzündern gehöre, aber in diversen Gesprächen mit Geschlechtsgenossinnen (auch aus meiner Kohorte) erkannte ich, dass diese Frage doch viele von uns beschäftigt. Es ist ja auch kein Wunder. Das Frauenbild in unserer Gesellschaft ist konstruiert bis dorthinaus. Und bis man das begreift und das Ganze mal für sich hinterfragt, dauert es halt ein paar Jahre. (Oder auch ein paar mehr.)
Schaut man sich auf Instagram ein bisschen um, kommt man binnen 5 Minuten zu der Erkenntnis, dass Schönheit, Jugendlichkeit und Fitness die Wertbemessungsattribute der Stunde sind. Ich habe jetzt vorletzte Woche mal ein paar von den Kardashians abonniert, weil ich mich mit dem Instagram’schen Schönheitsideal ein bisschen auseinandersetzen wollte. Kendall Jenner postet da vom Schiurlaub in Aspen einen Shot, in dem sie nur mit Fellmütze, Schischuhen und Bikini bekleidet im Schnee steht. Ist relativ gut angekommen (über 7,6 Mio. Likes) – auch bei ihrer Schwester Kourtney Kardashian, die kurz darauf einen ähnlichen Bikinishot veröffentlichte. Allerdings bekam die nur 4,6 Mio. Likes, und das obwohl sie als Draufgabe zusätzlich ihren quasi-nackten Arsch zeigte. Tja. Aber das Krasseste sind dann die Kommentare. zero_omw schreibt z.B. “Stop showing the flat earth ass I don’t even think she’s a kardashian that shit is too flat, where all my flat earthers at“, woraufhin ihn ivonne13 dankenswerterweise aufklärt: “that’s cuz she never got hers done lmaooo thats ‚before‘ ass hahahaha“. Da geht’s zu. Body-shaming nebst Age-shaming, sonstigen Verurteilungen, Lobesbekundungen und jeder Menge Pfirsich- und Feuer-Emojis. Gut, könnte man sagen, wenn du dich als Objekt präsentierst, dann musst du auch damit leben können, dass du als solches be-wert-et wirst. Bei einem Tisch sag ich ja auch, nein die Füße schau’n irgendwie komisch aus, das Holz ist schirch, oder die Platte wirkt billig. Eine simple Analyse der Einzelteile halt. Oder aber man stellt sich die Frage, warum einen das Bild aufregt und welche eigenen Vorurteile zum Vorschein kommen. Wär’ auch eine Option.
Zum Glück habe ich mich nie über mein Aussehen definiert. Als ich mit 16 im Familienurlaub auf Gran Canaria mit Miguel, dem damals 34-jährigen Resort-Animateur, in einer Diskothek in Playa del Inglés war, meinte er zu mir: „Du bist vielleicht nicht die Schönste in dem Club, aber du bist mit Abstand die Sympathischste.“ Das war eine sehr ok-e Meldung für mich. Ich wusste immer, ich bin ganz hübsch, aber auf eine uneinschüchternde Art und Weise. Es ging immer mehr um meinen Charakter, und das fand ich gut. Natürlich müsste ich jetzt lügen, wenn ich sagen würde, mein Aussehen wäre mir komplett egal. Eh klar. Welcher Frau ist ihr Aussehen schon wurscht, wenn einem quasi mit der Muttermilch eingeflößt wird, dass Frauen schön sein müssen…
Schön, jung und fit. Und wenn man’s nicht von Haus aus ist, kann man ja künstlich nachhelfen.
Schönheits-OPs oder kosmetische Eingriffe sind mittlerweile so weit verbreitet, da redet man nicht mal mehr drüber. Das Ding ist aber halt auch – das Schönheitsideal ändert sich in regelmäßigen Abständen. Wenn du da jedes Mal herumdokterst an dir, nur um dich dem neuen Trend anzupassen, wirst auch alt. In meinen Teenager-Jahren waren z.B. große Brüste und ein kleiner Arsch angesagt, und überhaupt war’s gut, möglichst dünn zu sein. Dünn ist zwar immer noch en vogue (wobei man nicht mehr ganz so dünn sein muss), aber der Hintern soll mittlerweile überproportional groß und kugelrund sein, und wird immer häufiger mit Silikonimplantaten ausgestopft. Das wäre in den 90ern oder frühen 00er-Jahren überhaupt niemandem eingefallen. (Mir würd’s heute noch nicht einfallen.) Aber auch interessant einfach, wie so ein Schönheitstrend entsteht: Da sind kleine Ärsche „in“, und plötzlich kommt eine Jenny from the Block, die ihren nicht-kleinen Allerwertesten stolz zur Schau trägt. Und da es „anders“ ist, wird’s öffentlichkeitswirksam kommentiert. Der Po wird zu ihrem Markenzeichen, und immer mehr Leute finden plötzlich große Ärsche gut. Oha. Ein paar Jahre später erscheint Nicki Minaj auf der Bildfläche. Spätestens jetzt sind Aussagen wie „Dein Hintern ist zu dick“ obsolet.
Gut, die Pornoindustrie hat diese Entwicklung auch frühzeitig aufgegriffen und propagiert. Der Einfluss der Pornos auf das gängige Frauenbild ist ohnehin gigantisch. Immer mehr Frauen entscheiden sich für eine „Designer-Pussy“, weil es selbst im Intimbereich jetzt schon eine Schönheitsvorlage gibt, der frau entsprechen will. Da sollte alles sehr jungfräulich und jugendlich (kindlich?) aussehen, am besten so wie bei einer 10-Jährigen. 2017 ließen sich knapp 140.000 Frauen weltweit ihre Schamlippen abschneiden, und weitere knapp 70.000 unterzogen sich einer „Vaginal Rejuvenation“ – einem Eingriff, bei dem die Vagina gestrafft und verengt wird. Als ich neulich mit einer Freundin über dieses Thema sprach, meinte sie: „Es ist schon ein Wahnsinn – da kämpfen Frauen jahrzehntelang gegen die Genitalverstümmelung, und jetzt entscheiden sich viele freiwillig dafür.“ (Please let that comment sink in.)
On-topic: Ich fand’s damals (2014) so herrlich, als die großartige Amanda Palmer mit ihrer schonungslos offenen Art in einem Facebook-Post das Lied „Designer Vagina“ von Melissa Main kommentierte. Sie schrieb:
melissa main, whoever you are, bless you. […] my labia are (sorry to TMI the shit out of you, but hey, here you are) about two inches long. and wrinkly. i can practically tie them in a knot.
i remember being a teenager and looking at porn and wondering if they were wrong. but none of my lovers ever seemed to care, so I let it go. i think it might be time for me to write [that] I HAVE SLEPT WITH LIKE A HUNDRED PEOPLE AND NONE OF THEM SEEMED TO MIND THAT I HAD A GIANT LABIA book.
i know this may seem like an unseemly little topic but i really would like to add my voice to melissa’s on this one:
GIRLS: YOUR VAGINA IS FINE THE WAY IT IS. REALLY. IT MAY SEEM LIKE IT’S WEIRD-LOOKING, BUT IT’S NOT. THAT IS WHAT VAGINAS AND LABIA LOOK LIKE.
GUYS: VAGINAS GENERALLY DON’T LOOK LIKE PERFECT LITTLE PINK-FLOWER VAGINAS YOU SEE IN PORN!!
EVERYBODY: SEX ORGANS ARE FUNNY-LOOKING!!! HAVE YOU *SEEN* A PENIS LATELY??
Ziemlich mutig, fand ich. No Bullshit. Und zu ihrer letzten Frage: Ähm…JA!? Penisse sind in der Tat allgegenwärtig. Als Graffiti an Hauswänden, auf Schulbänken, auf staubigen Fenstern, eingeschneiten Motorhauben, Snapchat… Ich habe auf Snapchat in den letzten Monaten so viele Dick Pics bekommen, dass ich eine ganze Ausstellung damit kuratieren könnte. Und ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie identitätsstiftend sein Penis für einen Mann ist, wie sehr Männer oft ihre Männlichkeit darauf fokussieren (reduzieren) und wie intensiv sie sich mit ihrem Geschlechtsteil befassen und auseinandersetzen.
In Japan wird alljährlich das „Fest des stählernen Penis“ (Kanamara-Matsuri) begangen, wo der Phallus ausgiebig zelebriert wird und Süßigkeiten in Penisform zum Verzehr angeboten werden. Auf der anderen Seite wurde Megumi Igarashi (Rokudenashiko), eine japanische Manga-Zeichnerin und Bildhauerin, die sich auf „Vagina Art“ spezialisiert hatte und die die 3D-Daten ihres Vulva-Abdrucks mit anderen teilte, verhaftet aufgrund „der Verbreitung von Obszönität“. Say what. Dabei hatte Rokudenashikos Kunst keinen pornösen, sondern einen sehr wertvollen aktivistischen Hintergrund: Ihr Anliegen war es, die Vagina zu enttabuisieren, Frauen die Scham vor ihrem eigenen Geschlechtsteil zu nehmen und sie damit auch in ihrer Weiblichkeit zu (be-)stärken.
Ich glaube, dass wir Frauen uns durchaus etwas vom geni(t)alen Selbstbewusstsein vieler Männer abschauen können.
Die Auseinandersetzung mit sich selbst halte ich in diesem Kontext für einen wichtigen Punkt. Ich habe selbst vor etlichen Jahren mal „Vagina Art“ angefertigt. In Wahrheit war’s nur ein einziges Muschiportrait, das dafür aber auf Leinwand und in Ölfarben. Ich habe es dann, als es endlich fertig war, relativ prominent im Wohnzimmer angebracht, und es war recht interessant zu beobachten, wie meine Besucher darauf reagierten. Die meisten stellten sich vor mein Gemälde, inspizierten es äußerst genau und fragten mich nach ein paar Schweigeminuten, ob ich das selber gemalt hätte. Ich fügte dann meistens noch hinzu, dass mir die Abbildung sehr realitätsgetreu geglückt ist. Fanden alle eigentlich ziemlich cool.
Derzeit läuft im Kino „Female Pleasure“ – eine beeindruckende Dokumentation über fünf starke Frauen unterschiedlicher Kulturen, die ich wirklich jedem und jeder ans Herz legen möchte. Es wird darin augenscheinlich demonstriert, wie sehr die Unterdrückung der Frau über die Kontrolle ihrer Sexualität passiert. FGM, Zwangsehen und gesellschaftlich tolerierte Vergewaltigungen sind nur ein paar Beispiele dafür. Obskurerweise werden viele dieser „Kontrollmaßnahmen“ unter Berufung auf diverse Religionen gerechtfertigt, was so fucked up ist, dass es ärger nicht geht. Das Beispiel von Doris Wagner, einer ehemaligen katholischen Ordensschwester, die nach dem sexuellen Missbrauch durch einen Priester den Orden verließ, und seither eigenen Aussagen zufolge ein weitaus glücklicheres, befreites Leben führt, verdeutlicht, wie oft Religion für Zwecke der Gehirnwäsche und des Machtmissbrauchs instrumentalisiert wird. Der ganze Wahnsinn fängt ja schon mit Adam und Eva an. Warum genau ist Eva schuld an der Vertreibung aus dem Paradies, wenn beide den scheiß Apfel gegessen haben?! Und so von den sonstigen weiblichen Hauptfiguren in der Bibel kann ich mich im Wesentlichen an die Maria und die Maria Magdalena erinnern. Die eine war Jungfrau, selbst nachdem sie ein Kind gebar (Logik, anyone?), die andere Prostitutierte, und damit „Sünderin“.
Ich weiß nicht, ob Freud damals religiös inspiriert war, als er den „Madonna-Huren-Komplex“ als sexuelle Störung identifizierte. Freud beschrieb die Männer, die diese Störung aufweisen, folgendermaßen: „Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben“. Und man würde nicht glauben, wie viele Männer tatsächlich dieses Problem haben (speaking from experience…). In Zeiten der Bindungsangst 2.0 ziemlich sicher noch viel mehr als es damals bei Freud waren. Nicht lustig. (Und zwar weder in der einen, noch in der anderen Rolle.)
Aber ja, die Quintessenz ist für mich echt, wie viel in der Sexualität „begraben“ liegt. Und ich glaub’, dass nicht nur (viele) Männer vor der weiblichen Sexualität Angst haben, und sie als etwas Bedrohliches wahrnehmen. Ich bin überzeugt davon, dass sich viele Frauen auch selbst vor ihrer Sexualität fürchten und sie daher unterdrücken. Bzw. denke ich, dass es immer mehr Leute gibt, die sich nicht wirklich „spüren“, weil sie aufgrund der ganzen Bilderflut im Wesentlichen damit beschäftigt sind, irgendwelchen externen Anforderungen (Bildern) gerecht zu werden. Pornos nachstellen statt die eigene Sexualität zu erforschen. Und wenn man sich überlegt, dass mittlerweile bereits Volksschulkinder Pornos schauen, fragt man sich schon, wohin die Reise geht. Mich hat neulich ein Typ gefragt, ob ich Deepthroating könne. Ich habe ihm darauf geantwortet, dass mich der Würgereiz absolut nicht antörnt und ich ungern bei Oralsex kotze. Aber dann stelle ich mir vor, ich bin 18, und steh auf diesen Typen und der erwartet das von mir, weil das ja alle so machen in den Pornos. Vermutlich wäre ich schwer verunsichert und würde mich minderwertig fühlen, weil ich das nicht „kann“. Aber wie gestört das eigentlich ist, hinterfragt das bitte mal jemand?
Female Pleasure. Ein heißer Begriff.
Das Objekt ist passiv, das Subjekt aktiv.
Ich für meinen Teil bewundere Frauen, die sich selbst als Subjekt leben, die „ihr Ding“ machen und mit ihrer Energie und ihrem Schaffen eine positive Wirkung auf andere haben. Andere empowern. Brené Brown ist für mich eine dieser Frauen. Lady Gaga. Anna Akana. Realness ist einfach so derart wichtig, da geht nichts drüber. You doing you.
Und es geht auch nicht um schöner, erfolgreicher, besser, leiwander, sexier,… – den Komparativ kann man einfach mal getrost vergessen. Der ganze Ellbogen-Firlefanz bringt uns nämlich alle nicht weiter. Wenn jemand was Geiles macht: MEGA! Anstatt dann die Neid-Keule zu schwingen oder sich in Judgmentalism zu üben, tut man gut daran, Schritte zu setzen, um selber mehr zu dem/der zu werden, der/die man sein will. Und das Sakralchakra aktivieren.
Achso und die Frage, wer ich als Frau bin. Ich weiß nicht, ob das tatsächlich so wichtig ist. Primär will ich mich selbst als Subjekt leben, „mein Ding“ machen und mit meiner Energie und meinem Schaffen eine positive Wirkung auf andere haben. Eine coole Oide sein einfach. Over and out.